
|Werbung, unbezahlt|
Das Buch ist eine Zumutung! Achtung: weiterlesen, keine Schnappatmung bitte. Eine Zu-Mut-Ung im besten Wortsinn. Er mutet und er traut seinen LeserInnen zu, sich Gedanken um unsere Gesellschaft zu machen, und zwar Gedanken, die nicht nur an der Oberfläche kratzen.
Und ehe möglicherweise einige hier abwinken, es lohnt sich nicht nur als Grünen-Wähler, dieses Buch zu lesen. Denn es bietet mehr als eine politische Vision, weil gerade in diesem Jahr Bundestagswahl ist. Ich empfinde es als ziemlich wohltuend, dass hier nicht in einer Art Haudrauf-Mentalität alles zerredet wird, was dazu geführt hat, dass wir als Land, als Gesellschaft, aber auch als Einzelpersonen, heute an dem Punkt stehen, an dem wir stehen. Das ist mir heute früh bewusst geworden, als ich die Kapitel „Das kulturelle Paradigma“ und „Wettstreit um Würde“ las. (Ihr seht, ich bin noch nicht ganz durch, aber ich muss das jetzt mal loswerden.)
Robert Habeck legt Finger in offene Wunden, aber er bleibt dabei nicht stehen, sondern er führt auch aus, wie die Entwicklungen in der deutschen Politik und Gesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg aussahen, die irgendwann (oft aus den besten Absichten unter den jeweiligen Voraussetzungen) zu diesen Wunden geführt haben. Dabei macht er vor einem gesellschaftlichen Rundumschlag nicht halt: Für Deutschland wichtige Wirtschaftszweige wie Landwirtschaft, Industrie und natürlich der gesamte Dienstleistungssektor mit seinen vielen prekären Beschäftigungsmodellen, Bildung, auskömmliches Leben, gesellschaftliche Teilhabe und Gerechtigkeit, er spart keinen Bereich aus, in dem es kriselt und wehtut.
Natürlich flicht er an der einen oder anderen Stelle Erfahrungen aus seinen früheren Ämtern in der Landesregierung Schleswig Holsteins ein und macht Werbung für die Grünen, aber er zieht an keiner Stelle über politische Mitbewerber her und andere als die eigenen Erfahrungen kann ja nun mal niemand von uns beschreiben. Insgesamt halte ich „Von nun an anders“ eher für ein philosophisches als ein politisches Buch. (Wobei für mich logischerweise beide Bereiche ineinandergreifen, schon allein von den Definitionen der Begriffe her. Es werden die zentralen Bedingungen unseres Lebens bedacht: Gemeinschaft und Sinn. Aber das kann ich euch ein anderes Mal erzählen.)
Ich könnte an dieser Stelle viele Zitate aus dem Buch anführen, die zeigen, dass die Überlegungen, die Habeck anstellt, für eine breite Öffentlichkeit interessante Denkanstöße darstellt, aber ganz ehrlich: Ich habe Probleme, hier eine Priorisierung durchzuführen, um DAS Zitat herauszustellen, das für mich die Essenz des Buches darstellt. Daher stelle ich euch eine wichtige Eingangsfrage, die er in dem Buch stellt, einfach mal weiter:
„Sind wir also tatsächlich politisch gefangen in einer Spirale aus Reaktion und Gegenreaktion? Kann es sein, dass man, je erfolgreicher man für sein Anliegen wirbt, je mehr Menschen einem zustimmen, desto stärker zum Teil einer falschen Polarisierung wird und Gefahr läuft, seinem Anliegen einen Bärendienst zu erweisen?“ (S. 21)
Es bleibt spannend.
Bibliografische Angaben: Robert Habeck, Von hier an anders, Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-05219-0, € 22,00 (geb.) auch als eBook erhältlich
PS: Ich hatte die wilde Idee, in diesem (Wahl-)Jahr mal von jedem politischen Lager einen aktuellen Titel vorzustellen. Bisher bin ich nicht ganz glücklich mit diesem Einfall. Denn da sind mir als nächstes erstmal nur Friedrich Merz und Berndjörn Höcke eingefallen… Kommentar meiner Chefin: „Willst du dir das wirklich antun?“ Da wären wir dann wieder bei Zumutung. Der Kreis schließt sich. Also: Was meint ihr? Und habt ihr konkrete Wünsche oder Vorstellungen?
Das Buch steht auch auf meiner Bestellliste ganz oben. Herzlichen Dank für’s Vorstellen . Lieber Gruß vom Dach in Hanau, Karin
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Na dann viel Spaß damit. Man muss auch nicht unbedingt jede seiner Thesen übernehmen, um das Buch als bereichernd zu empfinden, allein das Nachdenken über einige Themen bringt schon viel.
Liebe Sonntagsgrße zurück, Anja
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