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Ein Gespräch in Buchform, von Naika Foroutan und Jana Hensel
Briefromane oder auch Emailromane kennen wir. Dieses (Sach-)Buch ist aber eine Diskussion zwischen zwei Frauen, die nicht immer einer Meinung sind, aber voller Wertschätzung für die Positionen der jeweils Anderen.
Als erstes war ich sehr angenehm überrascht, dass die beiden sich siezen. Ich mag das unkomplizierte duzen auch gern, aber es gibt Situationen, da ist es nicht hilfreich. Das respektvolle „Sie“ schafft eine Art professioneller Distanz, die auch dafür sorgen kann, dass eine Diskussion über kontroverse Themen dort bleibt, wo sie hingehört: auf der Sachebene.
Das Buch ist aber auch durch eine starke Intensität in der Auseinandersetzung mit den Themen gekennzeichnet, welche die LeserInnen fordert, aber auch mitnimmt. Jana Hensel und Naika Foroutan reden auch nicht erst lange um den heißen Brei herum, sondern steigen gleich mit einem wichtigen Thema ein: Der Anschlag in Hanau zu Beginn des Jahres 2020. Durch die monothematische Konzentration auf die Pandemie scheint es schon jetzt sehr lange her zu sein, fast in einem anderen Leben.
Später kommen die beiden darauf zu sprechen, welche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede es in Deutschland für Menschen gibt, die entweder einen Migrationshintergrund oder eine ostdeutsche Biographie haben. Für jemanden wie mich, die weder das eine noch das andere erlebt hat, sondern deren Familie seit Generationen in Ostwestfalen im familiären Kotten verwurzelt ist, bieten sich teilweise ganz neue Sichtweisen und Perspektiven, es tut mir gut, diese zu lesen und zu reflektieren.
Das gesamte Buch möchte ich an dieser Stelle nicht ausbreiten, jede/r sollte die Möglichkeit nutzen, es selbst zu lesen.
Ich bin für mich zu dem Schluss gekommen: Manche Erfahrungen, die Menschen machen, welche nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, sind echt bitter, denn die Ausgrenzung findet ja unter anderem auch durch Leute oder deren Nachkommen statt, die nach dem zweiten Weltkrieg in Westdeutschland als Vertriebene oder ehemalige Zwangsarbeiter eine neue Heimat fanden und ebenfalls mit Vorurteilen und Ausgrenzung zu kämpfen hatten. Oder Familien, die Anfang der 1990er Jahre aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Deutschland kamen. Innerhalb von ein bis zwei Generationen ging die Erinnerung daran offensichtlich verloren. Ebenso gefährlich sind aber auch so manche „Biodeutschen“, die sich auch im 21. Jahrhundert noch als irgendwie besser fühlen.
Für mich ein absolut lesenswertes Buch, das mich noch länger gedanklich beschäftigen wird.
Bibliographische Angaben: Naika Foroutan & Jana Hensel, Die Gesellschaft der Anderen, Aufbau Verlag, ISBN 978-3-351-03811-3, € 22,–
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