|Werbung, unbezahlt|
Heute geht es um Grenzen. Zu Beginn des Kapitels vergleichen die Autoren das Auftauchen des Coronavirus mit einem zerstörerischen Dinosaurier, der in einem schicken Upper-Class-Wohnzimmer wütet. Dieser Vergleich, der mich anfangs amüsiert, ist aber ein gutes Bild: So, wie wir dem Dinosaurier mangels Kommunikationsmöglichkeit keinen Einhalt gebieten können (und ja erstmal sowieso nicht mit seinem Auftauchen gerechnet haben), so geht es uns auch mit dem Virus: Es führt uns an ungeahnte Grenzen! Uns, den Menschen, die Meister sind im Verschieben von Grenzen, zeigt es unsere Begrenzung. Die zeitliche ebenso wie die räumliche.
Auch auf das zweite große Thema unserer Zeit trifft es zu, dass wir als Menschheit uns wenig um Grenzen scheren: Klimawandel. Wir bemerken ihn zwar, aber wir begreifen ihn nicht als Grenze, wir versuchen eher, ihn mit immer mehr Technologie und mit unserem Eindringen in den Weltraum vor uns her zu schieben.
Grenzen begreifen wir vor allem als Einschränkung, aber ohne Selbstbegrenzung wird es nicht weiter funktionieren. Für uns klingt „Begrenzung“ aber sehr nach „Verbot“ und wer will das schon? Auch und gerade in der Politik suchen wir, ob bewusst oder unbewusst, nach einer ganz anderen Qualifikation: Tadaaa! Ich präsentiere den Gestalter (ich habe lange überlegt, ob ich das jetzt gendere, habe mich aber bewusst dagegen entschieden😉. Denn gestern ließ Herr Lindner verlautbaren, dass seine Partei so richtig Bock auf Gestaltung hat…)
Zurück zum Thema und zu den Grenzen. Die Fragen kennen wir alle: „Warum immer den großen SUV im Stadtverkehr herummanövrieren? Warum nicht einfach etwas weniger Fleisch essen?“ (S. 110) Auch der teuerste Markengrill fühlt sich nicht unmännlich, wenn man Gemüse drauflegt, denke ich mal so. Es ist also nicht nur eine Frage des „Männergrillens“ oder des „Frauengrillens“, um es mal mit einer Werbekampagne aus 2019 zu formulieren. Ernüchternde Antwort: Forderungen der (Selbst-)Begrenzung sehen viel zu viele von uns immer noch als Ideologie (gern links-grün-versifft, man denke an den verunglückten Vorschlag zum Veggie-Day), nicht als Notwendigkeit. Indem wir uns weigern, uns zu begrenzen, rauben wir Lebensgrundlagen. Natürlich nicht unsere eigenen, sondern die der Nachfolgegenerationen, aber das spüren wir ja dann vermutlich nicht mehr.
Um hier gegenzusteuern, braucht es vor allem Grenzen für eine unserer heiligsten Kühe: für das Wirtschaftswachstum. Bereits seit 1972 plädiert der Club of Rome für Wachstumsbegrenzung. Ich selbst bin der Meinung, wir setzen zu häufig auf das verkehrte Wachstum.
Es geht noch ein bisschen weiter in diesem Kapitel und die Autoren plädieren aus ihren jeweiligen Fachgebieten* heraus für ganz ähnliche Dinge wie andere AutorInnen, die ich im vergangenen Jahr gelesen und hier beschrieben habe.
Beim Nachdenken über Grenzen geht mir jedoch ein ganz anderes Bild nicht aus dem Kopf: Unruhige Babys „puckt“ man, das heißt, man wickelt sie fest in Tücher, so dass sie rund um ihren Körper eine deutliche Grenze spüren. Wenn unsere größeren Kinder Ausraster haben, können wir ihnen recht effektiv damit helfen, dass wir sie fest in den Arm nehmen und halten, bis sie sich beruhigt haben. „Gehalten werden“ ist übrigens auch wichtig zur Trauerbewältigung. Erwachsene, die unter unruhigen Schlafstörungen leiden, benutzen besonders schwere Bettdecken, um unter dieser spürbaren Begrenzung zur Ruhe zu kommen.
Im Endeffekt gehen sogar die neuesten Corona-Bestimmungen in diese Richtung, wenn auch recht abstrakt.
Was passieren kann (oder zwangsweise passieren muss?), wenn Menschen Grenzen außer Kraft setzen wollen, das mussten die US-Amerikaner gestern leider in Washington erleben…
Es geht immer noch um:
Harald Lesch/Thomas Schwartz, Unberechenbar – das Leben ist mehr als eine Gleichung, Herder Verlag, ISBN 978-3-451-39385-3, € 18,- (Österreich € 18,60) [Und nicht vergessen: bitte beim lokalen Buchhändler eures Vertrauens bestellen😉]
*Harald Lesch ist Astrophysiker, Naturphilosoph und Fernsehmoderator. Auch als erfolgreicher Buchautor ist er bekannt. Thomas Schwartz ist Theologe und Philosoph, geweihter Priester (Pfarrer in Mehring) und lehrt Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Augsburg.
Grenzen sind nicht immer schlecht. Und das sage ich, die ich aus dem Osten komme 😊
Im Ernst, dieses Thema ist so groß, da will man selbst anfangen zu philosophieren und stößt dabei schnell an Grenzen. Zum Verrücktwerden, irgendwie …
Hauptsache, all den beängstigenden antidemokratischen Entwicklungen, in den USA wie anderswo, werden endlich Grenzen gesetzt. Besser wäre: ein Riegel vorgeschoben.
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Du hast recht, wir brauchen Grenzen. Nicht solche wie den eisernen Vorhang, aber wer keine Grenzen kennt, verliert den Halt.
Und der orangene Mann fürchtet vermutlich unter anderen die drohenden (Schloss und) Riegel…
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