Schwarz-weiß funktioniert nicht. Hat es auch noch nie, denke ich. Die nie auszurottende Tendenz zu schwarz-weiß-Denken mag zwar irgendwie nachvollziehbar sein- vor einigen Tagen schrieb ich bereits, wir wünschen uns Eindeutigkeit – aber sie wird den Problemen einfach nicht gerecht. Statt allerdings einzugestehen, dass wir den Überblick verloren haben (falls wir ihn denn jemals hatten), schlagen wir uns auf eine Seite.
Mein Bauchgefühl sagt auch mir ganz eindeutig: Das Recht liegt auf der Seite der Ukrainer. Mein Verstand stolpert aber über das Vorhandensein eines ukrainischen Kampfverbandes, der ein Anziehungspunkt für martialisch auftretende Männer mit sehr zweifelhafter Gesinnung ist. Dieser ist offiziell dem Innenministerium untergeordnet. Es kann ja sein, dass ich naiv bin, aber für mich hört sich das in etwa so an, als wenn vor einigen Jahrzehnten in Deutschland die sogenannte „Wehrsportgruppe Hoffmann“ als offizieller Reservistenverband anerkannt worden wäre. Andererseits gibt es ähnliche Truppenverbände offensichtlich auch in Russland und in vielen anderen Ländern der Erde. Ebenfalls in sehr vielen Ländern gibt es ziemlich nationalistische Parteien, die teilweise in Regierungsverantwortung stehen. Mir allerdings will einfach nicht einleuchten, wieso man – egal wo auf der Welt – solche Milizen zulässt.
Fakt ist, dass es in jedem Land Menschen gibt, die der Meinung sind, nur sie allein hätten Ansprüche anzumelden und alle anderen, die nicht sortenrein oder fein säuberlich in Schubladen zu packen sind, müssten aber mal ruhig sein.
Ich habe großes Verständnis dafür, dass ukrainische Politiker und auch Teile der Bevölkerung mehr Einsatz für ihr Land fordern, denn ich vermute stark, mir ginge es in deren Situation ähnlich. Gleichermaßen weiß ich aber auch, dass militärische Intervention von Drittstaaten eine ganz neue und unberechenbare Situation schaffen würde, die sich sehr wahrscheinlich wie ein Flächenbrand ausbreiten und die Welt in Feuer setzen würde. Daher habe ich ebenfalls großes Verständnis für alle, die dem möglicherweise durchaus vorhandenen Impuls widerstehen und darauf beharren, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Ehrlich gesagt musste ich erst längere Zeit überlegen, ob ich diese Gedanken veröffentlichen soll, ich habe lange nicht mehr so lange an einem Beitrag gefeilt und mir überlegt, wie ich Dinge ausdrücken kann, ohne ein Maximum an Verstimmung auszulösen. Allerdings gehe ich davon aus, dass ich nicht die Einzige bin, die große Mühe hat, diesen ganzen Komplex einigermaßen zu begreifen. Es ist unheimlich schwierig, wenn man sich einigermaßen ausgewogen und der Situation angemessen eine tragbare Meinung bilden möchte. Das erkenne ich zunächst einfach mal an und gebe auch ganz offen zu, dass ich verwirrt bin. Denn so genau, wie es vermutlich notwendig wäre, um Osteuropa genauer einschätzen zu können, kenne ich die Geschichte dieses Erdteils nicht, da muss ich mich einfach darauf verlassen, dass es zum Glück andere Leute gibt, die sich aus wissenschaftlichen und beruflichen Gründen damit auseinandersetzen. Und ich bin heilfroh, dass ich „nur“ für mich und meine Familie Verantwortung trage. Ich glaube, ich muss nicht extra erwähnen, dass ich mir gerade mal wieder wünsche, wir Menschen wären insgesamt besser in der Lage, miteinander friedlich klarzukommen.
Und sonst so? Beschäftige ich mich mit dem Autismus-Spektrum. Aus Gründen. Weil es „dran“ ist. Und weil es – Surprise – übersichtlicher ist als Weltpolitik. Oder schneide meine Rosen zurück. Oder beides.
Ich frage mich schon seit einem Weilchen, ob dem Herrn Selenskyi nicht klar ist, dass es für uns alle hier in Europa brandgefährlich sein könnte, wenn die NATO sich aktiv in diesen Krieg einmischen würde. Ich finde durchaus, dass er sehr mutig ist und Stärke zeigt, schließe mich andererseits dem Hype, der um seine Person gemacht wird, nicht an. Und ich hoffe jeden Tag aufs Neue auf Frieden, oder zumindest einen langen Waffenstillstand…
Autismus ist in all seinen ungezählten Facetten allerdings fast noch komplizierter als das Weltgeschehen. 😉
Hab ein schönes Wochenende!
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Naja, er sagt halt auch das, was von ihm als Staatenlenker erwartet wird.
Die Bemerkung mit dem Autismus war auch nicht so 100 % ernstgemeinte, aber trotzdem habe ich das Gefühl, es damit eher aufnehmen zu können. Soweit man das als Mutter kann.
Dir auch ein schönes Wochenende.
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Es ist so ein gutes Beispiel dafür, dass kaum etwas schwarz-weiß ist obwohl es von den Fanatikern aller Seiten behauptet wird …
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Ich stolpere gerade über die neue „Mode“, bei Deutschlands führender Nachrichtenseite, ständig das Wort „laut“ zu verwenden. Nicht im Sinne vom Gegenteil von leise. Sondern um deutlich zu machen, dass es sich nur um Behauptungen handelt. Oft kommen dann im Text noch Anführungszeichen dazu. Der häufige Zusatz oder Einschub „was nicht offiziell bestätigt werden kann“ leuchtet mir ja durchaus ein. Bei Kriegsberichterstattung. Trotzdem wirkt es durch diese penetranten und redundanten Hinweise auf nicht auszuschließende falsche Behauptungen in den Texten so, als ob auch der sich verteidigenden Seite kaum Glauben geschenkt werden kann. Ich bin, wie du, verwirrt. Recht hat aber zweifelsfrei der, der sich gegen einen Aggressor verteidigt. Auf dem Boden seines Landes. Da besteht für mich kein Interpretationsspielraum. Aber vor allem bin ich traurig und wütend, dass es zu solchem Grauen kommen konnte und der jeden verdammten Tag weiter andauert. Wäre ich gläubig, würde ich jeden Tag für einen Waffenstillstand, das in Sicherheit Bringen der Menschen, wenn schon ein Frieden gerade (noch) nicht möglich zu sein scheint, beten. Liebe Grüße aus Italien! Anke
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Im Augenblick reicht noch nicht mal das Beten…
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Mir geht es ähnlich.
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Ich bin echt froh, dass es nicht nur mir so geht. Ich fing schon an, an mir zu zweifeln, deswegen hab ich das geschrieben.
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Bin auch mega-verwirrt, auch weil sich fest etabliert geglaubte Grundsätze, Regeln, Selbstverständlichkeiten und Werte-Rahmen in Luft auflösen
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Es ist beruhigend, dass es auch anderen so geht, nicht nur mir.
Und gleichzeitig stehen wir damit in einer langen Tradition von Menschen, die in solchen Umbruch seiten gelebt haben.
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