(Vorbemerkung: Wahnsinn, ich habe seit zwei Wochen nichts mehr geschrieben. Und genauso lange auch nichts mehr von euch Blognachbarn gelesen. Sorry. Aber ich brauchte diese kreative Pause, weil sich in meinem kleinen Spatzenhirn ein Gedanke eingenistet hatte, der meine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchte: Ich möchte mich selbständig machen. Darauf gehe ich aber in einem anderen Artikel ein.)
Also. Der Spruch „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ kam mir am Dienstag früh nach dem Aufstehen in den Sinn und hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Es ist eine kleine Momentaufnahme aus dem Psalm 31, der zweite Teil des Vers 9. Der Psalm wird König David zugeschrieben, und zwar dem alternden König, wie auch einzelne Verse nahelegen. Da spricht der Beter über die unterschiedlichsten Erfahrungen seines Lebens. Auch über Feinde, Götzenanbeter, Bedrängnis.
In Vers 9 heißt es komplett: „und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum.“
Wirklich? Gerade in den letzten Wochen haben wir doch alles andere als „weiten Raum“. Kontaktbeschränkungen, Home Office und Home Schooling, Kitas geschlossen, kein Ausgehen, Gottesdienste nur digital, Kultur findet nur noch über Insta und Youtube statt… Aber wir haben trotz alledem Möglichkeiten gefunden. Wir waren gezwungen, unseren Alltag, liebgewonnene Gewohnheiten auf den Prüfstand zu stellen: funktioniert das alles tatsächlich nur so, wie wir es gewohnt sind? (Allein der Umwelt zuliebe hat die Umstellung bisher jedenfalls nur so lala geklappt) Oder gelingt es vielleicht doch auch ganz anders?
Zunächst hatten die Maßnahmen ja auch durchaus den klitzekleinen Nerv der Leute getroffen, der sich nach Entschleunigung sehnte. Teilweise wurde die neue Langsamkeit und Genügsamkeit sogar euphorisch gefeiert. Nicht nur ich, sondern viele andere Blogger auch verfielen in Schreibräusche, Kulturschaffende boten ihre Programme unentgeltlich im Netz an, in der Hoffnung, dass „nach Corona“ das Publikum sich an sie erinnert und dann auch Konzerte und Live-Shows besucht. Die leeren Straßen und der klare Himmel taten ihr übriges.
Nach einigen Wochen stellte sich heraus, dass eine gezwungene Dauer-Entschleunigung auch nicht das Wahre ist (und ich begreife eigentlich immer noch nicht, warum die Proteste genau dann losgingen, als die Maßnahmen gelockert wurden. Nach dem Motto: Schnell noch protestieren, ehe es überhaupt keinen Grund mehr gibt!) Manche fielen dann in umso tiefere mentale Löcher, auch ich hatte so eine Phase des Einigelns und Eigenbrötelns.
Zu einer Zeit, als weder Autoverkehr noch Flugscham, weder Verschwörungstheorien über eine „Neue Weltordnung“ oder Viren ein Thema waren, kannte auch der große und mächtige König David gute und schlechte Zeiten.
Es ist ja auch nicht so, dass er selbst immer ein Musterknabe gewesen wäre, denken wir nur mal an Bathseba. Aber in allem, was er gut oder falsch gemacht hatte in seinem Leben, er wusste sich immer geborgen bei Gott mit seiner Liebe und Güte zu den Menschen. David hat unzählige Höhen und Tiefen erlebt, das spiegelt sich auch im Psalm wider. Die Aussagen des Psalms verlaufen in Wellen, aber immer wieder kehrt er zu Gott zurück, immer wieder ruft er IHN an: du stellst meine Füße auf weiten Raum!
Im Rückblick auf eine lange Weltgeschichte würde ich sagen, diese Erkenntnis hat sich immer wieder durchgesetzt. In allen Beschränkungen und Bedrängnissen, welche die Menschheit durch Kriege, Seuchen, Naturkatastrophen und anderes durchgemacht hat. Menschen sind immer wieder gestärkt und mit neuem Mut aus diesen hervorgegangen, haben sich neue Wege gesucht, haben neue Ideen gehabt. Nicht immer zum Vorteil, aber das erkennt man nun mal häufig erst im Nachhinein. Leben kann man nur vorwärts.
Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Eine Zusage und ein Versprechen. Es ist Zeit, diesen Raum neu zu erkunden. Oder, um es mit Gandhi zu sagen: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt“. Ist zwar ein anderer Ansatz, aber dieselbe Grundhaltung.
PS: Das Beitragsbild ist 2009 auf Norderney entstanden. (Damals noch mit einer analogen Kamera und Film. Ich hatte mich lange Zeit der Digitalfotografie verweigert. Dieser „neue Weg“ war zu der Zeit nicht meiner🙃) Kathrin war mit knapp drei Jahren dort zur Kinderkur im Seehospiz und wir hatten an einem Wochenende die Flucht ins Naturschutzgebiet angetreten, weil es im Ort vor lauter Kegelclubs und Junggesellenabschieden nicht zu ertragen war mit kleinen Kindern. So sahen wir das Städtchen Norderney an dem Tag nur aus der Ferne und im Dunst, ohne die unappetitlichen Details vollkommen besoffener Menschen. Auch unsere Zukunft nehmen wir so ungefähr wahr, leichte Konturen, noch nicht ganz klar, ohne Details.
Irgendwie müssen die Protestierend am Anfang geschlafen haben. Ich fand den Zeitpunkt auch irritierend.
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Hat vermutlich gedauert, bis man sich seine Theorien zusammengebastelt hatte. Nicht, dass sie dadurch überzeugender wären😂
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Schön, wieder von dir zu lesen und dann auch noch Gedanken, mit denen ich auch seit Wochen schwanger gehe und mal hierhin und mal dorthin tendiere. Spannend ist wirklich die Frage: was bleibt übrig – was lernen wir aus dieser Krise?
Einen lieben Gruß
Anna-Lena
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Das hin und her gehört dazu, denke ich. Wie sollen wir denn sonst herausfinden, wo unsere Position im Leben ist? Solange wir dabei nicht nur unser Ego, sondern auch die Anderen im Blick haben, ist das in Ordnung. Ja, auch ich bin gespannt, ob wir gesamtgesellschaftlich eine gute Lehre daraus ziehen. Ich hoffe es…
Einen schönen Sonntagabend für dich.
Anja
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Für dich auch, und deine Hoffnung teile ich gern mit dir,
Anna-Lena
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