… oder doch eher Halloween?
Mal ganz abgesehen von Debatten darum, ob man an Christus glaubt oder nicht, ob man „Süßes oder Saures“ fordert oder nicht, wenn ich in den letzten Tagen in die Tageszeitung schaue (und ich bin seit meiner Jugendzeit bekennende Zeitungsleserin: Den Morgen beginne ich mit Kaffee und MT.), frage ich mich oft, ob es mir guttut, und was zum Teufel (!) eigentlich mit unserer Gesellschaft los ist. Es gruselt mich regelrecht.
In dieser Woche:
Wahl in Thüringen: Die CDU (und nicht nur die, aber in diesem Fall besonders plakativ) schiebt Verantwortlichkeiten hin und her. War es das Versagen auf Bundesebene oder hat der Landesverband etwas falsch gemacht? Und statt das Ganze in Ruhe in den entsprechenden Gremien zu bereden und dann erst an die Öffentlichkeit zu gehen, gibt es eine Schlammschlacht, wird ein Landeschef, der meiner Meinung nach pragmatisch und umsichtig handelt, zurückgepfiffen, wird nach Dogmen gehandelt, statt die letzten Jahre der realen Politik der Landesregierung in den Blick zu nehmen.
Arbeitslosenstatistik: Um möglichst gute Zahlen zu präsentieren, werden Menschen, die auf der Suche nach Arbeit sind, aus der Statistik entfernt, wenn sie das X-te Mal in einem Bewerbungstraining stecken. Oder wenn Sie älter als 58 Jahre alt (jung) sind. So werden Menschen klein gehalten. Um die Zahlen hübsch zu frisieren…
Fußball: Selbst in den unteren Spielklassen werden Schiedsrichter, die ihre oft knapp bemessene Freizeit für „ihren“ Sport investieren (nicht nur bei Spielen, sondern auch bei Fortbildungen) nicht nur beleidigt, sondern tätlich angegriffen, für vermeintliche oder tatsächliche Fehlentscheidungen…
Bundesregierung: In der Hoffnung, besser gegen Hass und Hetze, (egal, aus welcher politischen oder weltanschaulichen Richtung) angehen zu können, ist es notwendig, neue Gesetze zu verabschieden. Wann haben wir eigentlich begonnen, uns von den Regeln des Anstands zu verabschieden? Warum ist es leichter, einem Andersdenkenden in der vermeintlichen Anonymität des Internets Beleidigungen an den Kopf zu werfen oder gar mit tätlichen Angriffen zu drohen? Egal auf welchem Weg, ein gesprochenes oder geschriebenes Wort kann man nicht zurücknehmen oder ungeschehen machen. Und das Internet vergisst nicht und vergibt nicht…
Mediennutzung/Medienmissbrauch: Jugendliche verschicken über WhatsApp im Klassenchat Pornovideos von Kindesmissbrauch. Offensichtlich schafft die digitale Welt eine Distanz, die es möglich macht, dass gerade den Kinderschuhen entwachsende sich darüber amüsieren, wie kleineren körperliche und psychische Gewalt angetan wird! Dafür finde ich überhaupt keine Worte! Als Mutter, als Mitarbeiterin in der Jugendarbeit, als Mensch.
Warum werden Menschen, die sich, egal ob beruflich oder ehrenamtlich um Leben und Gesundheit anderer kümmern, bedroht? Statt es zu honorieren, dass es immer noch freiwillige Feuerwehr, DRK-Ortsverbände und Technisches Hilfswerk gibt, wird deren Arbeit sabotiert. Stand auch diese Woche in der Zeitung: in einer benachbarten Kreisstadt wurde der Feuerwehr das Wasser von irgendwelchen Chaoten abgedreht.
Ich könnte stundenlang so weiterschreiben. Aber was hilft es? Mein Vater hat mir einige „Binsenweisheiten“ beigebracht. Darunter waren: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ oder „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz“. Manchmal kommt es mir wie aus der Zeit gefallen vor. Aber das ist es nicht, wir brauchen solche einfachen und doch so wichtigen Tugenden viel häufiger.
Immerhin finden sich diese Art von Verhaltensregeln nicht nur bei unterschiedlichen Glaubensrichtungen wieder, auch diejenigen, die allen Religionen gegenüber skeptisch sind, finden sie, ob bei Kant, in der Charta der vereinten Nationen oder auch im deutschen Grundgesetz.
Einer meiner Grundsätze ist: immer wieder die Perspektive wechseln, vom Gegenüber her schauen und dann differenziert urteilen bewerten. Die Indianer in Nordamerika sagen dazu
„Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist„
Gelingt mir auch nicht immer, aber Scheitern gehört zum Menschsein nun mal dazu. Ist aber kein Grund, es zu lassen. Sondern daran zu wachsen.
Zuletzt eine kleine Geschichte über meinen Großvater. Er war seit Beginn seines Berufslebens, das vor der NS-Zeit begann, SPD-Mitglied und Gewerkschafter. Für seine Überzeugung wurde er im dritten Reich von der Gestapo abgeholt. Sein damaliger Chef war Mitglied der NSDAP (aus unternehmerischem Kalkül oder aus Überzeugung, wer weiß?) und sorgte dafür, dass Opa freikam, mit der Begründung, dass er im Betrieb unverzichtbar sei. Nach der Befreiung von den Nazis sorgte Opa dafür, dass ihm diese Haltung positiv angerechnet wurde. Quid pro Quo. Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Es ist nicht alles nur gut oder nur böse. Und jede Münze hat zwei Seiten.
Wir sollten es uns (wieder?) zum Maßstab machen, einzelne Situationen, einzelne Menschen zu sehen. Wir alle in unserer Gesellschaft müssen uns reformieren, immer wieder, täglich neu. Nicht (nur) die Politiker, die angeblich versagen. Nicht (nur) die Lehrer, die angeblich unsere Kinder nicht richtig erziehen, nicht (nur) die Ärzte, die angeblich falsche Reihenfolgen abarbeiten in der Notaufnahme. Nicht (nur) die Schiedsrichter, die angeblich keine Ahnung vom Fußball haben. Nicht nur….
Wir alle. Jede/r Einzelne. Sonst gruselt es uns bald mehr, als wir ertragen können. Und das nicht nur am 31. Oktober…
Stimmt! Bei Vielem muss ich ein „leider“ hinzufügen
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Danke. Und mir bleibt das „Gefällt mir“ fast digital im Hals stecken. Mir tut es gut, dass ich nicht allein dastehe, und es ist traurig, dass nicht mehr dagegen aktiv werden.
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