Auf unserer Exkursion zu den Weltreligionen haben wir auch Station gemacht in der liberalen jüdischen Synagoge in Hannover.
Die liberale jüdische Gemeinde gibt es dort schon lange. Wenn du mal „Neue Synagoge Hannover“ googelst, findest du einen wunderschönen Bau, der auch eine Kirche sein könnte. Ähnlichkeiten mit der berühmten Rosette von Notre Dame sind kein Zufall. Diese Synagoge wurde in der Reichspogromnacht 1938 zerstört.
Seit 2007 gibt es wieder eine liberale Synagoge, und zwar in einer ehemaligen evangelischen Kirche, die nach ihrer Entwidmung eigentlich abgerissen werden und durch ein Autohaus an der Stelle ersetzt werden sollte. So wie es jetzt ist, ist es doch wesentlich besser, oder?
Leider konnte ich nicht wirklich alles im Gedächtnis behalten, was uns dort an interessantem erzählt und gezeigt wurde. Aber so ein paar Highlights sind hängen geblieben. Zunächst einmal, dass die liberalen Juden so etwas wie die Protestanten ihrer Religion sind. Ein wichtiges Anliegen ist es ihnen, den Gottesdienst mit der gesamten Familie feiern zu können, denn in orthodoxen Synagogen müssen die Frauen räumlich getrennt (entweder auf einer Empore oder mit einem „Zaun“ im Gottesdienstraum) von den Männern bleiben.
Aus unseren Gottesdiensten kennen wir es, dass wir Ruhe gewohnt sind, ein Grund, weshalb sich Familien mit kleinen Kindern nicht oft hertrauen (neben den familienunfreundlichen Zeiten). Konfirmanden werden mit bösen Blicken bedacht, wenn es ihnen schwerfällt, mit angemessener Ruhe dem Gottesdienst und insbesondere der Predigt zu folgen.
Im jüdischen Gottesdienst, zumindest in dieser Gemeinde, herrscht allezeit eine Grundlautstärke. Denn es ist ganz normal, dass man sich mit seinem Stuhlnachbarn unterhält, wenn man ihn eventuell länger nicht gesehen hat. Es ist auch nicht schlimm, wenn man ein wenig zu spät kommt. Und den Gemeindegliedern wird eine gewisse Freiheit bei der Ausgestaltung des täglichen Lebens zugebilligt. Beispielsweise ist es gestattet, die Schabbatgesetze und Speisegesetze etwas mehr an der Lebensrealität zu orientieren als nur streng an Traditionen.
Anders als bei uns Christen ist der Rabbiner nicht der Funktion des Pfarrers gleichzusetzen, er ist vor allem Lehrer, macht also sozusagen den kirchlichen Unterricht. Aber einen Gottesdienst muss grundsätzlich jeder Gläubige durchführen können. Auch Rabbinerinnen gibt es im progressiven Judentum.
Die Jugendlichen besuchen mit 12/13 Jahren also ebenso wie unsere evangelischen Konfirmanden den Unterricht. Sie lernen Hebräisch lesen und schreiben, den respektvollen Umgang mit den Thora-Rollen und einiges mehr. Wenn sie genug gelernt haben und eine Prüfung durchlaufen haben, feiern die Jungen ihre Bar Mizwa, die Mädchen Bat Mizwa (Bar=Sohn, Bat=Tochter), und zwar nicht in der Gruppe wie bei unserer Konfirmation, sondern jede/r einzeln. Dazu müssen sie einen kompletten Gottesdienst leiten, und zwar nicht nur die Gebetszeiten, sondern auch die Thora-Lesung. Ihre Aufgabe ist es auch, die Rolle aus dem Schrank zu holen. Eine Thora-Rolle wiegt je nach Ausstattung um die 15 kg und darf auf keinen Fall auf den Boden fallen, denn dann ist sie im Gottesdienst nicht mehr brauchbar. (Die Folge wäre, dass im schlimmsten Fall die Gemeinde eine neue Thora braucht, und da die bis heute auf Ziegenpergament handgeschrieben werden, was ca. 3 Jahre braucht, kostet die ungefähr 20-30 Tausend Euro! Das kann sich kaum eine Gemeinde leisten.) Auf den jungen Leuten lastet also eine große Verantwortung. Aber nach dem „erfolgreichen“ Gottesdienst gibt es dann auch eine große Familienfeier mit Geschenken und so.
Was wir als ziemlich bedrückend empfanden, war, dass man die Synagoge nicht einfach so betreten kann, man muss sich vorher anmelden, wenn man nicht zur Gemeinde gehört. An der Tür ist eine Kameraüberwachung und im Gebäude verteilt gibt es überall die „Überfall-Alarmknöpfe“, wie blaue Feuermelder. Leider ist das notwendig, in einem Land, das per Grundgesetz die freie Religionsausübung garantiert. Und zwar nicht erst seit 2015 vermehrt muslimische Flüchtlinge ins Land kamen, wie uns der Mitarbeiter der Synagoge versicherte.
Es war einiges bei unserer Führung dabei, was neugierig macht auf unsere Geschwisterreligion, einiges, was zum Nachdenken anregt und auch einiges, was ein Gefühl des Fremdschämens in mir ausgelöst hat (Fremdschämen über die Menschen, die ohne genauere Kenntnisse, einfach aus diffusen Empfindungen heraus, den jüdischen Mitbürgern das Leben schwermachen.)
Als Erkenntnis wünsche ich mir, dass wir alle wieder mehr miteinander als übereinander reden, dass wir den persönlichen und wertschätzenden Kontakt suchen, anstelle in den (un-)sozialen Medien unreflektiert Meinung in die Runde zu stellen und auch zu übernehmen.
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