… die feuchten Träume von Hardcore-Nationalisten in Erfüllung gingen? Wenn die Grenzen geschlossen würden, jeder Staat sich selbst der Nächste wäre, jedes Land nur mit den eigenen Ressourcen arbeiten könnte?
Überspitzt ausgedrückt würden wir uns in absehbarer Zeit wieder von Kohlgerichten, Äpfeln, Schweinefleisch und Eiern ernähren, müssten aber dann konsequenterweise die Hähnchenhälse und Schweinepfoten wieder selbst verarbeiten, statt sie nach Westafrika zu exportieren. Apfelmus im Winter statt Erdbeeren aus Spanien und Spargel aus Chilé. Frankenwein statt kalifornischer Roter. Karpfen blau statt vietnamesicher Pangasius, Muckefuck statt Arabicabohnen. Glücklicherweise sind Kartoffeln, Tomaten und Mais ja schon seit ein paar Jahrhunderten eingebürgert, immerhin. Und heizen könnten wir mit den ungezählten Pupsen von Sauerkraut und Speckbohnen (sorry, der musste sein🙈).
Auf Billigklamotten aus Bangladesh müssten wir ebenso verzichten wie auf südamerikanisches Alpakagarn, dafür gäbe es möglicherweise wieder leinenartiges Gespinst aus Brennnesseln. Da wir aber ein rohstoffarmes Land sind, hieße das auch: kein Kobalt, kein Lithium, keine Smartphones aus Südkorea. Unseren Plastikmüll (auch endlich, da wir kaum eigenes Erdöl haben) könnten wir nicht mehr ins Ausland verschachern und auch nicht die vielen Autos, die nicht mehr durch den TÜV kommen.
Solche Gedanken kommen mir beim Weiterlesen meines aktuellen Sachbuches. Und schon zum zweiten Mal bin ich ganz geflasht davon, wie mich die Autorin zum Reflektieren bringt: Schrieb ich gestern früh über die Renaissance, las ich nachmittags darüber, wie sie die Renaissance selbst als Beispiel bringt. Notierte ich mir heute in aller Frühe so ungefähr das, was ich oben schrieb, staunte ich einen Absatz später darüber, dass sie eine Studie aufführt, in der unter anderem ein ähnliches Szenario durchgedacht wird.
Jedenfalls stelle ich fest, dass ich dieses Buch am Liebsten als Pflichtlektüre für Regierung und Opposition, für so manchen „alternativlosen“ Wirtschaftsboss und viele andere Entscheider vorsehen würde. Nach bestem Leistungskursverständnis: Das lesen wir jetzt alle und dann überlegen wir gemeinsam weiter. Inklusive Erörterung, Interpretation und Sachtextanalyse. Stelle ich mir fast schon spaßig vor😉. Ob ich das dem Verlag mal vorschlage?
Dazu käme noch eine signifikante Übersterblichkeit aufgrund von nicht ganz unwichtigen Medikamenten wie Insulin, Blutverdünnern und ähnlichen Dingen.
Scheint ein spannendes Buch zu sein … 🙂
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Genau. Und noch viel mehr. Unsere Welt ist so lange schon so stark vernetzt, dass wir alles als selbstverständlich nehmen, ohne über die Herkunft nachzudenken.
Und ja, es ist ein spannendes Buch. Spannend nicht im Sinne eines Thrillers, sondern spannend, weil es die Jammerspirale durchbricht (in der ich mich leider zuletzt auch mal verheddert hatte). Das tut gut.
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Gut wäre ein Mittelding zwischen unmöglicher Autonomie und völliger Abhängigkeit. Dazu fällt mir auch ein, dass die Menschheit schon in der Steinzeit Handel betrieben hat, über große Distanzen.
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Richtig. Dass wir heute vieles „heimisch“ haben, was irgendwann mal von weit her mitgebracht wurde, dass unsere Ökonomie aus Tauschhandel entstanden ist und ähnliches, das lassen manche „Schlauköpfe“ gern mal unter den Tisch fallen.
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