Montag früh. Es ist noch dunkel, als ich mich auf den Weg nach Rinteln mache. Blutabnahme ist angesagt, Kontrolle der neuen Medikation. Eins meiner Probleme ist die tagesformabhängige Performance meiner Augen, dazu bin ich seit jeher nachtblind. Grund genug, im morgendlichen Berufsverkehr vorsichtig zu fahren, vor allem bei Gegenverkehr, der mich blendet.
Das hat natürlich zur Folge, dass das Auto hinter mir fast in meinen kümmerlichen Kofferraum kriecht. Und für mich bietet es den Anlass zu dieser Überlegung:
Hast du schon mal im Auto eine mehrstöckige Hochzeitstorte transportiert? Oder ein Kind, dem beim Autofahren schlecht wird, möglichst ohne Übelkeit durch eine kurvenreiche Strecke befördert? Oder ähnlich knifflige Sachen? Es ist wohl logisch, dass man dann langsam in die Kurven fährt, Erschütterungen zu vermeiden versucht, insgesamt etwas achtsam unterwegs ist. Manchmal reicht es ja auch schon, in einer unbekannten Gegend eine Hausnummer zu suchen und man wird ungewollt zum Verkehrshindernis. Aber mit gutem Grund.
Rückweg vom Arzt nach Hause: Durch Todenmann (sorry, ich kann nichts dafür, der Ort heißt nun mal so) schleicht ein Auto. Ich komme mit den erlaubten 50 km/h plus ein bisschen Toleranz von hinten und schließe auf. Meine Überlegungen von vor zwei Stunden sind irgendwo in meinem Hirn eingefroren vom draußen-vor-der-Praxis-warten und dem Wunsch nach einem Heißgetränk. Also grummele ich vor mich hin und denke mir: „Mensch, hat der seinen Führerschein in der Lotterie gewonnen?“, gefolgt von „So langsam kann ich ja gar nicht denken, wie der fährt. Und so ungleichmäßig“.
Auf einem Mal ploppt mir aber ein beschämender Gedanke auf: Oh weh, jetzt benehme ich mich genau so, wie ich es heute bei dem Fahrer hinter mir erlebt habe. Nur haben sich die Vorzeichen geändert und ich bin die Dränglerin. Dabei weiß ich überhaupt nicht, welcher Grund bei dem Fahrer vor mir für seine Fahrweise verantwortlich ist. Fährt er vielleicht nach einem gebrochenen Bein zum ersten Mal wieder selbst? Sucht er eine Adresse? Oder was bewegt ihn dazu, konsequent 20 Stundenkilometer langsamer zu fahren als erlaubt?
Das Autofahren ist dabei eigentlich nur eine Beispielsituation, ein Platzhalter für so viele andere Situationen, die wir für uns selbst natürlich als richtig und angemessen erachten, aber anderen (ohne Kenntnis ihrer konkreten Erfordernisse) nicht zugestehen. Es lohnt sich, öfter einmal innezuhalten und in den Spiegel zu sehen.
Oh ja, da fallen mir auch so ein paar Situationen ein. Danke für die Inspiration …
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Alles eine Sache der Sichtweise, nicht wahr? Aber Einsicht ist ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Ähnlich ist die Erkenntnis: Außer im eigenen Land sind wir überall Ausländer.
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