… oder: Manchmal kommt es anders, aber nicht unbedingt schlechter.
Heute sollte es losgehen, ich hatte es ja bereits angekündigt. Der Sigwardsweg geht quasi hinter unserer Haustür her, eigentlich beginnt die erste Etappe am Mindener Dom, aber ich bin an der zweiten Etappe „eingestiegen“. Denn an Christi Himmelfahrt findet in unserer Gemeinde seit Menschengedenken der Gottesdienst um 8 Uhr morgens „Outdoor“ statt. Also auch zu Zeiten, als es das Wort noch überhaupt nicht gab. Auf dem Jakobsberg am Fernsehturm versammelt sich die Gemeinde und der Posaunenchor, heute auch trotz reichlich Frischluft mit Kontaktnachverfolgung und Masken.
Nach dem Gottesdienst ging es los, mit Freunden, deren Hund und Kalle übern Berg bis Nammen, dort ließ ich Kalle dann abholen, sein Rheumaschub ist zwar vorbei, aber ich wollte ihn nicht zu sehr anstrengen. Allein machte ich mich auf den weiteren Weg und zunächst war ich bis auf zwei Paare, die mir entgegenkamen, allein unterwegs.
Als ich dann aber den Hauptwanderweg, der sich über den Gebirgszug in ganzer Länge zieht, erreichte, traf ich immer mehr Männer. Mit Bierflaschen in der Hand und dem Rucksack auf dem Rücken wandernd, Pause machend (auch mit der Bierflasche) an jeder verfügbaren Bank; ich ahnte, dass es mit dem Alleinsein heute etwas schwierig werden könnte.

Kurzerhand machte ich einen Mini-Abstecher (keine 50Meter) vom Hauptweg zu „Korffs Quelle“, weil mir bei dem Hinweisschild einfiel, dass wir dort ein paarmal Rast gemacht hatten, als ich noch ein Kind war, Anfang der 70er Jahre. In meiner Erinnerung fand ich beim besten Willen nichts mehr, wie es damals aussah, nur der Name war noch präsent.
Dem offiziellen Wegverlauf bin ich nicht gefolgt, da ich in Nammen nicht den Weg zur Laurentiuskapelle gemacht habe, die kenne ich auch so ganz gut. Gekreuzt habe ich ihn sicher einige Male, aber leider fand ich an keiner einzigen Kreuzung Hinweise mit dem Kennzeichen, nur die von der Stadt Porta oder der Weserberglandtouristik aufgestellten Schilder. Die im Titel abgebildete Karte ist leider vom Maßstab her nicht besonders augenfreundlich, selbst wenn man die Wanderwege bei uns im Berg einigermaßen kennt, kann man nicht auf Anhieb sagen, welches denn jetzt gerade die eigentliche Route ist. Ich habe aber auch keine Lust, die ganze Zeit mit gezücktem Handy durch den Wald zu laufen.

Naja, die Sache mit dem Weg war mir letztlich auch egal, ich wusste ja immerhin, in welche Richtung ich wollte. Außerdem war ich gut damit beschäftigt, den Leuten auf Nebenwegen auszuweichen und meinen persönlichen Geh-Rhythmus zu finden. Das war nicht so einfach, denn durch die kaputten Sehnen komme ich mit meiner früheren Schrittlänge nicht mehr klar, aber aus jahrzehntelanger Gewohnheit mache ich immer wieder zu ausgreifende Schritte. Es ist nicht so, dass ich tippeln müsste oder so, aber zwischen 15 und 20 Zentimeter fallen pro Schritt weg, je nachdem, ob ich bergauf oder bergab gehe. Dadurch muss ich mich immer wieder darauf konzentrieren, so zu gehen, dass der Oberschenkelmuskel nicht verkrampft. Es dauert wohl seine Zeit, sich da umzugewöhnen.
Pilger erzählen immer wieder, dass ihnen auf einzelnen Etappen ihres Weges bestimmte Tiere immer wieder begegnen. Nun, Tiere waren es bei mir heute nicht, aber Baumpilze (Heißen die eigentlich wirklich so? Wahrscheinlich eher nicht.) sah ich an einigen Stellen. Zunächst fand ich es nicht weiter bemerkenswert, aber nach dem dritten Mal begann ich, sie zu fotografieren. Die vielen Männertrüppchen wollte ich aber nicht ablichten. Da war der Jogger, der mich an einer Wegkreuzung (mit reichlicher Beschilderung) fragte, wo er denn am optimalsten nach Bückeburg käme. Leider nahm ich denselben Weg wie er, ein olfaktorisches „Highlight“, denn er hatte sich vor dem Joggen anscheinend mit einem halben Liter Aftershave übergossen. Die Duftspur blieb über dem Weg wabernd hängen… Und da war die Gruppe junger Männer, die nicht nur ihre Biervorräte, sondern auch noch einen Ghettoblaster in den Wald geschleppt hatten. Aber auch der einsame Wanderer, der an der „Waldschule“ ein gesundes Picknick mit Tomaten, Möhren und Mineralwasser zu sich nahm.
Irgendwann war es aber so weit, ich kam aus dem Wald wieder raus und ging zwischen Wald und Weiden auf einem Wirtschaftsweg Richtung Wülpke, es blühte mit Löwenzahn, Wiesenschaumkraut, Vergissmeinnicht und dem Weißdorn am Wegesrand rund um mich herum, einfach wunderschön.

Das Tagpfauenauge hatte offensichtlich einen Kampf gegen einen hungrigen Vogel gewonnen, allerdings mit Verlusten. Der linke Flügel verstümmelt, so taumelte er ein wenig unbeholfen von einem Löwenzahn zum nächsten, ließ mich aber geduldig fotografieren.
Tja, ich schaffte es immerhin noch bis Kleinenbremen, aber dort angekommen, ungefähr zwei Kilometer vor meinem Tagesziel, musste ich erkennen, dass ich meine Kräfte aufgebraucht hatte.

Die Erhebung rechts am Horizont ist die Kalihalde (Kalimandscharo) in Bokeloh, einem Ortsteil von Wunstorf. Kurz davor liegt aus dieser Richtung betrachtet der Ort Idensen mit der Sigwardskirche. Der Bischof Sigward von Minden ließ sie als Grabeskirche bauen und ist dort bestattet. Das ist mein Ziel, das ich etappenweise unter die Füße nehmen möchte. Aber erst muss ich vor allem neue Wanderschuhe haben. Heute habe ich festgestellt, dass meine Schuhe nicht mehr kompatibel zu meinen Füßen und auch zu den ganzen Beinen sind, obwohl ich sie bis letztes Frühjahr gern und viel getragen habe. Ich habe das Gefühl, die Verkrampfung im rechten Oberschenkel hatte nicht nur etwas damit zu tun, dass ich so lange Strecken länger nicht gegangen bin, sondern auch damit, dass ich nicht das beste Gefühl in den Schuhen hatte. Kam ich mit den recht harten Sohlen vor den Sehnenrissen sehr gut klar, wünsche ich mir jetzt etwas weichere Schuhe, die sich besser abrollen lassen und mir einen stärkeren Bodenkontakt ermöglichen.
Alles in Allem ein nicht gänzlich verunglückter Start. Ich brauche neue Schuhe, hoffe, demnächst auf unbekannteren Wegen Hinweisschilder für den Sigwardsweg zu finden und habe gedanklich Ausflüge in meine Kindheit gemacht, ausgelöst durch das, was ich am Weg zu sehen bekam.
Als ich auf dem Parkplatz eines Edeka-Ladens auf meine Abholung wartete, kamen noch einmal nostalgische Gefühle auf, der Ausblick auf die automatisierte Leergutannahme und das Schild „Hausgemachte Wurstwaren“ ließen mich mal wieder an den winzigen Edeka meiner frühen Kindheit denken, der direkt neben der Dorfkneipe lag und wo die Kassiererinnen im weißen Kittel mit blau-gelben Abzeichen das Leergut noch einzeln annahmen und die Flaschen in leere Getränkekisten stellten. Nein, ich wünsche mir nicht wirklich die 70er Jahre zurück, aber manche der langsamen und bedächtigen Tätigkeiten und Arbeitsweisen täten uns heute auch noch ganz gut.
… und die Kassiererinnen wussten, welche Sorte Butter die Mutter bevorzugte und mich barsch zurückschickten, wenn ich die falsche aus dem Regal genommen hatte.
Die Pilze kenne ich als Baumschwämme/ Buchenschwämme, aber ich bin das Gegenteil einer Pilzkennerin, gerade schlau genug, nicht in einen Fliegen- oder Knollenblätterpilz zu beißen.
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Buchenschwamm, das ergibt Sinn. Waren ja alles Buchen.
Butter kaufte ich am liebsten mit Mama in Minden im sog. Butterhaus. Dort lagerte man die selbstgemachte Butter in zwei Schüsseln mit Eiswasser, in einer war gesalzene, in der anderen ungesalzene. Wenn man „1/2 Pfund Butter“ haben wollte, wurde ein Klumpen abgestochen und auf einem Bogen Wachspapier mit zwei Butterpaddeln zu einem Quader geformt und geschlagen, bis das Wasser raus war.
Diese Butter war ein Traum.
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