
„Wie sichert ein politisches System sein Überleben? Vor allem eines, das so hohe Anforderungen an seine Bürger stellt wie das unsere? So altbekannt die Frage nach der richtigen Balance von Sicherheit, Stabilität und Freiheit sein mag, so unvermindert wichtig ist sie in Anbetracht heftiger werdender gesellschaftlicher Konflikte. Zentral erscheint mir dabei eine gefährliche Tendenz, die immer stärker im Diskurs zu bemerken ist:
Die Gleichsetzung von Demokratie mit Beliebigkeit und Freiheit mit Grenzenlosigkeit
Diese falsche Gleichsetzung war der Hauptanlass für die Idee dieses Buches. Sie birgt das Potenzial in sich, unsere demokratische Gesellschaft auf lange Sicht zu zerstören. Auf Grundlage dieser Gleichsetzung entstehen lautstark Meinungen, die behaupten, in einer Demokratie dürfe jeder alles, und wenn dem nicht so ist, dann sei dies ein sicheres Anzeichen für eine Diktatur.
Doch wer einen Blick in das Grundgesetz wirft, wird schnell feststellen, dass diese Behauptung falsch ist. Eine Gesellschaft benötigt Regeln und Grundwerte, die die Basis unseres Handelns bilden. Sie benötigt Grenzen dessen, was akzeptiert ist, sowie dessen, was nicht toleriert werden darf. Dies ist kein Kennzeichen einer Diktatur, sondern einer selbstbewussten wehrhaften Demokratie. Die Freiheiten, die wir genießen dürfen, sind nicht grenzenlos, und das sollten sie auch nicht sein. Denn das Zusammenleben vieler verschiedener Menschen braucht gegenseitige Rücksichtnahme und manchmal sogar die Begrenzung eigener Handlungsmöglichkeiten.“
Dieser Absatz ist ein Zitat aus dem ersten Kapitel des Buches. Und damit ist eigentlich auch alles wichtige gesagt.
Wir alle sehen seit fast zwei Jahren, dass es mit dem Verständnis von Demokratie , Solidarität, Freiheitsrechten usw. nicht so weit her ist, wie es nach einer langen friedlichen Phase von über 70 Jahren sein könnte und wie es wünschenswert wäre. Oder vielleicht gerade, weil wir seit so langer Zeit ohne größere Konflikte, gar Kriege in unserem Teil der Welt leben?
Warum haben sich Teile der Bevölkerung vom gesellschaftlichen Konsens verabschiedet, weshalb scheint bei anscheinend immer mehr Leuten der innere Kompass zunehmende Missweisungen zu zeigen?
Und wer muss eigentlich dafür sorgen, dass die Werte der Demokratie eingehalten und ihre Grenzen respektiert werden? Ist das die Aufgabe der Politik, der Polizei oder eventuell sogar jedes einzelnen Einwohners eines Landes, in unserem Fall Deutschland?
Dieser Thematik gehen die Autoren auf den Grund, und weil das Thema so komplex ist, tun sie das im Verbund mit vielen unterschiedlichen Forschern, Journalisten, Politikern, Kulturschaffenden. Nicht jeder Essay in diesem Buch spiegelte meine Meinung wider, und das ist auch gut und richtig so. Gerade die Vielfalt und die Auseinandersetzung mit Positionen, an denen ich mich reibe, stellt doch die Stärke der Demokratie und unserer Gesellschaft dar.
Bibliographische Angaben: Eric Hattke / Michael Kraske, Demokratie braucht Rückgrat, Ullstein, ISBN 978-3-548-06549-6, € 12.99
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