
Ist es noch Zeit, sich etwas zu wünschen? Wenn ich zu Beginn dieser Woche Zeitung lese, Nachrichten höre, politische Sendungen im TV sehe, dann frage ich mich manchmal, warum wir in Vielem so verzagt sind. Und auch, warum anscheinend immer mehr Menschen versuchen, von aufgeworfenen Problemen abzulenken, indem sie mit dem Zeigefinger auf andere zeigen: andere Menschen, andere Themen, andere Katastrophen.
Leiden wir unter einer allgemeinen Art von Aufmerksamkeitsstörung? Haben wir alle Hoffnung, unser Mitgefühl, die empathische Anteilnahme aufgebraucht? Sind wir alle nur Egoisten?
Das kann und will ich mir nicht vorstellen. Zu allen Zeiten, die von der Geschichtsschreibung dokumentiert wurden, gab es Krisen, Katastrophen, Umstürze. Und die Menschen, die davon betroffen waren, haben sich stets berappelt, neu aufgestellt, Lehren gezogen. Die Ärmel aufgekrempelt und neu angefangen. Rein aus der Erfahrung gibt es keinen Grund, warum das nicht auch jetzt klappen sollte.
Es kann natürlich auch gut sein, dass in den Geschichtsbüchern einfach nichts darüber steht, wie laut und wie lange die Menschen über ihr Unglück geklagt haben und sich in ihrem Unheil suhlten, ehe sie die Kurve kriegten. Es ist ganz bestimmt so, dass im Fall von überregionalen Ereignissen trotzdem jeder einzelne nur sein direktes Umfeld wahrnahm, weil die Weiterleitung von Nachrichten noch nicht in Echtzeit funktionierte. Nicht zuletzt nahmen sich die Leute in vorindustriellen Zeiten ganz anders selbst wahr. Nicht als Individuen, die etwas unbedingt aus eigener Kraft schaffen wollen, sondern als Teil einer Gemeinschaft, die mit vereinten Kräften schafft, was ein einzelner nicht auf die Reihe bekommt.
Ein bisschen ist es ein Treppenwitz, dass ausgerechnet die sozialen Medien, die angedacht waren, Menschen über Kontinente hinweg zusammenzuführen, dieses nur zum Teil erreicht haben. Zu einem großen Teil haben sie auch das genaue Gegenteil bewirkt: alle versuchen, sich als Persönlichkeit und ihre Meinung als wahnsinnig einzigartig darzustellen. Und darüber haben wir zum Teil verlernt, uns auf andere Meinungen, andere Erfahrungen, andere Sichtweisen einzulassen. Dabei sind wir auch in diesem Bestreben immer auf Resonanz von anderen angewiesen.
Stell dir vor, du hast etwas wichtiges zu sagen und keiner hört zu.
Deswegen habe ich einen besonders innigen, aber auch sehr schwer erfüllbaren Wunsch: Echtheit, in Einheit mit Wertschätzung. Ich weiß, beides gibt es, aber ich wünsche mir mehr Sichtbarkeit dieser Werte im öffentlichen Raum.
Das betrifft (nicht nur) Parteipolitiker, die nach vielen Jahren Regierungsverantwortung heute jegliche Mitschuld an gesellschaftlichen Entwicklungen oder Versäumnissen leugnen und auf ihre Nachfolger abwälzen. Oder Oppositionelle, von denen man weiß, dass sie es niemals so viel besser machen würden, wie sie gern versprechen. Oder Wirtschaftslenker, die ihre Taschen gut gefüllt und sich dann von der Gesellschaft verabschiedet haben, wenn sie nicht mehr zum Melken taugte. Oder Medien, die es mit der Wahrhaftigkeit der Berichterstattung nicht so genau nehmen. Das betrifft jeden Menschen.
Dafür braucht es die Bereitschaft, den imaginären Filter wegzulassen, der nicht nur unsere Instagram-Fotos strafft, schönt und retuschiert, sondern unser ganzes Leben.
Licht und Schatten der neuen Zeit, ja. Einerseits hat das Netz solchen Menschen wie mir ermöglicht, schreiben zu lernen. Andererseits liest das kaum einer 🙂
Und ja – es gibt Länder, in denen ein jeder, der seinen Mund laut aufmacht, mit seinem Leben spielt. Und hier kann jeder an jedem Ort seine ganz persönliche Speaker` s Corner aufmachen und seine gesammelten Weisheiten der Welt kundtun. Es kratzt niemanden, außer er ist zu laut, dann wird er weggesperrt, aber nicht wegen dem, was er von sich gab, nur wegen der Aufdringlichkeit.
Guten Morgen Anja!
LikeGefällt 3 Personen
Guten Morgen Reiner, beim Bloggen macht es mir wenig aus, dass ich nicht die Reichweite einer Influencerin habe. Wenn ich es recht überlege, ist es sogar entlastend. Für mich bringt das Schreiben eher Ordnung in meinen eigenen Gedanken und manchmal ist es hilfreich zu wissen, wie andere außerhalb meines persönlichen Umfeldes darüber denken, sei es in Großstädten wie München, Hamburg oder Wuppertal (ja, für mich ist Wuppertal Großstadt, egal ob es offiziell auch so ist) oder in der Provinz von Posemuckel.
Ich kriege aber regelmäßig einen Hals, wenn Leute lautstark darüber schwadronieren, dass man ja in D überhaupt nichts mehr sagen dürfe und wir in einer Scheindemokratie leben. Das ist nun wirklich gequirlte Sch…e.
Erwachsene, die sich weigern, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen, finde ich zum Kotzen, egal ob sie in der Öffentlichkeit (Politik, Wirtschaft, Medien, Unterhaltung…) stehen oder nicht.
Trotz aller Meckerei wünsche ich dir einen schönen 13ten.
LikeGefällt 4 Personen