
Aus aktuellem Anlass frage ich mich, was wir eigentlich meinen, wenn wir fordern, jemand müsse „Verantwortung übernehmen“. Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe 2021 mussten jetzt (nach langem und unwürdigen Winden) zwei Ministerinnen zurücktreten.
So flott, wie das nach Agenturmeldungen klingt, mag ich das Thema nicht abhaken. Vorab: Ja, ich denke auch, dass beide Rücktritte sein mussten. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass auch Ministerinnen ein Recht auf Familienleben, Urlaub oder Erholung haben. Ich gestehe auch beiden zu, dass sie, wie übrigens ein großer Teil der Bevölkerung, schwierige private Situationen zu bewältigen hatten. Und dass es in beiden Fällen noch dazu so gelagert war, dass diese Frauen trotz ihrer Ämter auch noch einen großen Teil des „Mental Load“ tragen mussten, den Familienleben mit sich bringt. Es geht mir auch nicht darum, dass es eine bittere Erkenntnis ist: Frauen werden an dieser Stelle immer noch anders behandelt als Männer. Denn, Hand aufs Herz: es liegt nicht am Geschlecht, ob jemand aus familiären Gründen von beruflichen Karriereschritten absieht, da gibt es genügend Beispiele. Aber es ist immer noch für Männer einfacher, sich neu in ihren Businessplan einzuklinken, wenn die private Situation es wieder zulässt. Frauen haben dann deutlich öfter „den Anschluss verloren“.
Katastrophal war bei beiden Frauen die Kommunikationsstrategie, die spätestens bei Christian Wulff nicht mehr funktioniert hat: Verdecken, leugnen, lügen, sich winden, scheibchenweise mit dem herausrücken, was sich nicht mehr unter dem Teppich halten lässt. Das ist es, was ich beiden (und ihren PR-Beratern natürlich) ankreide. Dazu das desaströse Bild, dass beide quasi das vermeintliche Ass aus dem Ärmel gezogen haben, gegen das tausende von Frauen sich zur Wehr setzen („Wenn es Spitz auf Knopf kommt, geht Familie vor Amt“), so dass Merz und Konsorten sich die Hände reiben können (mit derselben Begründung übrigens…).
Als Gesamtgesellschaft müssen wir uns daher immer wieder fragen, was wir eigentlich unter „Verantwortung“ verstehen und warum wir Frauen und Männer immer noch mit unterschiedlichen Maßstäben beurteilen. Letzteres dürfte auch heute noch viel mit unserer Sozialisation zu tun haben, es dauert eben mehr als eine Generation, solche gesellschaftlichen Traditionen aus den Köpfen und Herzen zu bekommen.
Was die politische oder auch wirtschaftliche Verantwortung angeht, so frage ich mich schon seit vielen Jahren, warum das meist bedeutet, dass jemand geschasst wird und jemand anderes den Schlamassel des Vorgängers ausbaden muss. Erstens kollidiert das mit meiner Überzeugung, dass man für einen angerichteten Schaden verantwortlich und damit zur Wiedergutmachung oder zumindest zur Schadensbegrenzung verpflichtet ist. Zum anderen ist das doch eine Art Persilschein, wenn ich weiß: „Egal, ob ich Mist baue, ausbügeln muss ich das nicht mehr. Ich bekomme trotzdem eine Pension und kann sicher sein, dass irgendwann keiner mehr dran denkt.“ Mir sträubt sich das Nackenfell, wenn ich an „Managerversicherungen“ und andere nette Annehmlichkeiten denke, die ich als Normalbürger nicht in Anspruch nehmen kann. Es ist auch kein gutes Vorbild für künftige Generationen.
Wo sich aber jeder einzelne von uns immer wieder Gedanken machen und auch an die eigene Nase fassen muss (ich auch):
Welche Erwartungshaltungen haben wir an unsere Repräsentanten? Sind die vielleicht mitunter drastisch zu hoch, könnte das ein Grund sein, warum es zum Beispiel immer weniger Menschen gibt, die sich lokalpolitisch engagieren? Weil wir dort keine Bürger, sondern Übermenschen sehen wollen?
Wie gehen wir mit Wahrhaftigkeit um? Sehen wir sie als Stärke oder doch eher als Schwachpunkt, weil jemand nicht gewieft genug ist, sich am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen?
Wie steht es um unsere Fehlertoleranz? Gestehen wir anderen zu, was wir uns für uns selbst auch wünschen? Einen offenen, ehrlichen und respektvollen Umgang mit Fehlleistungen?
Und vor allem: Sind wir bereit, alles das auch jemandem zuzugestehen, der nicht unseren eigenen Standpunkt vertritt?
In den letzten Jahren zweifele ich zunehmend an Konzepten wie „Political Correctness“ oder auch „Identitätspolitik“, weil wir vor lauter Eifer auf der anderen Seite vom Pferd runterzufallen drohen. Ich verstehe die Intentionen, aber ich empfinde ein großes Unbehagen damit, weil wir dazu neigen, dem Konzept mehr zu vertrauen als den Menschen dahinter. Weil wir vor lauter Bemühen, inklusiv zu werden, schon wieder exkludieren.
Oder, wie meine Mutter früher immer sagte: „Was wir mit den Händen aufbauen, reißen wir mit dem Hintern wieder ein.“
Was wir nach meinem Empfinden deutlich mehr brauchen, für uns selbst und vor allem für andere: Demut und Respekt. Und Vergebung.
Es wird wohl keine*n Politiker*in geben ohne „Fehlleistungen“. Schließlich sind es alles Menschen. Und die Zeittaktungen, in denen heutzutage Entscheidungen „gefordert“ werden, in Wahrheit eine menschliche Unmöglichkeit. Interessant erscheint mir aber immer wieder die Frage, warum sich die Medien auf bestimmte Personen und deren „Fehler“ einschießen, und auf andere nicht. Klar ist allerdings, auf wen sich die Medien erstmal eingeschossen haben, der oder die wird keine Chance mehr haben, sich aus dem „Schlamassel“ wieder herauszuziehen. Zum Abschuss freigegeben: Politisch tot.
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Eben. Alle sind wir Menschen und alle machen wir Fehler. Egal in welcher Position. Es gibt glücklicherweise auch Medien /Journalisten, die differenziert arbeiten, das finde ich dann wohltuend. Im Lauf der letzten Jahre habe ich aber auch bemerkt, dass einige immer krasser geworden sind. Und zwar in beide Pole des gesellschaftlichen Extremismus. Es gibt eine Journalistin, die ich eigentlich sehr schätze, obwohl ihre politische Einstellung überhaupt nicht meiner eigenen entspricht. Sie hat bisher immer resolut, aber differenzierend gearbeitet. In den letzten Wochen allerdings hat sie sich mit ihren fb-Posts in einen fast schon geifernden Ton hineingeschrieben, dass nicht nur ich mich da sehr wundere.
Merkwürdig ist indes, dass zum Beispiel an gewissen Herren aus Bayern (nach KT von und zu Guttenberg) jegliche berechtigte Kritik abgeperlt ist wie an einer Teflonpfanne…
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