
Geschichten, die erzählt werden, mit dem gewissen wohligen Gruselfaktor, aber gleichzeitig einer hohen Glaubwürdigkeit, weil der Erzähler direkt oder um drei Ecken die Person kennt, der es passiert ist. Das ist nichts Neues. In den 1990er Jahren, also zu einer Zeit, als wir noch nicht am elektronischen Gängelband der sozialen Netzwerke hingen, sondern quasi in der informationstechnischen Steinzeit vor uns hin vegetierten, hatte der bis dato durch äußerst seriöse juristische und historische Fach- und Sachliteratur bekannte Verlag C.H. Beck einen Hype gestartet. Der Volkskundler Rolf Wilhelm Brednich war laut Wikipedia der Erste in Deutschland, der sich mit modernen Sagen, heute „Urban Legends“ genannt, ausführlicher beschäftigte. Und C.H. Beck hatte damals den Riecher, den Jahre später der Carlsen Verlag bei Harry Potter hatte. Ich meine mich zu erinnern, dass insgesamt fünf Bände mit diesen Erzählungen erschienen.
Warum ich euch davon erzähle? Weil ich freitags gern den Podcast „Das Politikteil“ der ZEIT höre und es heute um die aktuellsten Auswüchse dieser Märchengattung geht:
https://open.spotify.com/episode/22RuGpJvFkjlus8FprbzKy
Es lohnt sich, bei dieser Folge einmal ganz genau zuzuhören, denn die eine oder andere Erzählung haben viele von uns sicher auch schon mitbekommen. Und da der kollektive Empörungslevel inzwischen sehr niedrig angesetzt ist (auch bei den rationalsten Menschen dürften die letzten zwei Jahre ihren Tribut fordern), kommt uns das eine oder andere Geschichtchen ja auch plausibel und nachvollziehbar vor. Erst wenn wir von unserer (Yucca-)Palme wieder herunterkommen und genauer nachdenken, überlegen wir vielleicht dann doch noch, ob sich etwas tatsächlich so zugetragen haben mag. Das sollten wir möglicherweise häufiger tun.
Was sagt mir diese Sache?
1. Die Stille Post funktioniert immer noch und
2. so weit sind wir auch immer noch nicht weg vom Lagerfeuer, auch wenn es inzwischen häufig ein digitales ist.
Frage des Tages: Wer kennt die Geschichte mit dem Honigglas an der Aldi-Kassenschlange und der antiautoritären Erziehung?
Die Frage des Tages macht mich jetzt sehr, sehr neugierig, denn diese Geschichte kenne ich leider noch nicht. 😉
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Soll sich angeblich auch in meiner Heimatstadt abgespielt haben, also: An der Kasse im Aldi schiebt ein Kind der alten Dame vorne immer wieder den Einkaufswagen in die Hacken. Die dreht sich um und bittet die Mutter, dem Kind das doch bitte zu untersagen. Die Mutter antwortet: „Mein Kind wird antiautoritär erzogen, das kann selbst bestimmen, was es tut.“ Darauf nimmt der junge Mann, der hinter Mutter und Kind steht, ein Honigglas aus seinem Einkaufswagen, öffnet es und kippt dem Kind den Honig über den Kopf mit der Bemerkung: „Ich bin auch antiautoritär erzogen…“
(Also, ich hätte ja den Honig der Mutter über den Kopf gekippt. Wenn überhaupt, denn ich wurde nicht antiautoritär erzogen😉)
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*Hahahahaha!* 😀 Eine feine Geschichte! Danke für’s Erzählen. 😀
Ich bin auch nicht antiautoritär erzogen worden, ganz im Gegenteil – aber ich hätte das Glas über Beiden ausgekippt.
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Ich frage mich, ob diese urban legends nicht manchmal eine Art Gleichnisse sind. Den Gedanken habe ich aber noch nicht weitergedacht, und jetzt bin ich auch zu müde.
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Interessanter Ansatz. Lohnt sich bestimmt, darüber näher nachzudenken.
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Tolle Folge, danke. Ich kannte bis jetzt eigentlich nur die Version von Michael Blume, der erklärt zwar auch gut und hat viel Ahnung, aber ich finde, hier ist man unaufgeregter und steckt Menschen nicht so schnell in Schubladen. Ich meine, jeder kann sich mal irren oder auf Blödsinn reinfallen. Ist mir neulich auch mal passiert mit der Geschichte von den Corona-Patienten in Kaufhäusern.
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Deswegen finde ich es auch so gut, wie in der Folge erklärt wird, nach welchen Kriterien man solche Berichte bewerten sollte. Denn was sich auf den ersten Blick plausibel anhört, kann bei genauerer Betrachtung durchaus unlogisch sein. Und wie du sagst, je nachdem, in welcher Situation uns eine Meldung erreicht, kann jeder einzelne von uns reinfallen.
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Jep. Und das zuzugeben fällt mir jedenfalls viel leichter, wenn es auch von Außen einfach ein Irrtum genannt wird und ich deswegen nicht Querdenker oder Schlimmeres genannt werde. Ich hab mich einfach in dieser Sache geirrt.
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Vielleicht ist das auch das, was ich jetzt daraus lernen möchte im Umgang mit Anderen: Dass sie vielleicht viel eher dann für ein Gespräch oder Reflektieren offen sind wenn ich einfach von einem Irrtum spreche und nicht direkt von Verschwörungsmythen?
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Das ist zumindest eine Einstiegsmöglichkeit, wobei jede Seite das Gesicht wahren kann.
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