Ich selbst bin abgekühlt nach meinem Beitrag von gestern. Auch draußen ist es abgekühlt, irgendwann in der Nacht hat es geregnet, zum Glück zumindest hier in der Gegend ohne Unwetter dabei. Alle Fenster im Haus stehen weit offen, um die klebrige Hitze loszuwerden.
Und ich gehe gedanklich schon der nächsten Frage nach, warum bei manchen Themen offenbar bei vielen (vermutlich nicht mal bei sehr vielen, aber sehr lauten Mitmenschen) ein Reflex besteht, mit „Haben wir keine anderen Probleme“ zu kommentieren. Dabei bezieht sich dieses Nachdenken auf ganz unterschiedliche Nachrichten, die ich gestern und heute früh gelesen habe.
- Eine Schule führt Unisex-Toiletten ein – „Ist das etwa unser wichtigstes Problem?“
- Kommunen und Regionen geben Tipps, wie man sich an Hitzetagen sinnvoll verhält – „Haben wir keine anderen Themen? Es ist halt Sommer, wie jedes Jahr!“
- Die Aufforderung, nicht den Rasen zu wässern bei Wasserknappheit -„Kümmert euch lieber um die wirklich drängenden Sachen…“
- Ein Beitrag über die Gefahren des Grillens auf trockenen Flächen – „Aber ich lasse mir das Grillen nicht verbieten. Schreibt lieber über xxx (hier beliebiges Reizthema einfügen)“
- Der Feldversuch, an Schulen eine Art Gleitzeit einzuführen oder den morgendlichen Schulbeginn etwas später zu legen – „Wir haben es auch überlebt, die sollen sich nicht so anstellen. Gibt es nichts dringenderes?“
Was mir auffällt, bei dieser Art des Whataboutismus geht es immer darum, neue und zeitgemäße Denkansätze, aktuelle Themen, die das gesellschaftliche Leben betreffen, wissenschaftliche Erkenntnisse oder schlicht den Verweis auf bislang marginalisierte Bevölkerungsgruppen als unwichtig hinzustellen. „Betrifft mich nicht, kann also nicht wichtig sein.“
Offensichtlich stellt alles das, was sich in geballter Form im (notwendigen, mitunter sogar überlebenswichtigen) Wandel befindet, für so manch einen nicht nur eine Überforderung, sondern eine regelrechte Bedrohung dar.
Und während ich die Überforderung sehr gut nachvollziehen kann, denn die empfinde ich ja selbst mitunter sehr ausgeprägt, kann ich einfach nicht verstehen, warum man anderen Menschen nicht ebenfalls gewisse Privilegien gönnen kann, die man selbst schon lange in Anspruch nimmt. Denn es geht ja niemandem darum, dass bisher marginalisierte Gruppen jetzt „mehr zu sagen haben als man selbst“, sondern dass sie ganz selbstverständlich dieselben Rechte in Anspruch nehmen, die andere schon lange haben. Oder darum, dass Folgegenerationen auch noch die Möglichkeit haben, in einer lebenswerten Umgebung zu leben. Oder insgesamt einmal Dinge zu überdenken, ob es sinnvoll ist, sie weiter so laufen zu lassen, wie sie seit einem halben Jahrhundert laufen.
Dahinter scheint eher eine diffuse Verlustangst zu stehen:
– Aber dann bin ich nicht mehr so wichtig (Echt? Bin ich das denn jetzt?)
– Aber mein schönes Auto ( By the way, gibt auch schöne Fahrräder, auch da kann man Statussymbole erwerben)
– Aber ich esse doch so gern Grillsteak (Ich habe festgestellt, es ist oft gar nicht das Fleisch, sondern das Gewürz. Man kann auch Gemüse mit Gyros- oder Brathähnchengewürz sehr lecker zubereiten)
– Aber ich will! (Und da das oftmals Leute denken, die bei „modernem“ Kram sagen: „Hat uns früher auch nicht geschadet“, antworte ich frech: „Kinder, die was wollen, die kriegen einen an die Bollen!“)
Wären neue Gedanken ständig so abgebügelt worden wie sie es augenblicklich oft werden, säßen wir möglicherweise immer noch in Höhlen. Ohne SUV, ohne Zentralheizung, ohne Fast Food oder teuren Gasgrill, Multifunktionsküchenmaschinen und Smartphone.
Wir wären viel weniger Menschen und hätten weniger Wohlstandverwahrlosung. Aber darüber zu philosophieren, ob das dann besser oder nur auf andere Weise mies sein würde, bringt ja nun mal nix.
Also freue ich mich heute einfach mal über Regen (im Moment mit Donnergrummeln im Hintergrund), kühle 23 Grad und bereite mich mental auf die nächste Wärme ab Sonntag vor…
Und ich glaube, ich stelle euch als nächstes mal wieder einen schönen Schmöker vor, damit ich nicht in dumpfes Brüten verfalle.
PS: Seit einigen Wochen wird so gut wie jeden Tag ein bestimmter Beitrag aus dem letzten Jahr aufgerufen, der im Titel so klang, als ob es um materielle Güter ginge. Und ständig nach diesen Aufrufen habe ich unzählige Spamkommentare von Finanzbots. Deswegen habe ich nach reiflicher Überlegung den Titel ersetzt und beobachte mal, wie es weitergeht…
Berichte doch mal, ob die Titeländerung was bringt, würde mich interessieren. Ich bin dazu übergegangen, bei Bildern keine Kommentare zuzulassen, das ist ein Punkt unter „Medien bearbeiten“. Ich bilde mir ein, dass du es ebenfalls hilft.
Abendgrüße! 🌞☕🧊🥗👍
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Ja, mache ich. Ein paar Tage beobachte ich erstmal. Der Titel war bisher „Wem viel gegeben ist, von dem wird viel verlangt.“ Ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium. Ich schätze mal, da waren dann Algorithmen am Werk.
Dir auch einen schönen Abend.
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Hallo Christiane, hier kommt einmal ein Statusbericht zur Umbenennung: Ich habe immer noch regelmäßig Zugriffe auf den Beitrag, aber nicht mehr so viele und auch keine Spams mehr. Das wurde von Tag zu Tag weniger. Allerdings habe ich vor ca. 10 Tagen auch noch zusätzlich ein Upgrade gemacht und außerdem den Zugriff auf Impressum, Kontakt und „Über“ eingeschränkt, wegen „Du-weißt-schon-wer“, der mir schwer auf den Senkel ging. Seither wird sowieso viel mehr abgeblockt. Woran es nun genau liegt, kann ich nicht sagen, aber
letztlich ist es mir auch gerade wurscht, weshalb ich mehr Ruhe habe.
Einen schönen Restsonntag wünsche ich dir noch. Eiskaffeegrüße!
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Liebe Anja, schicke uns mal bitte ein paar Tropfen Regen rüber! Und damit es bei euch nicht ständig hoch und runter geht mit den Temperaturen, schicke ich dir im Gegenzug gern ein paar Grad Celsius, die wir hier in Italien seit Wochen schon dauerhaft zu viel haben. Aber wenigstens gewöhnt sich der Organismus dran, so scheint es.
Ansonsten stimme ich dir zu, es ist das Klammern an vermeintliche Gewohnheitsrechte, die viele umtreibt. Bei so viel Neuem und Unangenehmen, das von allen Seiten auf uns einstürmt, zieht man sich gern zurück, in seine „heile“ Welt, und blendet aus. Macht mal alle nicht so ein Drama. Auf das „Gibt es nichts Wichtigeres?“ wäre sicher interessant zu fragen, was das denn jeweils sei. Fünf Leute, zehn Meinungen, tippe ich mal. Wichtig ist eben für jeden etwas anderes, aus seiner (beschränkten) Perspektive.
Atme gut durch und genieße die Abkühlung! Liebe Grüße Anke
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Liebe Anke, danke für das Angebot, ich glaube, es nimmt hier auch schon Anlauf für die nächsten heißen Tage. Ich würde dir auch gern Regen schicken, ohr könnt ihn gut gebrauchen. Aber per Mail klappt das ja eher nicht.
Ach ja, es ist schon ein Kreuz mit uns Menschen.
Einen schönen Abend wünsche ich dir trotz Wärme. Viele Grüße
Anja
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Dieses „Wir haben dringendere/größere Probleme!“ fällt mir seit einer Weile auch schon höchst unangenehm vor allem in den „Sozialen“ Netzwerken auf. Wobei ich dort mittlerweile nur mehr selten die Kommentarspalten anklicke.
Hier hat es auch geregnet, und dann wurde es leider unangenehm schwül. Aber jetzt am Abend ist die Luft wohltuend frisch und trocken. Ich habe sämtliche Fenster und Türen sperrangelweit aufgerissen, damit die Hitze der Kühle wenigstens ein bisschen weichen kann, bevor es morgen dann wieder über die 30°-Marke gehen soll.
Liebe Grüße!
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Eben, die Kommentarspalten. Ich nehme mir immer wieder vor, die nicht mehr zu lesen, und dann erliege ich wieder der Faszination des Grauens🙈
Liebe Grüße und einen ruhigen Abend.
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Die beschriebene Art des Whataboutism vermittelt für mich zudem immer den Anschein, als sei es unmöglich, sich gesamtgesellschaftlich mit mehr als einem Problem gleichzeitig zu befassen.
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Genau. Als ob die alle schön nacheinander auftauchen würden.
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