Mein Büro liegt auf der Nordseite des Hauses. Nützt nur leider gerade überhaupt nichts, da auch hinter dem Haus im Schatten 35 Grad sind. Den gesamten Vormittag habe ich mich mit Buchführungsaufgaben beschäftigt, heute Mittag dann Tochter 3 während der Gluthitze zum Mittwochstermin gebracht.
Die Wartezeit habe ich zum Einkaufen genutzt, denn selbst an der Weser unterhalb der Schachtschleuse ist es einfach zu warm. Deswegen bin ich ganz in Ruhe mit dem Einkaufswagen an den Regalen langgeschlendert und habe die angenehme Innentemperatur genossen. Lauschen inklusive:
Zwei männliche Wesen jenseits des Renteneintrittsalters treffen sich vor dem Kaffeeregal. Der eine zum anderen: „Na, gut aus’m Urlaub zurück?“ – „Ja, vorgestern.“ – „Wo wart ihr denn?“ – „Inner Türkei.“ – „Ach, bei Erdogan?“ (das Grinsen konnte ich hören, ich schwöre) – „Ja, und da war alles ganz entspannt, nicht so’n Zinnober wie hier. Da laufen alle ganz normal rum. Keine Masken, keine Beschränkungen…“ – „Ja, echt, hier wird man nur erzogen, und zum Herbst wird das wieder richtig schlimm hier! Wart’s nur ab!!!“ (111!11!!1)
Ich hatte so ein bisschen den Drang, in die Unterhaltung einzuwerfen, dass es ja anscheinend hier mitunter notwendig sei, die Leute zu erziehen, wenn sie sich schon im Hochsommer bei hohen Inzidenzen, aber kaum Maßnahmen gegängelt fühlen. Und stattdessen die Freiheit in der Türkei loben. Ja, vielleicht fühlt man sich dort frei, wenn man nicht queer, oppositionell oder sonstwie unbeliebt ist. Die Türkei ist auf jeden Fall ein Land mit alter und spannender Kultur, einer tollen Küche, vielen Landschafts- und Kunstschätzen und sehr vielen tollen Menschen. Das gebe ich gern zu und warum auch nicht? Aber als Hort der Freiheit für alle gesellschaftlichen Gruppen sehe ich sie eher nicht.
Während Deutschland sich nur und ausschließlich dadurch „auszeichnet“, dass alle an der kurzen Leine der Regierung geführt werden und ihre Freiheitsrechte verlieren, oder wie?
Den Ausdruck „alter weißer Mann“ mag ich eigentlich genauso wenig wie „die Jugend von heute“, denn beide Ausdrücke ziehen sehr diverse Gruppierungen über einen Strang. Es gibt plietsche Senioren ebenso wie reaktionäre Jugendliche. Aber diese beiden Typen erfüllten so richtig schön das Klischee, das man vor Augen hat.
Nein, ich bin nicht aggressiv. Trotz Hitze. Ich bin nur langsam so unfassbar müde, wie wenig manche Mitmenschen über ihren eigenen begrenzten Tellerrand gucken und nur sich selbst wehleidig in den Mittelpunkt stellen.
Wenn in Deutschland alles so beschissen ist, dann wandert doch in irgendeine glorreiche Autokratie aus, ihr Hornochsen!
Ich muss mir häufiger auf die Zunge beißen, damit ich den letzten Satz deines Blogposts nicht irgendwelchen völlig unbekannten Leuten entgegen schleudere, die ich auch zufällig beim Gespräch belauschen musste, und die sich so ähnlich artikuliert haben wie deine beiden „Herren“.
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Eigentlich könnten mir diese Leute ja vollkommen egal sein, aber irgendwie werde ich immer dünnhäutiger, weil ich mir deren geistige Ergüsse immer wieder anhören muss und denke, was willst du dann zum Kuckuck in diesem Land? Solange sie etwas zu kriegen haben, nehmen sie es, aber in die andere Richtung ist es nicht drin. Das ist hochgradig asozial und es widert mich an. Aber schön zu hören /lesen, dass ich damit nicht allein bin.
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Du sprichst mir sehr aus der Seele!
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Schöner Schlusssatz danke 😉
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Kam von Herzen😜
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