Oder: Die beste Katastrophe meines Lebens.
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Fromme Wünsche sind anscheinend auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Oder waren sie das überhaupt jemals? Eine philosophische Betrachtung, die gerade sowieso nichts ändert. Fakt ist: auch in unserem Haus hat Corona sich eingenistet, allen Bemühungen zum Trotz. Zwei Wochen vor dem nächsten Impftermin und glücklicherweise auch bevor unser Enkelkind das Krankenhaus verlässt, so dass wir uns zumindest ansteckungstechnisch in dieser Hinsicht keine Vorwürfe machen.
Die Tochter empfindet vor allem Ärger, weil sie nicht zur Schule gehen und Klausuren schreiben kann, sie ist eine richtige kleine „Motzkuh“ (das ist ein Bilderbuchtitel und überhaupt nicht despektierlich gemeint). Ich kann ihren Ärger ja sogar nachfühlen. Ich fahre in einer Tour Achterbahn, weniger wegen der Gefühle, eher wegen eines ziemlich falsch verdrahteten Gleichgewichtssinnes. Husten, Halsweh und etwas Luftnot nerven und ich fühle mich tatsächlich krank. Unverschämtheit! Während der Mann es bisher noch schafft, dagegenzuhalten. Zum Glück ist unser Haus groß, wir gehen uns aus dem Weg und essen in Schichtbetrieb mit großzügigen Lüftungsintervallen.
Aber ich bemühe mich, die positive Seite des Zustandes zu finden (sie liegt im Bett) und lese mich durch meine diversen virtuellen und physischen Bücherstapel wie die Raupe Nimmersatt sich durch Essbares frisst.
Gestern habe ich einen Segeltörn von Schweden nach Flensburg gemacht, durch die dänische Südsee, mit einer Crew, die ich mir im Leben nicht wünschen würde. Witzig zunächst, dass die beschriebene Segelyacht sehr viel Ähnlichkeit mit unserer Sterntaler hat, eventuell ist sie drei Fuß länger, ich meine, zu Beginn etwas in Richtung „34“ gelesen zu haben. Das ist ein knapper Meter, bei sechs Leuten Besatzung macht das nicht wirklich viel aus.
Zum Inhalt: Die erfolgreiche Autorin einer Regionalkrimireihe hat offensichtlich ein Problem mit ihrer Impulskontrolle, und zwar so sehr, dass sie ihre Wut nicht nur durch ihre Hauptperson im Buch ausleben lässt. Nach einem Vierteljahrhundert Ehe trennt sie sich von ihrem Mann und lässt sich deswegen von Freunden zu einem Törn über die Ostsee überreden. Ein Überführungstörn, auf dem sie keine Menschenseele kennt.
Die Segelcrew aus jeweils drei Männern und Frauen ist bunter gemischt als eine Selbsthilfegruppe sämtlicher zwischenmenschlicher Störungen, Konflikte sind vorprogrammiert. Inklusive vieler Missverständnisse. Aber es menschelt zwischendurch in wechselnder Besetzung auch sehr nett. Wenn ich es mir recht überlege, sind die Personen in ihren wechselseitigen Ablehnungen, spontanen Übereinstimmungen, aufpoppenden Krisen und ernsthaften Gesprächen oft näher an der Wirklichkeit als stereotype Gestalten, die sich von Anfang bis Ende nur sympathisch oder nur spinnefeind sind.
Flaute, schnell aufziehender Sturm, eine heikle Situation beim Segeln, Streitigkeiten darüber, wer das Sagen an Bord hat, Schweinswale und Seekrankheit (bzw. deren Pendant Landkrankheit, von der ich persönlich auch jedes Mal betroffen bin). Bissige und manchmal auch kindische Dialoge, Situationskomik und immer wieder aufwallende Spannungen halten mich beim Lesen auf Trab. Zwischendurch bin ich so wütend auf die ganzen kaputten Typen, dass ich fast das Tablet vom Bett schmeiße. Aber dann lese ich doch weiter, weil ich wissen will, ob zwischendurch noch jemand zum Mörder wird. Auch weil die grantige Kommissarin aus den Regionalkrimis quasi als blinder Passagier ihrer Schöpferin so manches Mal Einflüsterungen gibt.
Das Buch hat mir Spaß gemacht, wenn es auch hier und da eine Länge (Flaute?) hatte. Es hat mir im Schnelldurchgang einen Segeltörn beschert, den ich im wahren Leben noch nicht hinbekommen habe (den ich so aber auch niemals erleben möchte😉), es hat mir sogar ein kleines Überlegenheitsgefühl vermittelt, weil ich im Gegensatz zu einigen handelnden Personen im Buch ein ganz klein wenig mehr über die Fachbegriffe aus der Seglerwelt weiß😅. Ich habe das Gefühl, ein paar Häfen in der dänischen Südsee zu kennen und der nutzlose Krankentag hatte eine sinnvolle Beschäftigung.
Dank Wikipedia weiß ich jetzt auch, dass die Autorin, die unter anderem sehr erfolgreich Kinderbücher schreibt (Mein Lotta-Leben bei Arena) genauso alt ist wie ich und ebenfalls Buchhändlerin. Hm, da steckt doch Perspektive drin😎.
Bibliographische Angaben: Alice Pantermüller, Segelsommer oder Die beste Katastrophe meines Lebens, Droemer Knaur TB, ISBN 978-3-426-52299-8, € 10,99
Gute Besserung und komplikationsfreie Genesung wünsche ich dir und deinen Lieben!
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Danke. Das wünsche ich uns auch, wir sind ja alle etwas vorbelastet.
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Na dann, volle Fahrt voraus durch die Bücherstapel! Hauptsache, du lässt den Kopf nicht hängen, dein Mann hält stramm gegen den Wind und Motzkuh wird nicht seekrank, sondern kann der leidigen Situation auch etwas Positives abgewinnen. Oft leichter gesagt als getan, ich weiß, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Gute Besserung, liebe Anja!🤞
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Danke, wir tun unser Bestes🙂
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