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War es der kryptische Titel des Buches, die quietschgelbe Farbe, die Illustration mit Kaffeekanne und Porzellanfilter einer international bekannten Firma aus meiner Heimatstadt Minden oder die sehr gelungene Kombination aus allen dreien, die mich neugierig gemacht hat? Die mich heute Mittag bewogen hat, das Leseexemplar herunterzuladen und dann auch komplett heute noch „einzuatmen“? Ich weiß es nicht und eigentlich ist es auch vollkommen egal, aber eins ist klar:
Wenn man Spaß hat an skurrilen Geschichten und Familienkonstellationen, wenn man Szenen wie einst von Loriot mag und einen lakonischen, eher sachlich-distanzierten Erzählstil, dann ist man mit diesem Buch von Alina Bronsky bestens bedient. Beim Lesen marschierten mir tatsächlich bruchstückhaft immer mal wieder Personen und Orte (typische 60er Jahre Siedlungshäuser mit Möbeln im Gelsenkirchener Barock, Gobelinvorhängen und runden Buntglasfenstern neben der Eingangstür) durchs Hirn, die ich aus meiner Kindheit und Jugend kannte und die in den letzten Jahren alt geworden waren. Menschen, die das Rollenbild tatsächlich noch gelebt haben, das die Autorin hier genüsslich und mit der Faszination des leichten Grauens ausbreitet.
Was am Anfang noch an Loriot und Evelyn Hamann denken lässt, entwickelt sich zum Psychogramm einer „normalen“ Familie, in der mit spießbürgerlicher Gründlichkeit alles unter den Teppich gekehrt wurde, was eben nicht normal war. Und da entwickelt sich im Lauf der Geschichte so einiges: vom Trauma der Nachkriegsidentität mit Migrationshintergrund aus den Ostgebieten, dem behinderten Sohn, der im Heim ein tristes Leben führt, vor allem vom gestrengen Vater lange verleugnet; vom zweiten Sohn, der eine „Exotin“ geheiratet hatte, deren Namen anscheinend unaussprechlich war; von der Tochter, die mit ihrer „besten Freundin“ zusammenlebt. Und von dem traurigen Alltag eines Ehepaares, das in (vor allem für den Mann) perfekter Aufgabenteilung jahrzehntelang nebeneinander her lebt.
Obwohl es mich beim Lesen immer mal wieder etwas wohlig gegruselt hat vor lauter Vorspiegelung falscher Tatsachen und verdrehtem Spießbürgertum, hatte ich aber auch eine voyeuristische Freude daran, bei der Enthüllung aller Baustellen von außen zu beobachten und zu lauschen:
Ich habe es genossen!
Bibliographische Angaben: Alina Bronsky, Barbara stirbt nicht, Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-00072-6, € 20,-
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