oder: Der Weg zur Weltverschwörung
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Die Geschichte ist schnell erzählt und vermutlich auch nicht ganz unbekannt:
„Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an:“ Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (aus: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein)

Wie gesagt, die Geschichte ist ziemlich bekannt. Doch nicht genug damit, Paul Watzlawick führt sie auch noch ganz genüsslich aus und erklärt dabei anhand von praktischen Übungen, wie man zum perfekten Unglücklichsein kommt. Die Übungen fangen recht harmlos an, zum Beispiel: wie schaffe ich es, dass mir Schuhe, die eben noch super gepasst haben, viel zu unbequem sind. Es folgen Übungen, wie man anhand von Symptomen feststellt, dass Ärzte einem nie die Wahrheit sagen, sondern die harmlosesten Diagnosen bei tückischen Krankheiten stellen. Aber dann kommt es, was ich gleichermaßen faszinierend wie gruselig finde:
„Übung Nr. 5: Sie sind nun hinlänglich ausgebildet und offensichtlich auch talentiert, um Ihre Fähigkeiten vom eigenen Körper auf die Umwelt zu übertragen. Beginnen wir mit den Verkehrsampeln. Sie dürften bereits bemerkt haben, daß sie die Neigung haben, so lange grün zu sein, bis Sie daherkommen, und genau dann zu jenem Zeitpunkt von gelb auf rot zu wechseln, an dem Sie es nicht mehr riskieren können, doch noch über die Kreuzung zu fahren .„
Woher kennt der Mann unsere Ampel an der Kreuzung zwischen zwei benachbarten Dörfern? Egal, weiter geht es:
„Widerstehen Sie den Einflüsterungen Ihrer Vernunft, wonach Sie ebensooft auf grüne wie auf rote Ampeln stoßen, und der Erfolg ist verbürgt. Ohne zu wissen, wie Sie es eigentlich fertigbringen, werden Sie jede rote Ampel zum bereits erlittenen Ungemach addieren, jede grüne dagegen ignorieren. Sehr bald werden Sie sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß hier höhere, Ihnen feindlich gesinnte Mächte, ihr Unwesen treiben […]
Ach so ist das. Gut zu wissen.
Übung Nr. 6: Sie wissen nun um das Walten dunkler Mächte. Dieses Wissen ermöglicht Ihnen nun weitere wichtige Entdeckungen, denn Ihr Blick ist nun geschärft für erstaunliche Zusammenhänge, die der dumpfen, ungeschulten Alltagsintelligenz entgehen. […] Widerstehen Sie auch hier der Versuchung, die Sache zu bagatellisieren; begehen Sie aber auch nicht den Fehler, ihr praktisch auf den Grund zu gehen. Behandeln Sie das Problem rein gedanklich, denn jede Wirklichkeitsprüfung Ihrer Annahme wäre dem Erfolg dieser Übung nur abträglich. […] Übung Nr. 7: Sobald Sie hinlänglich überzeugt sind, daß etwas Verdächtiges vorgeht, besprechen Sie es mit Ihren Freunden und Bekannten. Es gibt keine bessere Methode, um die wahren Freunde von den Wölfen im Schafspelz zu trennen, die in undurchsichtiger Weise da mit im Spiele sind.“
Ganz klar, so geht analytisches Denken. These aufstellen und bloß nicht prüfen. Könnte ja auch schiefgehen…
„Jene werden sich nämlich trotz -oder gerade wegen – ihrer Geriebenheit dadurch verraten, daß sie Ihnen einreden wollen, Ihre Annahme habe weder Hand noch Fuß. Für Sie wird das keine Überraschung sein, denn es versteht sich von selbst, daß, wer Ihnen schaden will, das nicht offen zugibt. Er wird Sie vielmehr scheinheilig von Ihrem angeblich unbegründetem Verdacht abbringen und von seinen guten, freundlichem Absichten zu überzeugen versuchen. Und damit wissen Sie nicht nur, wer mit im Komplott drinsteckt, sondern auch, dass an der ganzen Sache wirklich etwas sein muß, denn warum würden jene >>Freunde<< sich sonst so anstrengen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen?“
Welche Schlüsse sollte ich denn jetzt ziehen ? Zunächst mal, dass Paul Watzlawick entweder ein großer Visionär war oder dass wir Menschen doch alle ähnlich gestrickt und damit auch vergleichbar zu manipulieren sind. Vielleicht auch beides. Als nächstes, dass wir vor allem Meister darin sind, uns selbst erfolgreich zu „brainwashen“. Möglicherweise auch, dass Bill Gates und andere ausgewählte angebliche Weltverschwörer offensichtlich nicht sehr belesen sind, denn sonst hätten sie sich ja besser vorbereiten können, wie man ihnen auf die Schliche kommen kann. Leider dumm gelaufen.
Vor allem aber ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Bisher wusste ich nicht, warum wir so ziemlich jedes Werkzeug selbst besitzen, auch wenn wir es nur selten brauchen. So laufen wir jedenfalls kaum Gefahr, beim Ausleihen von Hämmern oder ähnlichem Hals über Kopf in eine große Verschwörung hineinzuplumpsen. Glück gehabt. Aber stopp, es ging doch ums Unglücklichsein, oder? Ich fange noch mal bei Übung Nr. 1 an:
„Setzen Sie sich in einen bequemen Sessel, möglichst mit Armstützen, schließen Sie die Augen, und stellen Sie sich vor, in eine reife, saftige Zitrone zu beißen. Mit etwas Übung wird Ihnen die imaginäre Zitrone bald das wirkliche Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.“
Na ich weiß nicht. Bei meinem (Un-)Glück beiße ich auf einen dicken Kern und breche mir einen Zahn ab. Und wie soll ich das dann meinem Zahnarzt erklären?
(Die Zitate sind mit „daß“ gespickt, weil das Buch lange vor der Rechtschreibreform geschrieben wurde.)
Bibliografische Angaben des Titels auf dem Foto: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein / Vom Schlechten des Guten, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-24441-1, € 11,- (Österreich € 11,40)
Es lohnt sich!
Ein Gedanke zu „Die Sache mit dem Hammer“
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