Am Sonntagmorgen habe ich mir die Ruhe und die Laune vermiest, indem ich weitergelesen habe. Es ging im gelesenen Kapitel vor allem um globale (Klima-)Gerechtigkeit. Denn das Klima wirkt global, Emissionen machen nicht an politischen Grenzen halt und es ist auch ganz klar, dass am meisten unter den Klimafolgen bisher die Länder leiden, die am wenigsten zu den Problemen beigetragen haben. Allerdings sind es autokratisch regierte Nationen wie China und Russland, die am meisten auf der Bremse stehen, wenn es zum Beispiel um den Meeresschutz in der Antarktis geht (Stichwort: Bodenschätze). Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es ziemlich mittelmäßig ist, dass wir immer wieder mit dem Finger auf China zeigen, wenn die Produkte, die dort unter klimaschädlichen Voraussetzungen hergestellt werden, in Mitteleuropa konsumiert werden.
Wir verharren im „Wird schon nicht so schlimm werden“, wenn es um das globale Klima geht, das eindeutig aus dem Ruder gelaufen ist. Warum eigentlich? Wenig Sichtbarkeit (außer bei konkreten Ereignissen, wo dann aber trotzdem beschwichtigt wird), wenig Vertrauen der Staaten untereinander, die Einstellung „Ich bewege mich erst, wenn die anderen das auch tun“ (die dazu führt, dass sich keiner bewegt) und dann kommt ein großartiger Satz, der einem aber das ganze Dilemma vor Augen führt:
„Der deutsche Neurowissenschaftler Henning Beck, der sich auch mit dem Klimawandel beschäftigt hat, argumentiert damit, dass man die Zukunft nicht spüren kann, und deswegen sei sie den Menschen egal.„ (S. 162/287 eBook)
Besser kann man das Trauerspiel nicht in einem Satz ausdrücken.
Latif fährt fort:
„Die Zukunft würde im Gehirn einer Art „Downgrade“ unterliegen, so Beck, es sei denn, man kann die Zukunft im Gehirn real werden lassen. Meine eigene Erfahrung sagt mir, dass die Zukunft zum Beispiel durch Kunst in den Köpfen erzeugt werden kann, etwa durch Musik, Theater, Malerei oder auch Bildhauerei. Oder durch spannende Filme und Erzählungen, die eine positive Zukunftsvision transportieren. Das funktioniert. Man erreicht zwar nur vergleichsweise wenige Menschen und oftmals gerade diejenigen, die man gar nicht mehr davon überzeugen muss, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit das Leben der Menschen bestimmen sollte. Trotzdem sind diese Dinge wichtig, weil die, die man erreicht, wichtige Multiplikatoren sind.“ (S. 163/287)
Bei diesen Sätzen geht meine Erinnerung mal wieder spazieren. Ich sehe eine deutliche Parallele zu Büchern und Filmen aus den Genres Fantasy und Science Fiction, gerade aus den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts: viele dieser Geschichten spielen in der Zukunft, wobei die Welt durch eine große Katastrophe lange unbewohnbar war. Der Aufbau neuer Zivilisationen, meist mit mittelalterlichem Standard oder auch das auf ganz niedrigem zivilisatorischen Niveau stattfindende Überleben vereinzelter Menschen trägt Filme wie „Waterworld“, „Mad Max“ oder „The Day after“, Buchreihen wie „Shannara“, „Die Drachenreiter von Pern“ und viele andere. Der Entstehungsepoche geschuldet wird meist eine Atomkatastrophe vorausgesetzt, aber im Endeffekt spielt dieses Detail die kleinste Rolle.
„Umgekehrt scheint es verhängnisvollerweise einfacher zu sein. Der ehemalige Präsident der USA, Donald Trump, hat es geschafft, mit Lügengeschichten Massen gegen den Klimaschutz zu mobilisieren. Wie also können wir breite Schichten der Bevölkerung dafür gewinnen, für einen Klimaschutz zu sein, der seinen Namen verdient? Beim Impfen hat bei einigen die Aussicht auf eine Bratwurst geholfen. Was aber ist das Pendant zur Bratwurst bei der Bewältigung der Klimakrise? Hierauf haben wir keine Antwort, zumindest keine, die bisher in der Praxis funktioniert hätte. Eines scheint mir jedoch glasklar zu sein: Wenn wir nicht die allermeisten Menschen für die Überwindung der Klimakrise gewinnen, indem sie merken, dass sie selbst oder die Gesellschaft von den notwendigen Veränderungen profitieren, werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen. Ohne eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen werden wir nicht weit kommen.“ (S. 163/287)
Warum fehlt die breite Akzeptanz, und ich möchte hinzufügen, nicht unbedingt in der Bevölkerung, sondern zunächst mal in konventioneller Politik und Ökonomie? Es wird vor allem darauf geschaut, was es heute kostet, etwas zu tun. Dass es viel teurer wird, und zwar in jeglicher Hinsicht, wenn das „Tun“ ständig verschoben wird, das stört viele vermutlich vor allem deswegen nicht, weil sie mit den Folgen nicht mehr (lange) leben müssen. Und weil den Menschen, die sich heute schon einschränken müssen bei der gesellschaftlichen Teilhabe, immer nur vorgerechnet wird, was alles nicht mehr gehen wird, und das ist perfide und unredliche Bauernfängerei noch dazu.
Mit diesen niederschmetternden Gedanken werde ich jetzt erstmal dieses Lesetagebuch beenden. Ich habe lange darüber nachgedacht, ich werde auch das Buch weiterlesen, aber ich brauche jetzt eine große Pause davon. Ich habe in den letzten Tagen und Wochen gemerkt, dass die ganze Dringlichkeit, die in der Thematik steckt, gemeinsam mit dem Unverständnis, wie man so dermaßen den Kopf in den Sand stecken kann und allem anderen, was mich sowieso auch noch beschäftigt hält, mich einfach zu sehr runterzieht. Ich brauche Tapetenwechsel.
Kann ich gut nachvollziehen, zu viel von dem Wandel überfordert uns Zweibeiner … auch wenn wir ihn ja vermutlich auch verbockt haben
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So ist es. Traurig genug. Wir sind Teil des Problems, die Frage ist nur, wollen wir auch Teil der Lösung sein?
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Gute Frage … muss jeder für sich beantworten … aber ich bin dabei. Wir sind alle dabei eigentlich. Zunächst hoffentlich bei der Lösung und wenn nicht, dann spätestens beim Problem
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