|Werbung, unbezahlt|

Ehe ich dieses Buch „in Angriff“ nahm, hatte ich bestimmte Bilder im Kopf: vom Leben in den USA Mitte der 50er bis Anfang der 60er Jahre. Bilder von Elvis Presley, Petticoats, Audrey Hepburn, JFK und Jackie Kennedy (natürlich im Etuikleid und mit Pillbox auf dem Kopf), „Grease“ und Straßenkreuzer mit Haifischheckflossen… Ziemlich naive Bilder, zugegeben, gab es doch auch Schlagzeilen vom KuKluxKlan, der Bürgerrechtsbewegung und den Auswüchsen einer bigotten und verklemmten Gesellschaft. Aber ich bin mit den üblichen Klischees aufgewachsen, die mit Marilyn-Monroe- und Dean-Martin-Filmen donnerstags im WDR Regionalfernsehen der 70er einhergingen; als Jugendliche habe ich die Musikfilme der 80er im Kino gesehen und mir ansonsten recht wenig Gedanken gemacht. Gegen Ende meiner Jugend war auch in Deutschland und Europa genug los, da brauchte ich gedanklich nicht weiter über den großen Teich schauen.
Aber natürlich war die Zeit, die dem zweiten Weltkrieg folgte, sowohl hier als auch dort eine eher traditionell geprägte Epoche, die Frauen wurden wieder hinter den Herd verbannt (zu den drei K’s: Kinder, Küche, Kirche), je mehr die Männer aus Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft, Traumata und anderen Problemen auftauchten und das öffentliche Leben für sich beanspruchten.
In dieser Zeit spielt die Handlung von „Eine Frage der Chemie“. Die Protagonistin Elisabeth Zott hatte nie etwas anderes vor als Chemikerin zu sein. Eine Promotion rückte allerdings nach einer brutalen Vergewaltigung durch ihren Uni-Dekan in weite Ferne. Und so arbeitete sie als Forschungsassistentin vollkommen unterbezahlt in einem Labor und ihre Erkenntnisse wurden von ihrem Chef unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Nur einen Menschen gab es, der ihr Potenzial erkannte: Ein genialer, aber eigenbrötlerischer Kollege nahm sie ernst, und die beiden führten eine (unverheiratete, aber sehr glückliche) Beziehung auf Augenhöhe, sie waren wie zwei Elemente, die miteinander kollidierten und zu einer Symbiose verschmolzen. Bis ein tragischer Unfall ihn aus dem Leben riss.
Wie sich aus der Chemikerin eine bekannte Fernsehköchin entwickelte, die ihrem aus Hausfrauen bestehenden Publikum nicht nur die Geheimnisse der Küchenchemie verriet, sondern auch deren Selbstvertrauen und den Glauben an ihre eigenen Fähigkeiten stützte, davon handelt das Buch.
Anfangs hatte ich es nur querlesen wollen, weil ich auf den ersten Seiten eine ungeheure Wut auf die fürchterlich bornierten Männer in Elisabeths Umgebung verspürte. Aber die Handlung zog mich zusehends in den Bann, so dass ich am Ende wortwörtlich „durch das Buch hechelte“, um ihren Weg weiter zu verfolgen. Der Stil des Buches ist ziemlich sachlich, was super zur Handlung passt. Mir gefällt auch sehr gut die immer mal wieder aufploppende Situationskomik, die meist auf Kosten von (frauenunterdrückenden) Männern stattfindet.
Alles in Allem ein Buch, das mich trotz der ernsten, fast schon schwierigen Thematik sehr gut unterhalten und auch nachdenklich gemacht hat. Da müsste jetzt schon ein absoluter Hammer folgen, damit dieses nicht mein Roman des Jahres wird.
Bibliographische Angaben: Bonnie Garmus, Eine Frage der Chemie, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-07109-3, € 22,-
Ich wünsche euch viel Spaß mit diesem tollen Buch und widme mich literarisch erstmal den Würmern (im Kompost, im Obst, im Garten…)
Wow, eine Empfehlung, so klasse ausgesprochen bzw. geschrieben wie von dir, kann nicht kalt lassen. Ich hatte schon anderswo von dem Buch gehört, bei dem Thema aber meine Zweifel. Ich dachte, hallo, es klappt (natürlich) nicht mit der Karriere, Frau muss an den Herd. Selbst wenn der in einer Fernsehshow steht. Aber das ist offensichtlich nicht die Botschaft.
Danke für deine überzeugende Besprechung. Liebe Grüße Anke
LikeGefällt 1 Person
Ich hatte am Anfang auch so meine Zweifel, dass ich mit dem Buch kompatibel bin. Aber es macht auch Spaß, sich eines besseren belehren zu lassen…
LikeGefällt 1 Person