Deutschland – Land der (Selber-) Macher

Baumärkte gibt es (nicht nur in Deutschland…) wie Sand am Meer. Heimwerker-Zeitschriften und Renovierungsbücher sind auch ein Dauerbrenner, seit ich in der Buchhändlerausbildung war (in den 80ern des 20. Jahrhunderts). Ganze Verlage haben darauf ihr Geschäftsmodell gegründet.
Heute haben wir YouTube-Tutorials, Dawanda, Etsy, Pinterest….

Einerseits finde ich das gut, da macht man doch etwas Sinnvolles in seiner Freizeit. Ich selbst bin ja auch gern kreativ, es macht Spaß, spart Geld, man verwertet im besten Fall alte Dinge. Andererseits wundere ich mich, dass durch die „Selbermacheritis“ im Großen und Ganzen anscheinend nicht die Wertschätzung für das Handwerk wächst:

Kochen und Essen ist ein totaler Trend, aber niemand will Koch werden. Alle schwärmen von wunderbarem Brotgenuss, aber keiner will zu den Zeiten einer Backstube arbeiten. Bäder als Wellnesstempel werden regelrecht gehypt, aber was gilt der Sanitärinstallateur? Von Dachdeckern will ich erst gar nicht anfangen, ihr ahnt es sicher: kein Nachwuchs in der Branche. Alle nicht schwindelfrei?

In einer Zeit, in der immer mehr Menschen (ja, auch ich mitunter) stolz ihre selbstgemachten Werke und Produkte im Netz präsentieren, will aber kaum jemand ein Handwerk lernen.
Bitte versteht mich nicht falsch, ich freue mich auch, wenn ich ein „Projekt“ in Angriff genommen und zu einem ansehnlichen Abschluss gebracht habe. Ich nähe und koche gern, und ich liebe es, mit meinen Eigenkreationen anderen eine Freude zu machen (oder auch mal nur mir selbst 😉).
Ich bin zum Beispiel auch neugierig, wie man gutes, richtig leckeres handwerkliches Brot backt, wie man Frischkäse oder sogar Gouda herstellen kann ohne Nahrungsmittelindustrie. Weil es eine Kunst ist, weil dabei Menschen mit Hochachtung vor den Lebensmitteln und mit viel Zeit und Liebe zum Detail arbeiten. Aber ganz ehrlich, ich vermute mal stark, ich werde deswegen höchstwahrscheinlich nicht zur passionierten Brotbäckerin werden, die morgens vor Tau und Tag den Teig knetet, damit es um 7 Uhr frische Brötchen gibt…

Und nun kommt das „ABER“: Ich frage mich auch, was passiert, wenn wir als gründliche deutsche Macher diese Kultur des Selbermachens übertreiben. Graben wir nicht eventuell so manchem kleinen Handwerksbetrieb, mancher liebevoll geführten Manufaktur das Wasser ab?
OK. Im großen Stil vermutlich nicht. Es gibt ja auch die große „schweigende Masse“ derer, die keine Zeit zum Tapezieren haben, kein Talent zum Teppichverlegen, keine Lust zum Gardinennähen und bei denen sogar das Nudelwasser anbrennt, ehe die Nudeln auch nur drin sind…. (Diese Menschen haben dann halt andere Begabungen, sie können vielleicht unsere Steuererklärungen machen, Brüche schienen, Blinddärme entfernen oder andere wichtige Dinge, die überhaupt nicht in DIY möglich sind.)
Ich wünsche mir einfach, dass beim Selbermachen nicht nur die Freude über das zustande gebrachte wächst, sondern parallel dazu auch gesamtgesellschaftlich die Wertschätzung für bestimmte Berufe wächst.

Wenn wir es honorieren, dass in einem Restaurant alles etwas länger dauert, ein wenig teurer ist und auch mal gesagt wird „Forelle ist leider schon aus, tut mir leid“ – nämlich dann, wenn in diesem Restaurant echte Menschen frische Kartoffeln schälen (vielleicht sogar Menschen, die sonst keine Arbeit bekommen), weil nicht auf Convenience-Produkte aus dem Großmarkt zurückgegriffen wird, weil der Küchenchef bei der kleinen Forellenzucht bewusst nicht zu viel einkauft, um am Ende des Abends nichts wegschmeißen zu müssen.
Wenn wir uns nicht darüber ärgern, dass eine bestimmte Brotsorte eine halbe Stunde vor Ladenschluss ausverkauft ist – denn es bedeutet, dass dieses Brot nicht nur uns, sondern auch anderen vorzüglich schmeckt und einfach gut gemacht ist.
Wenn wir unseren Handwerkern Kaffee und Kuchen hinstellen, weil wir es zu schätzen wissen, dass sie unser Badezimmer renovieren (und dabei viel unappetitliches zu sehen bekommen, worüber wir froh sind, dass wir es nicht selbst beseitigen müssen) oder weil wir uns freuen, dass es Männer gibt, die auf unseren Dächern herumkraxeln, um den letzten Sturmschaden zu reparieren.

Ich erinnere mich an einen Maurer, der bei unserem Haus einige Fachwerkgefache neu gemauert hat, mit den alten Steinen, die herausgenommen worden waren. Es musste ein Schwellbalken ersetzt werden (das ist beim Fachwerk der bodenebene Balken, auf dem der Rest des Fachwerks steht), Edgar und ich hatten nur noch Fragezeichen im Gesicht und konnten uns das gar nicht vorstellen. Die Fachhandwerker aber wussten genau, was sie taten. Die Zimmerleute bauten Stützen (die das ganze Haus stützten), entfernten den maroden Balken, bauten einen neuen ein, und dann kam der Maurer.
Stein für Stein nahm er sich die 200 Jahre alten Ziegel vor, klopfte den alten Mörtel ab und baute sie wieder ein. Da das Haus vor Jahrzehnten mal mit Kupfervitriol gestrichen wurde, drehte er die Steine um, die Innenseiten kamen nach außen. Und er beschwerte sich nicht einmal über diese Handarbeit, im Gegenteil, er freute sich total über die Möglichkeit, mit diesem alten Material ganz liebevoll etwas Schönes zu schaffen. Wenn ich das Geld dafür hätte, würde ich diesen Maurer ein ganzes Jahr beschäftigen, unser gesamtes Fachwerk auf diese Weise zu restaurieren…. (Auf dem Beitragsbild seht ihr die „schöne“ untere Fachwerkreihe und die darüber mit dem ollen Anstrich)

Wie wäre es, wenn wir zu den Vertreterinnen und Vertretern des Handwerks und auch der ungeliebten Dienstleistungsberufe (Müllabfuhr, Stadtreinigung…) mal öfter raufschauen statt auf sie herabzublicken?

Im Endeffekt geht es doch um gegenseitige Wertschätzung, darum, dass jeder Mensch eine Aufgabe erfüllt, mit mehr oder weniger Talent, mit mehr oder weniger Leidenschaft oder auch einfach nur, um über die Runden zu kommen.
Wenn ich mich beispielsweise freue, dass ich einen großen Bettüberwurf fertiggenäht habe, mit vielen Stunden, in denen ich zugeschnitten, genäht, gebügelt, manchmal auch schiefe Nähte grummelnd wieder aufgetrennt habe – dann kann ich doch nicht guten Gewissens meine T-Shirts beim Textildiscounter kaufen.
Und nein, ich lasse das Totschlagargument nicht zu, dass alles das nur möglich ist, wenn man relativ wohlhabend ist.
Den Satz „Ich habe zu wenig Geld, um mir billige Sachen zu kaufen“ habe ich auch nicht von Anfang an verstanden. Aber ich habe lieber 3 Lieblingsshirts, die ich waschen, anziehen, waschen…. kann und das zwei Jahre lang, als dass ich mich bei 6 Shirts ärgere, dass die Nähte nach ein paar Wäschen statt an meinen Seiten über Bauch und Rücken verlaufen und dann ganz den Geist aufgeben.

Wenn ich jetzt nochmal so über das Geschriebene lese, dann ist für mich das Wesentliche, dass es, selbst gemacht oder nicht, doch einfach schöner und auch produktiver ist für eine Gesellschaft, wenn sie die Fähigkeiten, Talent und Begabungen und das Erreichte Lebenswerk der anderen achtet und wertschätzt. Wenn nicht der Blick voller Neid zum Nachbarn geht, was der (vermeintlich oder real) mehr hat.

Was natürlich auch bedeutet, dass nicht andere Teile der Gesellschaft herablassend auf diejenigen sehen, die (vermeintlich oder real) nicht so erfolgreich, begabt und begütert sind, die nichts auf die Reihe kriegen, die ihr Leben nicht im Griff haben.

Sozialromantik oder Vision?

Autor: Annuschka

Ostwestfälisch beharrlich, meistens gut gelaunt, Buchhändlerin, Ehefrau, Mutter von drei tollen Töchtern, Hundemama, Jugendarbeiterin (in zeitlicher Reihenfolge des Auftretens). Mit vielen Interessen gesegnet oder geschlagen, je nach Sichtweise ;-)

5 Kommentare zu „Deutschland – Land der (Selber-) Macher“

  1. Ich verstehe was du meinst, aber ich finde man kann ein Hobby nicht mit Dienstleistungen vergleichen. Klar ist die Wertschätzung wichtig. Und selber machen sollte einem so was schon näher bringen. Und wenn ich das jetzt mal auf mein Beruf übertrage: Viele haben Kinder, aber nicht jeder von denen möchte Erzieher sein oder einen anderen pädagogischen Beruf ausführen (oder schätzen diese Arbeit).

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    1. Ich möchte auch niemandem sein Hobby madig machen. Ich wundere mich nur öfter mal, wie über Handwerker und das Handwerk allgemein teilweise nur noch gemeckert wird. Aber vermutlich gibt es auch hier die schweigende Mehrheit: wenn wir mit etwas zufrieden sind, geben wir das (da gibt es umfassende Studien) nicht so häufig und offensiv weiter. Und da frage ich mich: warum können wir das nicht mal anders machen?
      Dann sähe es in den sozialen Medien und im RealLife möglicherweise etwas besser aus….

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  2. lebendige Vision – und kreatives Tun heißt ja nicht gleich, anderen die Arbeit wegnehmen. Sich selbst mit Händen verwirklichen ist Urbedürfnis des Menschen und in Zeiten überbalasteter Daumen und Tippfinger großartig für die Vernetzung im Hirn, gerade um zukunfts- und tragfähige Visionen (selbst) erdenken zu können. Und ein Handwerk profimäßig zu lernen dauert, und braucht darum angemessene Honorierung. Ich erinnere mich an die Geschichte aus dem Installationshandwerk: Irgendwas tropft, der Handwerker kommt, repariert es in ein paar Minuten und präsentiert die zweistellige Rechnung. „Was, so teuer? Sie haben es doch in nur ein paar Minuten repariert!“ Antwort: „Ja, und genau dafür habe ich Jahre gebraucht.“ Und wo wären wir (im Sommer war’s wieder riechbar) ohne die, die unseren Müll abfahren?! Wer mal während der Streiks der Müllabfuhr in Neapel war, weiß, was ich meine…

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    1. Ja genau das ist es, was ich meine. Das werkeln ist wichtig und gut. Und die Profis für ihr gelerntes und erfahrenes Metier schätzen – und auch entsprechend honorieren ebenfalls.
      Vielleicht ist das im Beitrag ein bisschen untergegangen, ich schätze beides. Eigentlich ist das, was ich geschrieben habe, ein Denkprozess. Was mir halt durch den Kopf geht, mit für und wider. Und immer mit der Sehnsucht nach „miteinander“…..

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