|Werbung, unbezahlt|
đ Gib’s zu, das Wort hat Hangman-QualitĂ€ten! Gestern gab es BettlektĂŒre, heute suchte ich ein Synonym (danke, Duden) fĂŒr den Sessel.
Ich muss gestehen, ich bin ein Fan von Mailab. NatĂŒrlich war ich total neugierig auf Mai This Buch. Ganz ohne Corona kommt es auch nicht aus. So ist das, wenn man in dieser Zeit dabei ist, ein Sachbuch zu konzipieren, das sich mit aktueller Thematik beschĂ€ftigt. Und der Kampf zwischen Wissenschaft (vorsichtig, das sind nicht immer „harte Fakten“) und der gefĂŒhlten Wahrheit ist ja nicht erst 2020 in Erscheinung getreten.
Was wir aber alle im letzten Jahr bemerkt haben: Es rĂ€cht sich, wenn Wissenschaft jahrzehntelang als „Elfenbeinturm“ wahrgenommen und auch teilweise von Wissenschaftlern als solcher zelebriert wurde. Auch wenn es viele von uns irgendwann mal am Rand in der Schule gehört haben, ist es relativ unbekannt, dass Wissenschaft eben nicht (nur) aus betonfesten Fundamenten und kruppstahlharten Fakten besteht, sondern vor allem aus „Trial and Error“, beziehungsweise, dass es darum geht, aufgestellte Thesen entweder zu festigen oder zu widerlegen.
Bemerkenswert finde ich persönlich, dass auf der einen Seite in den letzten Jahren ein regelrechter Hype um Plagiate entstanden ist, es wird den TrĂ€gern akademischer WĂŒrden oftmals ein schlampiges Zitiergebaren zum VerhĂ€ngnis, also die Messlatte sehr hoch (zu Recht) angelegt. Andererseits wird aktuell mit sogenannten „Studien“, die wissenschaftlich gesehen kein bisschen die festgelegten Kriterien fĂŒr ebensolche erfĂŒllen, um sich geschmissen, damit „alternative Fakten“ Gehör finden. Aber wie gesagt, das ist es nur, worĂŒber ich mich manchmal wundere.
ZurĂŒck zum Buch. „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefĂ€lscht hast“ ist ein bekannter Ausspruch. Ăhnliches gilt fĂŒr MaĂstĂ€be, die der Bewertung von Studien zugrunde liegen. Es ist die groĂe StĂ€rke der Autorin, umfangreiche ZusammenhĂ€nge in Allerweltsdeutsch (sie schreibt so, wie sie in ihren Videos spricht) zu erklĂ€ren, das macht richtig SpaĂ zu lesen.
Sie erklĂ€rt die Problematik der Bewertung von DrogenschĂ€dlichkeit ebenso wie die Schwierigkeit, psychologische Studien, zum Beispiel zur Korrelation von „Ballerspielen“ und AmoklĂ€ufen, sachlich zu deuten. Und auch die Grenzen, an die Wissenschaftler dabei stoĂen. In den folgenden Kapiteln arbeitet sie sich an so ziemlich jedem aktuellen, kontroversen Thema ab:
Gender Pay Gap, Big Pharma vs. Alternative Medizin, Impfung, Erblichkeit von Intelligenz, Warum denken Frauen und MĂ€nner unterschiedlich (Spoiler: in jeder Frau steckt ein Teil Mann und umgekehrt. So eindeutig, wie manche Vertreter althergebrachter Traditionen es gerne hĂ€tten, ist kaum jemandđ€·ââïž), Sind Tierversuche ethisch vertretbar.
Im letzten Kapitel geht es um die Schlussfolgerung, nĂ€mlich, dass wir die „Kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ brauchen, das Interesse am wissenschaftlichen Streit ebenso wie das am wissenschaftlichen Konsens. Und vor allem kritisches Denken, Dinge nicht einfach hinnehmen, sondern hinterfragen. Bevor jetzt mancher denkt „Siehste! Sag ich doch“ kommt der dicke, wichtige Nachsatz: „Zu einer gesunden Skepsis gehört, kritisches Denken in allen Bereichen anzuwenden, auch bei sich selbst.[…] -doch man muss auch das Bewusstsein besitzen, dass man selbst nicht vor FehlschlĂŒssen gefeit ist. Genau deswegen gibt es wissenschaftliche Methoden.“ (S. 338f)
Jetzt suchen wir alle mal gemeinsam unsere Nasen und ruckeln krĂ€ftig daran. đ
Ach so, was ich schon lange mal loswerden wollte: SachbĂŒcher lesen bedeutet in erster Linie, sich mit Themen genauer auseinandersetzen. Logisch, dass man das hĂ€ufig lieber mit Themen oder Autoren macht, wo man sich auf einer WellenlĂ€nge fĂŒhlt. Allerdings habe ich noch nicht ein einziges Buch gehabt, bei dem ich von vorne bis hinten mit Autor oder Autorin einer Meinung gewesen wĂ€re. Ich glaube, das hĂ€tte ich auch erschreckend gefunden. Genauso, wie ich BestĂ€tigung brauche, brauche ich auch Reibung, Differenz. Und kann trotzdem einem Buch oder Aufsatz WertschĂ€tzung schenken, weil ich anerkenne, dass der Mensch, der das geschrieben hat, sich schon lange (und zwar aktuell, nicht vor zwanzig Jahren) und viel besser als ich in seinem Thema auskennt, und dass er eine anstrengende Leistung vollbracht hat.
Bibliographische Angaben:
Mai Thi Nguyen-Kim, Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit, Droemer Verlag, ISBN 978-3-426-27822-2, ⏠20,-
Wenn es ein so kluges Buch ist, wie du es beschreibst, möchte ich es gerne lesen. In den ewig gleichen Debatten rund um Corona wĂ€re etwas frischer Wind Wind und ein neuer Blickwinkel sehr wĂŒnschenswert
LikeGefÀllt 1 Person
Na ja, zumindest empfinde ich es als kluges Buch. Und es bezieht sich ja eher am Rand auf Corona, eher im Allgemeinen darauf, wie wissenschaftliches Arbeiten lĂ€uft bzw. laufen sollte. Und es rĂ€umt mit gĂ€ngigen Vorurteilen auf, zum Beispiel ĂŒber den Ablauf von Arzneimittelforschung und den Stand alternativer Medizin. Dass zum Beispiel bei Homöopathie ganz andere MaĂstĂ€be angesetzt werden, da muss niemand die Wirksamkeit in Doppelblindstudien nachweisen. Es reicht, dass das Zeug keinen nennenswerten Schaden anrichtet.
Ich habe meine Kinder und mich frĂŒher auch mit SchĂŒssler-Salzen behandelt und einen Nutzen daraus gezogen. Es ist nur unklar, ob Achtsamkeit und mĂŒtterliche Zuwendung vielleicht auch mit Traubenzucker-Drops gewirkt hĂ€tten. Immerhin ist auch erwiesen, dass selbst Patienten, die wissen, dass sie Placebos bekommen, eine Linderung ihrer Leiden verspĂŒren. Damit bekommt die „Sprechende Medizin“, also Zuwendung statt Abfertigung im 5-Minutentakt, wieder eine ganz andere Bedeutung, denn heilsam ist offensichtlich hĂ€ufig schon das bewusste Wahrnehmen und noch wichtiger: Ernst nehmen des Patienten.
Wie gesagt, man muss auf keinen Fall mit allem ĂŒbereinstimmen, aber die DenkanstöĂe finde ich schon mal ziemlich klasse.
LikeGefÀllt 1 Person
Es gibt ja keine Studien, die die Wirksamkeit von Homöopathie ĂŒber den Placebo-Effekt hinaus beweisen. Ein weiteter Beweis fĂŒr die nicht vorhandene Wirkung ist fĂŒr mich, dass auch von Seiten der Homöopathen keine irgendwie objektivierbaren Ergebnisse vorgezeigt werden.
LikeGefÀllt 1 Person
Eben. Deswegen bin ich fĂŒr mich auch zu dem Schluss gekommen, dass die gefĂŒhlte Wirksamkeit mehr mit dem Umgang zu tun haben als mit dem PrĂ€parat.
LikeLike