Schwarz – weiß

Kennt ihr die folgende Situation? Ich wurde vor einiger Zeit mal gefragt, wer mir in meinem Leben als Vorbild dient. Hm, da gibt es einige. Meine Antwort war damals „Nelson Mandela“. Prompt kam von meinem Gegenüber die Antwort: „Aha, ja. – Aber der hat doch auch seine Frau geschlagen!“ Unausgesprochen klang mit, dass man so jemanden doch nicht als Vorbild angeben darf. Erstens, ich weiß es einfach nicht, ob er seine Frau geschlagen hat. Zweitens, und das wird heutzutage zwar niemandem passen, ich finde die Erwähnung trotzdem wichtig: auch Nelson Mandela war Kind seiner Zeit und seines Kulturraumes. Das soll nichts Falsches relativieren, nur erklären. Jeder von uns weiß wohl, wie sehr man geprägt wird von seinem Aufwachsen, auch wenn man meist „alles anders machen will als die Altvorderen“. (Zum Recht auf Züchtigen von Ehefrauen in der deutschen Geschichte habe ich zwar nichts finden können, bitte aber zu bedenken, dass viele Rechte, die uns Frauen von heute in Deutschland so selbstverständlich vorkommen, so alt auch noch nicht sind. Unsere Mütter hatten sie teilweise noch nicht und durchgesetzt sind auch nicht alle.) Und drittens gilt mir sein Umgang mit der Apartheid, seine feste Überzeugung, dass alle Menschen mit denselben unverbrüchlichen Menschenrechten ausgestattet sind, als Vorbild. Und auch sein nicht-revanchistischer Umgang mit den Weißen nach dem Ende der Apartheid.

Hätte ich damals „Mutter Theresa“ gesagt, wäre die Antwort möglicherweise gewesen: „Ach. Wusstest du denn, dass sie sehr lange Zeit ihres Lebens mit Gott gehadert hat? Wie darf denn eine solche Person eine führende Ordensfrau sein?“ Als ob das ihre praktische und fruchtbare Arbeit für die Ärmsten, die Leprakranken und die Frauen in Indiens Gesellschaft im Wert mindern würde.

Wenn man ein fußballbegeistertes Kind fragt, welches Vorbild es im Fußball hat, das Kind sagt begeistert „ich möchte mal so schön spielen können wie Ronaldo“ und man antwortet ihm: „Das würde ich mir an deiner Stelle nochmal überlegen, denn keiner kann so schön Schwalben fabrizieren, theatralisch auf dem Rasen liegen und leiden. Und die Steuer hat er auch hinterzogen!“, dann reduzieren wir das Vorbild des ehrgeizigen Sportlers auf seine menschlichen Schwächen.

Klar, wer in der Öffentlichkeit steht, sollte sich genau überlegen, ob Bekanntheit nicht auch gewisse Verantwortung in ethischer, moralischer oder gesetzlicher Hinsicht mit sich zieht, aber dadurch wird man nicht automatisch fehlerfrei.

Für praktisch jeden Menschen der Geschichte, der heute in irgendeiner Hinsicht Vorbildfunktion einnehmen kann, ist es möglich, vermeintlich dunkle Punkte oder Brüche in dessen Biografie zu finden. Ja natürlich! Es handelt sich um Menschen! Menschen, die Fehler machen, Menschen, deren Leben und Denken Entwicklungen mitmacht, nicht immer zum Guten, und oft ist es auch erst lange nach deren Lebenszeit möglich, die Folgen ihrer Überzeugungen und ihrer Arbeit abschließend zu beurteilen, wenn überhaupt. Mal ganz davon abgesehen, dass eine Würdigung oder Verurteilung ja dann auch noch immer vom persönlichen Weltbild des Betrachters abhängt.

Wir alle stehen ständig im Spannungsfeld zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Oben und Unten, Richtig und Falsch. Zu oft vergessen wir die Nuancen dazwischen, die Dreidimensionalität, die Grautöne und erst recht die vielen unterschiedlichen Farben oder schlicht die Alltagsdinge, die uns zum Durchwurschteln zwingen. Zwei Sätze aus der Bibel fallen mir dazu ein:

„Wer von euch noch nie gesündigt hat, soll den ersten Stein [auf sie] werfen“ (Johannes 8,7b, Übersetzung: Hoffnung für Alle). Also: fassen wir uns mal alle zusammen an die eigene Nase. Ich, du, er sie, es, wir, ihr und sie.

Und der zweite Satz ist die Jahreslosung für 2021: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36, Luther 2017). In den letzten Jahren hatten wir gefühlt lange keine Jahreslosung, die so sehr auf die Herausforderungen des beginnenden Jahres passt. Bemerkenswert, weil die Jahreslosung immer drei (!) Jahre im Voraus ausgewählt wird.

Autor: Annuschka

Ostwestfälisch beharrlich, meistens gut gelaunt, Buchhändlerin, Ehefrau, Mutter von drei tollen Töchtern, Hundemama, Jugendarbeiterin (in zeitlicher Reihenfolge des Auftretens). Mit vielen Interessen gesegnet oder geschlagen, je nach Sichtweise ;-)

3 Kommentare zu „Schwarz – weiß“

  1. Du sprichst mir aus der Seele. Ich erinnere mich, dass ich auf die Aussage, dass ich die Stimme und Musik von Eminem mag, gesagt bekam: Aber der nimmt doch Drogen, wie kannst du nur? Diese Einfalt und Engstirnigkeit ärgert mich maßlos. Ich antwortete dann, ich wolle ihn ja nicht als Paten für meine Kinder, sondern nur seine Musik hören. Am liebsten hätte ich etwas boshafter gesagt, dass dies womöglich das Geheimnis seiner wundervollen Stimme sei.

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