Nun ist er fast schon vorbei, der Januar, der Veganuary. Hast du mitgemacht? Ich nicht. Vegetarisch ist bei uns normal. Für uns Eltern ab und zu durch etwas fleischhaltiges ergänzt. Mal ein bisschen Geflügel, mal etwas vom Biorindfleisch, das wir direkt beim Bauern gekauft und dann portionsweise eingefroren haben. Aber ganz und gar auf tierische Lebensmittel verzichten, das klappt nicht. Muss auch nicht, finde ich, solange wir bewusst und selten Fleisch konsumieren und nicht alles wahllos in uns reinstopfen. Wir achten im Allgemeinen darauf, woher unsere Lebensmittel kommen und bemühen uns, so zu kochen, dass wenig Reste anfallen, die wir dann möglichst auch noch verwerten können. Natürlich ist noch Luft nach oben, immer kann man es nicht komplett hinbekommen, aber im Großen und Ganzen kriegen wir es immer besser hin, die Ernährung nachhaltig aufzustellen und auf den mengenmäßigen Punkt zu kochen.
So weit, so gut. Als es mir Anfang Januar gesundheitlich noch nicht wieder gut ging, frönte ich einem meiner Hobbies und las Speisekarten. Das geht ja inzwischen meist auch online und ich wollte Inspirationen für die eigene Küche sammeln. Zusätzlich stehen in unserer Tageszeitung immer Anzeigen in einer Übersicht, was es an Tagesgerichten in diversen Supermärkten und gastronomischen Betrieben gibt.
Dabei ist mir mal wieder aufgefallen: Ob beim Italiener, im Dönerladen, beim Inder, Spanier oder Chinesen, überall gibt es vegetarische und vegane Gerichte. Sogar (oder gerade) in den angesagtesten Burgerschuppen gibt es für alle Ernährungsformen sogar mehrere Gerichte zur Auswahl. Mir fällt ein, sogar bereits in den 1980er Jahren gab es bei den Aufläufen im Minchen oder im Känguruh in Bückeburg und im Seriösen Fußgänger in Minden stets mehrere vegetarische Versionen.
Aber wehe, man möchte gutbürgerlich in einem ganz normalen deutschen Restaurant essen. Wenn man Glück hat, gibt es eine Suppe ohne Fleischeinlage. Und Beilagensalat. Das war es dann häufig schon. Ach nee, bei den Desserts könnte man noch fündig werden. Ganz davon abgesehen, dass teilweise sogar das Restaurantpersonal mitunter den Unterschied zwischen vegetarisch und vegan nicht kennt – oder sogar der Meinung ist, Hühnchen sei doch gar kein Fleisch. (Alles schon erlebt.) Das ist ja fast wie im Mittelalter, als man Biber in der Fastenzeit servierte, weil ein Tier, das im Wasser lebt, als Fisch angesehen wurde.
Wenn wir als Familie essen gehen, dann freut sich mein Mann, wenn er mal etwas essen kann, das ich zuhause nicht koche. Leber zum Beispiel. Unsere Tochter isst fleischlos. Grundsätzlich. Und ich entscheide mich inzwischen meist auch für Gerichte ohne Fleisch. Wir können uns also durch die restliche Welt futtern (aber dann wird es mit der Leber schwierig), oder es gibt zwar Leber, aber ansonsten viel leeren Raum auf den Tellern. Im Extremfall nehmen wir etwas, das eigentlich Fleisch enthält und bitten um das Weglassen des Fleisches. Und im Ultra-Extremfall müssen wir für das Weglassen des Fleisches dann umso mehr für den Rest bezahlen. Das nervt. In Deutschland, dem Land der Schnitzelfetischisten und Bulettenliebhaber könnte es im Jahr 2023 ruhig auch öfter mal Sellerieschnitzel oder Haferfrikadellen auf der Speisekarte geben. Ganz davon abgesehen ist die ständige Verfügbarkeit von fleischhaltigen Produkten eher ein relativ neues Konzept. Ich erinnere nur mal an den Sonntagsbraten. Der hieß ganz gewiss nicht so, weil er mittwochs oder an einem beliebigen anderen Tag auf den Tisch kam.
Oder hat das auch was mit Provinz und Ostwestfalen zu tun? Sind wir hier so hinter’m Berg?
Was mich sonst noch nervt: Die Mangelverwaltung. Mangel an Erziehern, an Lehrern, an Pflegepersonal, an Handwerkern, an Fahrern im ÖPNV… Alles nicht neu. Umso schlimmer, dass ich das Gefühl habe, irgendwie verharrt man beim Jammern, statt Maßnahmen zu ergreifen und Geld in die Hand zu nehmen. Wahrscheinlich dauert es so lange, erst eine Analyse und dann einen Aktionsplan aufzustellen. Uff!
Ratlosigkeit greift um sich. „Ich hatte wohl eine Lösung, allein: sie passte nicht zum Problem.“
Ich hätte es wissen können! Was für die Buchmesse gilt, gilt auch für andere Messen, in diesem Fall für die boot 2023 in Düsseldorf. Dort waren wir gestern. Uff, ich bin geplättet, dabei haben wir uns bei weitem nicht alles angesehen, was teuer ist und edle Namen trägt! Ich hatte mir vorher nicht mal überlegt, wie vielfältig das sein könnte, was dort alles gezeigt wird.
Aber der Reihe nach: gut zwei Stunden Fahrt nach Düsseldorf, dann fast nochmal so lange, bis wir endlich das Auto auf dem Parkplatz abgestellt hatten und mit dem Shuttlebus am Osteingang der Messe angekommen waren. Zumindest war der Einstieg gut gewählt, denn in der Halle 14 fühlte ich mich sofort wohl: Kajaks, Kanadier (fest oder aufblasbar), Faltboote (klassische und solche, die wie Papierschiffchen aussahen), gern auch zum Ausprobieren auf dem künstlichen Flusslauf, der an einer Seite der Halle entlangmäanderte, waren das Erste, was wir zu sehen bekamen.
Erinnerungen an MeckPomm-Urlaube kamen auf, und überfüllt war die Halle auch nicht. Außerdem waren dort klassische Segel- und Motorboote in teils wunderbar restauriertem, teils ziemlich abgewracktem Zustand ausgestellt. Ziemlich schick fand ich dieses Boot, das ich mir sehr gut an der Cote d’Azur vorstellen kann, mit Cary Grant und Grace Kelly an Bord, wie in „Über den Dächern von Nizza“:
Vielleicht braucht es ein bisschen Phantasie, aber in Ansätzen lässt sich das klassische Motorboot erkennen. Es war gar nicht so einfach mit dem Fotografieren, denn ständig liefen mir Leute durchs Bild oder umringten die Boote so dicht, dass Fotos ohne erkennbare Unbeteiligte überhaupt nicht möglich waren. In den meisten Hallen war es außerdem verboten, Fotos zu machen. Naja, die ausgestellten Großyachten mit mehr als 55 Fuß Länge (16,5 Meter und länger…) passten sowieso nicht aufs Bild und Schiffsrümpfe sind auch eher uninteressant.
In der Halle 14 gab es außerdem Ausstellungen von allen, die am und auf dem Wasser für Sicherheit sorgen: Wasserwacht, DLRG, Wasserschutzpolizei… mit verschiedenen Booten bis hin zu Schiffen der Polizei, die normalerweise auf dem Rhein herumfahren. Sehr anschaulich und auch wichtig: Naturschutzorganisationen machten auf die bedrohte Ressource Ozean aufmerksam, die Vermüllung vor allem durch Plastik, Geisternetze und was sonst noch so alles nicht dorthin gehört, Korallenbleiche durch Überhitzung der Meere, abschmelzende Polkappen…
Nachdem wir uns durch diese ansprechende Ausstellung gearbeitet hatten, ging es weiter in die Hallen 15 und 16, wo Segler auf ihre Kosten kommen sollten. Die bekanntesten Yachtbauer Bavaria, Beneteau, Hallberg-Rassy und viele andere hatten hier ihre „Flagschiffe“ aufgebaut, die neuen großen Modelle, gut und gern doppelt so lang und breit wie unser Boot und mit dem entsprechenden Tiefgang. So sahen wir also vor allem das, was sonst unter Wasser ist: Schwerter, Schrauben und Bugstrahlruder. Abtrennungen an den Ständen sorgten dafür, dass nicht einfach Hinz und Kunz die Treppenaufgänge zu den Oberdecks benutzen konnten. Ein bisschen schade fand ich das zwar, aber man musste sowieso überall entweder die Schuhe ausziehen oder so komische Überzieher drüberstreifen (wie bei der Spurensicherung). Und mit neuen Bootsmodellen geht es mir ähnlich wie mit neuen Wohnwagen: ich mag sie erstmal sowieso nicht so gern wie die älteren. (Aber ich muss sagen: auf dem Caravan Salon durfte man auch in die edlen Tourbusse der Superstars hineingehen und sich einen Moment reich und luxusverwöhnt fühlen.)
Der technikbegabte Part von uns beiden (also nicht ich) hatte Ausrüster für Navigation und ähnliches ins Auge gefasst, war aber enttäuscht von den Auskünften, die er bekam. Zwei bekannte Systeme, die für unterschiedlichste Arten von sinnvollen Informationen (Navigation, Ortung, Wetterdaten etc.) zuständig sind, können nicht miteinander kommunizieren. Keine Fremdsprachenkenntnisse sozusagen. Also hangelten wir uns weiter durch die Hallen 10 und 11, bewunderten geringelte Fenderbezüge, extravagante (und entsprechend teure) Bootshaken, Elektromotoren, Tauwerk, Heizungen, Entsorgungssysteme (aka Bordtoiletten) und anderes. Wir stöberten durch Allwetterklamotten, Rucksäcke, Schuhwerk, besonderes Geschirr im Seemannslook und andere Accessoires.
Und dann entdeckten wir die ganz weite Welt der maritimen Urlaubsdestinationen, egal ob Yachtcharter, besonders schöne Hafenanlagen an der Adria oder Tauchurlaube. Überhaupt: tauchen! Wahnsinn, wo man überall tauchen kann, zu welchen (sportlichen oder kulturellen) Zwecken, mit welchen vielfältigen Ausrüstungsgegenständen… Dem Andrang in diesem Bereich der Messe nach plant mindestens halb Deutschland in diesem Jahr einen Tauchurlaub. Mir wurde es dagegen schnell zu viel. Da schaute ich mir lieber (natürlich ohne Schuhe, aber ansonsten willkommen) ein Hausboot an, auf dem man über die französischen Kanäle, die brandenburgische Havel oder auch in England führerscheinlos schippern kann (ein Narrowboat gab es leider nicht zum Anschauen). Auch Floating Homes, die neue Art, auf dem Wasser zu leben, wurden gezeigt (interessant, aber ein bisschen steril für meinen Geschmack, neue Sachlichkeit sozusagen).
Den Abschluss machten wir dann wieder in der Halle, in der wir begonnen hatten, damit ich wieder ein wenig mehr mit mir selbst im Einklang war. Dort sahen wir ganz am Ende unserer Messetour noch zwei witzige Wasserfahrzeuge. Das eine war ein aufblasbarer Katamaran, der ein bisschen aussah, als wären seine Eltern ein Standup-Paddleboard (SUP) und eine Hüpfburg gewesen. Für das andere muss ich euch erstmal einen alten Wassersportwitz erzählen: Was ist der Unterschied zwischen paddeln und rudern? Die Paddler sehen voraus eine Kneipe am Ufer und können dort anhalten. Die Ruderer sehen sie immer erst dann, wenn sie daran vorbei sind. Dieses Problem können sie mit einer neuen Erfindung ändern: gezeigt wurde eine Art SUP mit Ruderanlage obendrauf. Das besondere daran: die Ruder sind mit einem Gelenk in der Mitte geteilt, so dass die Ruderer tatsächlich „vorwärts“ rudern.
Die Luxusyachten (meist sowieso Motoryachten), die immer im Fernsehen bei der Berichterstattung von der boot gezeigt werden, haben wir uns gar nicht mehr angesehen. Es wäre zwar vielleicht mal nett gewesen, sich so viel Überfluss anzusehen, aber ehrlich gesagt finde ich das so abgehoben, dass es mir keine schlaflosen Nächte bereiten wird, auf diese Erfahrung zu verzichten.
Als Reaktion auf meine letzte Buchrezension schickte Christiane mir den Link zu diesem sehr interessanten Blogbeitrag. Inzwischen habe ich ihn mehrfach gelesen und mir auch ausgedruckt, damit ich meine Anmerkungen an den Rand kritzeln kann. Denn mir kommen ziemlich viele und ganz unterschiedliche Gedanken dazu. Gedanken, die meist mit meinen persönlichen Erinnerungen von fast 50 Jahren aktivem Lesen und 36 Jahren Arbeit im und für den Buchhandel zu tun haben. Und mit vielen Gesprächen, die ich in den Buchhandlungen mit KollegInnen, Verlagsvertretern und natürlich mit Kundinnen und Kunden geführt habe.
Da ich weiß, dass hier eine ganze Menge buchaffiner Menschen lesen und schreiben, möchte ich euch den Artikel empfehlen und in einem zweiten Schritt einladen, hier über verschiedene Sichtweisen, Leseerfahrungen und Meinungen zu diskutieren. Natürlich weise ich darauf hin, dass wie immer gilt: Respekt gegenüber anderen Meinungen, so schreiben, wie man selbst gern angeschrieben werden möchte, ihr wisst schon, das wird so langsam zu meinem persönlichen Fetisch, wenn man es denn so bezeichnen möchte.
Ich mache dann mal den Anfang:
Zunächst mal fordert mich der Blogbeitrag auf, Gedanken zu verfolgen, die sich mir in meiner Berufspraxis so noch nie gestellt haben. (So etwas ist immer gut.) Weil ich erstens schon immer auch Serientitel im weitesten Sinne verkauft habe, und zwar an ganz unterschiedliche Zielgruppen. Und auch selbst welche gelesen habe, die unter ähnlichen Voraussetzungen produziert wurden. Das begann bei mir selbst im Alter von ca. 10 Jahren, als ich mein Taschengeld in Schneider-Bücher investiert habe. „Kinder lieben Schneider-Bücher“ war ein gängiger Werbespruch. Schon damals erschienen bei Schneider nicht die edlen Klassiker der Kinderliteratur (Astrid Lindgren, Otfried Preußler etc., die erschienen bei Thienemann, Oetinger und Konsorten), sondern Serien wie „Hanni und Nanni“, „Bille und Zottel“, „Trixie Belden“, „Burg Schreckenstein“, etwas später dann „Bibi Blocksberg“ und „Benjamin Blümchen“. Unter dem Label Enid Blyton erschienen noch neue Bücher, als die Autorin schon längst verstorben war. Die Marke Enid Blyton war so populär wie aktuell Marvel, es gab also ein Team von Ghostwritern, die in ihrem Stil weiterschrieben. Und auch die immer noch bei den Jugendlichen (von damals und von heute) beliebte Serie „Drei Fragezeichen“ wurde und wird noch von einem Autorenpool geschrieben. Im KiJuBu-Bereich folgten später noch so populäre Reihen wie „Fear Street“ oder „Das magische Baumhaus“, heute ist es „Die Schule der magischen Tiere“, „School of Good & Evil“ und vieles mehr. Kinder mochten es schon immer, wenn sie das Personal ihrer Lieblingsgeschichten kannten und immer wieder treffen konnten wie die besten Schulfreunde.
In der Buchhandlung traf ich während meiner Ausbildung auf Autoren wie Heinz G. Konsalik, der Ende der 1980er Jahre seine besten Zeiten schon hinter sich hatte und gemeinsam mit Johannes Mario Simmel von unserem ersten Sortimenter um Längen verschämter (und am liebsten gar nicht) verkauft wurde als die deftige Literatur von Henry Miller oder Anais Nin. Gerade bei Konsalik konnte man bei näherem Hinsehen feststellen, dass er offensichtlich eine Kartei mit Textkonserven benutzte, die in (nicht immer) abgewandelter Form sowohl beim „Arzt von Stalingrad“ oder in Südfrankreich-Romanen vorkamen. Für die linksgerichtete, eher intellektuelle Leserschaft gab es die Reihe rororo-Thriller, für die konservativeren Krimifans die roten Goldmann-Krimis mit Agatha Christie und Edgar Wallace, für das Bildungsbürgertum die schwarz-gelben Diogenes-Ausgaben: Patricia Highsmith, Dashiel Hammett und ähnliche Klassiker des Kriminalromans. Georgette Heyer, Utta Danella, Pearl S. Buck und andere Autorinnen verwöhnten ganze Frauengruppen mit exotischen und eine leichte Röte auf die Wangen treibenden Geschichten.
Also: Das Phänomen an sich ist nicht neu. Wie übrigens auch im Filmgeschäft nicht. Auch dort gab es schon frühzeitig ganze Reihen, wobei James Bond eine der bekanntesten und die über Jahrzehnte hinweg beständigste Figur darstellen dürfte (wobei natürlich auch an ihm die Spuren der jeweiligen Zeitströmung nicht vorbeigingen). Aber auch in der Film- und Musikindustrie hat sich mit dem Aufkommen des Internets, der sozialen Medien und Plattformen wie Youtube und Spotify vieles in dieselbe Richtung verschoben wie bei der Literatur. Ich kann mein eigener Regisseur, mein Musik- oder mein Podcastproduzent sein, wenn ich die Fähigkeit dazu (oder im schlimmsten Fall die Hybris) habe.
Das kann spannend und erfolgreich sein (wobei vermutlich in nackten Zahlen die Meisten nicht auf einen Brotberuf verzichten), es kann aber auch gnadenlose Abstürze zur Folge haben: Wer hier sorgfältig arbeitet, selbstkritisch und differenziert an die Sache herangeht, kann sich an höhere Stellen empfehlen; wer dagegen hudelt, bestimmte (oft ungeschriebene) Regeln missachtet, schlecht recherchiert oder durchscheinen lässt, dass er wenig Ahnung vom Metier hat, kann aber auch ganz fürchterlich vom Publikum abgestraft werden. Am Ende muss jeder, der sich hier engagiert, überlegen, ob er so ein Haifischbecken unbeschadet überstehen kann.
Ebenso ist es beim Self-Publishing: es hat sowohl Vor-als auch Nachteile. Es gibt in dem Bereich sehr liebevoll gemachte Werke, deren AutorInnen erkennbar Herzblut investieren, sich Mühe geben beim Layout und vor allem bei den Basics Rechtschreibung und Grammatik. Schön, wenn darauf dann auch Lektorate oder Agenturen aufmerksam werden. Es gibt aber auch grottenschlechte Beispiele zum Abgewöhnen, bei denen ich vollkommen nachvollziehen kann, weshalb kein Verlag Wert auf Veröffentlichung legt.
Was mir als nächstes Thema aufgefallen ist: Die Verfügbarkeit. In diesem Fall die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Ich weiß nicht, ob sich jemand ernsthaft darüber wundert, dass dieses ein schlagkräftiges Argument ist. Der Jäger und Sammler ist gerade im buchaffinen Menschen noch immer wirkmächtig. Die tägliche Belieferung der Buchhandlungen gibt es bereits sehr lange, was früher oft zu der staunenden Bemerkung „Die sind ja so schnell da wie Medikamente…“ führte. Und schon vor fast 40 Jahren gab es Kunden, die allen Ernstes morgens fragten, ob das Buch denn schon am Nachmittag abgeholt werden könne. Wenn man allerdings verglich, wer sein Buch „unbedingt“ ganz schnell brauchte, es dann aber mindestens zwei Wochen lang nicht abholte, stellte sich oft heraus, dass Eile eine sehr dehnbare Zeitspanne ist. Ähnlich ist es bei den Bestsellern: Die Tatsache, dass ein Buch auf der Bestsellerliste ganz oben steht, heißt zunächst einmal, dass es der Verlag (oder auch Amazon) in einem definierten Zeitraum besonders gut verkauft. Was damit überhaupt nicht ausgedrückt wird, ist a) wie viele Exemplare wie Backsteine auf Stapeln in Buchhandlungen liegen, b) wie viele Exemplare nach einem Jahr an die Verlage zurückgeschickt werden und c) ob die Bücher von den Endkunden/Geschenkempfängern gelesen werden, den Esstisch am Wackeln hindern oder wie das Mon Cheri der Buchbranche weiterverschenkt werden.
Ich stimme in jedem Fall zu, dass Amazon und TikTok wichtige Verkaufs- und Marketingkanäle sind, die man heute als Verleger in strategische Überlegungen einbeziehen sollte. Aber es gibt erstens immer noch Zielgruppen, die nicht über diese Plattformen erreicht werden (wollen), sogar ganz explizit darauf verzichten und zweitens bleibt ganz einfach auch noch abzuwarten, ob und wie lange sich die jungen Leute auf den immensen Leistungsdruck einlassen, der gerade durch das Binge-Reading entsteht. Ich kenne auch niemanden, der 24/7 Netflix-Serien schaut. Erfahrungsgemäß nutzt sich die Begeisterung umso schneller ab, je mehr man sich auf einen Kanal, eine Beschäftigung konzentriert. Dazu fällt mir noch ein: früher, in einer Zeit ohne Familie und Kinder, konnte es mir passieren, dass ich mich abends mit einem neuen Leseexemplar von Kathy Reichs ins Bett verzogen habe und dann ging auf einmal der Wecker, ich klappte das Buch zu: Uff! Fertig! und hatte nicht geschlafen. Das funktionierte nicht mehr, sobald ein kleines Menschlein da war, das mich jede überhaupt noch mögliche Sekunde Schlaf auskosten ließ. Es relativiert sich irgendwann ziemlich vieles. Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass Leute, die lesen, im Allgemeinen nicht vor viereckigen Augen oder drohenden Amokläufen als Folge ihres Bücherkonsums gewarnt werden (nicht mal dann, wenn sie nur blutrünstige Thriller lesen)😅.
Wie gesagt, das sind meine eigenen Erfahrungen, die ich im Lauf der Jahre gesammelt habe. Ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit. Es ist wie bei den meisten aktuellen Themen: in einem breit gefächerten Spektrum gibt es unendlich viele Facetten. Deswegen freue ich mich auch, wenn hier eine Art Erfahrungsaustausch entsteht. Welche Gedanken, Erinnerungen, Ideen kommen euch, wenn ihr den Artikel von Herrn Sahner lest?
In der Zeit zwischen Weihnachten und Anfang Januar, als ich mit meiner Lungenentzündung im Bett lag, habe ich nicht nur Filme geschaut, ich habe auch gelesen. Es wird Zeit, die Lektüren einzuordnen. Den Anfang mache ich mit Match on Ice, für mich bereits die zweite Sports Romance, die auf dem Eis spielt.
Ob es daran liegt, dass ich mich in das Thema nun ein wenig hineingedacht hatte, oder daran, dass in Match on Ice für Dummies wie mich einfach auf elegante Weise mehr Hintergrundinfo (Spielregeln, Trainingsaufbau usw.) eingebaut war, ich kann es nicht so recht benennen, aber Fakt ist, dass mir das Buch richtig viel Spaß machte: Romy ist Studentin mit Sportstipendium, ihre Karriere als Eiskunstläuferin im Paarlauf nimmt mit ihrem recht dominanten Partner gerade so richtig an Fahrt auf. Jack (Nachname Frost, witziges Wortspiel am Rande) studiert ebenfalls und ist aufstrebender Sportler, aber beim Eishockey. An der Uni gibt es immer wieder aus Rivalität teils sehr kindische Streiche, die sich die verschiedenen Eissportmannschaften gegenseitig spielen. Das Dumme ist nur, dass ein solcher Streich ausufert, Romy verletzt wird und nach der Heilung keine Sprünge mehr hinbekommt. Als erzieherische Maßnahme beschließen die Trainer, dass Romy und Jack gemeinsame Trainingseinheiten absolvieren müssen, um Verständnis für die jeweils andere Sportart zu entwickeln. Wie das Leben so spielt, beginnen Romy und Jack, sich gegenseitig zu helfen, während sie sich von ihrem Eislaufpartner (der auch noch eine zwielichtige Rolle spielt) immer weiter distanziert. Und natürlich gibt es Missverständnisse, Intrigen und andere Hindernisse, die überwunden werden müssen, damit die Beziehung der beiden ungleichen Sportler gelingen kann. Im Nachhinein denke ich mir, es liegt auch daran, dass eine schlüssige Rahmenhandlung und lebendig ausgearbeitete Haupt- und Nebendarsteller (vor allem ein ausgesprochener Unsympath heizte mitunter meine Rache-Phantasien an😅) die Geschichte schön „rund“ erscheinen lassen.
Bibliographische Angaben: Allie Well, Match on Ice, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-50643-4, € 18,-
Es ist ganz schön herausfordernd, nur noch montags seinen Frust rauszulassen. So herausfordernd, dass ich schon begonnen habe, die Montage „redaktionell“ zu planen. Zum Glück (naja, das Attribut ist durchaus zweifelhaft in dem Zusammenhang) ist absehbar, dass so manche Aufregerthemen uns länger begleiten werden. Außerdem gilt es zu beachten, dass an dieser Stelle zwar auf Missstände hingewiesen werden soll, aber meine Absicht nicht ist, hier in eine Abwärtsspirale des Beschimpfens zu rutschen. Eher geht es darum, eine Art von Hilflosigkeit einzugestehen, auszudrücken, dass einiges schief läuft, ohne dass eine einzelne Person daran etwas ändern kann.
Uuuund: ACTION!
Was mich schon längere Zeit ziemlich anwidert, ist der grundsätzliche Ton zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Und zwar nicht nur in Bezug auf irgendwelche Parteien an den äußeren Rändern, sondern – und das finde ich viel bedenklicher – auch zwischen potenziellen Koalitionspartnern. Aktuell ganz konkret die bayerische Schwesterpartei derjenigen, die das Christentum im Namen tragen. Es bedarf schon einer gewissen Bigotterie, sich einerseits darauf zu berufen, dass christliche Werte wie Nächstenliebe, der wertschätzende Umgang mit dem Nächsten und ähnliches maßgeblich für den Umgangston sein sollten, aber dann wieder politische oder gesellschaftliche Gegner wahlweise als „Klimaterroristen“ oder „Schurkenstaat“ zu bezeichnen. Dabei habe ich sehr konkrete Bauchschmerzen. Nähmen Politiker einer gewissen Partei am zerfledderten Rand der Demokratie diese Worte in den Mund, würden sie zu Recht gerüffelt, aber wenn man blauweiß kariert ist und einen gamsbartgeschmückten Hut trägt (sorry für das Klischee), ist es in Ordnung? Kann da mal bitte verbal ganz schnell und sehr heftig abgerüstet werden?
In einer Demokratie wie unserer kann es nach der nächsten Bundestagswahl oder auch nach einer Landtagswahl sehr wohl passieren, dass man auf Partner angewiesen ist, die man kurz zuvor noch rhetorisch delegitimiert hat. Ist es nicht viel sinnvoller, durch besonnenes und wertschätzendes Reden und Handeln seine Kompetenz zur Schau zu stellen? Und ganz davon abgesehen, muss sich auch niemand wundern, dass manche Leute aus dem „Wahlvolk“ in Kontroversen jeglichen verbalen Anstand vermissen lassen, wenn selbst die Repräsentanten dieses Wahlvolkes für den schnellen rhetorischen Erfolg die Keulen rausholen.
Es gibt (nicht erst seit Kurzem) ernsthafte Probleme in unserem Land. Sowohl das zukünftige Klima (bezogen vor allem auf langfristiges Wetter – und auch ein bisschen auf die Gesellschaft) und dessen Herausforderungen als auch die vom Verfassungsgericht bereits seit 2009 geforderte Reduzierung des Bundestages auf die festgelegte Größe zählen dazu. Und ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb diejenigen, deren JobBeruf es ist, sich um solche Themen ordentlich und für die Menschen des Landes zu kümmern, hier nicht gemeinsam alles daran setzen, dieses in einer Weise zu tun, dass sie sich auch danach noch mit gegenseitiger Anerkennung begegnen können. Sie sitzen und arbeiten schließlich in Regierungsgebäuden, nicht bei Frau Maischberger oder Herrn Lanz. (Ich ahne oder vermute, warum manche daran kein Interesse haben, aber sie wollten gewählt werden, da müssen sie halt durch. Nichts tun ist keine Lösung und aus dem Kindergarten sind sie eindeutig raus.)
Debattenkultur, das Führen von Diskussionen und Streitgesprächen, rhetorisch sauber, gut recherchiert und respektvoll im Ton, das sollte man ungefähr in der achten Klasse lernen und sinnvollerweise nicht wieder vergessen. Das Ansehen der Demokratie und ihrer Institutionen dürfte auch davon profitieren.
Mein zweites Aufregerthema heute ist die zunehmende Ungleichheit beim Vermögenszuwachs global und in Deutschland. Ich habe mir eine Krücke (simpel, aber anschaulich) gebastelt, um die Dimensionen richtig zu erfassen:
Auch wenn reflexartig betont wird, dass die Einkommen gar nicht unbedingt weiter auseinanderklaffen, tröstet das nur wenig. Wenn ein bestimmtes Vermögen erstmal da ist, arbeitet es von ganz allein weiter. Ein Grund mehr für eine effektive Vermögensbesteuerung. Und nein, bei den genannten Vermögen geht es nicht im entferntesten um die notwendigen Produktionsmittel für mittelständische Betriebe, die besteuert werden sollen. Für solche Fälle können Regeln geschaffen werden. Wenn es denn geregelt werden soll. Zurzeit wird die tägliche Arbeit wesentlich stärker besteuert als das vor sich hin wuchernde Vermögen und es ist kein Ende in Sicht. Ich möchte ganz bestimmt nicht weltweit den Sozialismus oder die Abschaffung des Privatbesitzes propagieren, aber dass gleichzeitig die Vermögen der Superreichen und die Mittellosigkeit der Armen ansteigt, das ist einfach pervers.
Ein drittes Thema macht mich nachdenklich: Vordergründig geht es um die Organspende. Ich weiß, dass es kniffelig ist. Ich möchte auch nicht jemanden, für den es aus unterschiedlichen (ethischen, religiösen oder auch medizinischen) Gründen nicht in Frage kommt, „verdonnern“. (Persönlich habe ich einen Organspendeausweis und bin typisiert. Sollte mein Knochenmark allerdings tatsächlich als Spende in Frage kommen, müsste ich ebenfalls abwägen, ob ich es verantworten kann, denn ich müsste vor einer Spende erst für ein Vierteljahr meine Rheumamedikation absetzen. Das könnte 1.) für eine Spende zu spät sein und 2.) bei mir einen akuten Schub verursachen, der dann mühselig wieder verarbeitet werden muss. Aber es könnte eben auch ein Leben retten.) Ich bin der Meinung, dass es erwachsenen Menschen durchaus zuzumuten ist, sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen und zu einer persönlichen Entscheidung zu kommen. Und sich auf der anderen Seite auch klarzumachen, was es für Spender und Empfänger bedeutet, wenn man selbst im Ernstfall ein Spenderorgan annehmen würde, aber selbst die Organspende ablehnt. Eine derart reflektiert getroffene Entscheidung ist dann natürlich auch zu akzeptieren. Und kann im Übrigen auch revidiert werden. Wenn diese Entscheidung nicht eingefordert wird, werden viele Menschen in Deutschland weiter auf Organe aus anderen Ländern angewiesen sein, in denen den Bürgern der Entscheidungsprozess zugemutet wird.
Und das reiht sich nahtlos ein in das (typisch deutsche?) Vorgehen auch in anderen Bereichen: – selber Fracking ausschließen, aber Fracking-Gas aus anderen Ländern einkaufen (wobei hier die Lösung meiner Meinung nach nicht das Fracking in Deutschland wäre, da schaffen wir uns neue, weitere Bergschäden und Ewigkeitsaufgaben der Bergämter) – Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben, weil in Deutschland keine Bereitschaft für gewisse Jobs vorhanden ist (warum wohl?), die dann aber in ihren Heimatländern als Leistungsträger fehlen – Das jahrzehntelange Verlassen auf die militärische Macht der NATO, statt die eigene Verteidigungsfähigkeit zu erhalten
Das sind alles gewachsene Probleme, die allesamt nicht trivial sind und vollen Einsatz brauchen – nicht das volle Aussitzen. Sie lassen sich nur lösen, wenn sie angepackt werden. Nicht durch das Runterzählen bis zum nächsten Wahlkampf oder der Nachfolgeregierung.
Zum Schluss passt ein kleiner Rückgriff auf die Sponti-Sprüche der 1980er Jahre: Analog zur Werbung (von ESSO)
„Es gibt viel zu tun. Packen wir es an!“
gab es wahlweise „Es gibt viel zu tun. Fangt schon mal an!“ oder „Es gibt viel zu tun. Lassen wir es liegen!“
Manchmal habe ich das (hoffentlich unzuverlässige) Gefühl, die beiden Verballhornungen haben sich bei einigen mehr durchgesetzt als das Original.
Es sieht so aus, als ob ich einen Nerv getroffen hätte mit meinem Montagsmotz. Ich kann und will natürlich niemandem verbieten, sich in ähnlicher Weise zu äußern. Ich bitte nur zu bedenken, was ich heute früh las und was mich zum Nachdenken gebracht hat, sowohl über meinen Tonfall, die Rhetorik als auch darüber, was sich für ein „Rattenschwanz“ hinterher ziehen kann:
Vergiss nicht, dass dein Satz eine Tat ist.
Das hat Antoine de Saint-Exupéry gesagt, der als Journalist, Kriegsberichterstatter und Schriftsteller bekannt wurde. In Zeiten des Internets gilt dieser Satz umso mehr, denn was dort einmal irgendwo auftaucht, kann auch durch das Löschen von Posts nicht mehr einwandfrei entfernt werden, da niemand weiß, wer den Beitrag gespeichert oder unter anderem Namen neu verbreitet hat.
*Das Motzen soll zum Nachdenken anregen und einen kleinen Beitrag zu einer positiven Debattenkultur leisten.
*Motzen ja, aber mit Augenmaß, kein pauschales Bashing!
*Keine persönlichen Beleidigungen erkennbarer Personen (durch Fotos, Namensnennung etc.)
*keine Beiträge, die gegen die allgemeinen Menschenrechte verstoßen, rassistisch, homophob, xenophob oder sonstwie menschenverachtend sind!
*Nach Möglichkeit mit einer befreienden Auflösung (Katharsis) am Schluss, um die Spannung zu lockern
Werden diese Regeln nicht eingehalten, behalte ich mir angemessene Schritte vor. Wie einige hier aus eigener Erfahrung wissen, wird WP auch von unangenehmen Zeitgenossen genutzt. Angemessene Schritte können unter anderem sein: Löschung von Kommentaren, Meldung bei WP, bis hin zur Einschaltung von Polizei und/oder Staatsschutz.
Das klingt vielleicht etwas harsch, ist aber nach persönlichen Erfahrungen und zum Selbstschutz leider notwendig.
Heute hatte ich mal wieder etwa eine Stunde Zeit zu überbrücken, die ich für einen Spaziergang am Weserradweg nutzen wollte. Von der Schachtschleuse in Minden ging ich also guten Mutes weserabwärts los und freute mich, dass die Weser nach den wasserarmen Sommermonaten letztes Jahr mal wieder reichlich Wasser hat. Leider sorgte das auch dafür, dass ich schneller als gedacht den Rückweg antreten musste, weil ich nicht das passende Schuhwerk trug. Genossen habe ich den Spaziergang trotzdem und ein paar „Beweisfotos“ gemacht, für die nächste Trockenphase, die auch bestimmt wieder kommen wird…
Gestern war ich auf Krawall gebürstet, heute bin ich eher um Ausgleich bemüht. Heute früh beim Sporteln (sehr gemütlich, mir fehlt immer noch Luft und Ausdauer) hörte ich den Podcast „Auch das noch?“ von der Zeit. Es ging um Kapitalismus. Ist er das globale Übel oder die Lösung für die Probleme der Welt? Kleiner Spoiler: ein bisschen von beidem ist dabei.
Es war auf jeden Fall sehr interessant, den verschiedenen Denkansätzen zu folgen. Und einmal mehr wird klargestellt: Alles, was wir Menschen uns ausdenken, um die Welt sinnvoll am Laufen zu halten, ist immer nur so gut, wie die Regeln dazu und deren Einhaltung. Sonst ist jedes Modell, egal was, von vornherein mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt.
Ein weiterer interessanter Link: https://www.dezernatzukunft.org/ Und: Heute startet das Weltwirtschaftsforum in Davos. Ich bin gespannt bis im Voraus desillusioniert. Ganz schöne Spannweite.
Solche Sprüche waren nie so meins, und eigentlich wünsche ich mir das auch nicht für die Zukunft. Andererseits, so eine kleine Motz-Runde am Montag könnte vielleicht den Rest der Woche frei von Mecker-Tendenzen halten?
In sehr vielen Bereichen haben wir anscheinend nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, nicht zwischen Paradies und Hölle. Manches Mal habe ich das Gefühl, die Lücke zwischen den realen Gegebenheiten einerseits, dem Anspruchsdenken andererseits und dann noch den Sehnsüchten nach einer vermeintlich übersichtlichen Traum- und Wunschidylle klafft immer weiter auseinander. Obwohl es sehr wahrscheinlich niemals in der langen Menschheitsgeschichte anders war.
Es ist auf jeden Fall zurzeit mental sehr anstrengend, einigermaßen optimistisch durch das Leben zu marschieren. Heute früh hatte ich bereits bei der Zeitungslektüre den ersten akuten Anfall von schlechter Laune, als ich einen Leser-Kommentar las. Ein lokaler Fanboy des blaubraunes Sumpfes bezeichnete alle SPD-Wähler als „IQler unterhalb der Zimmertemperatur“, brüstete sich aber als „IQ 142. Amtlich bestätigt.“ Na Glückwunsch. Mein mir Angetrauter meinte dazu nur lakonisch: „Die Grenzen zwischen Genie und Wahnsinn sind halt fließend“ und ich feiere ihn dafür. Ganz davon abgesehen, dass dieser Typ trotz seines amtlich bestätigten (?) IQs anscheinend den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht kennt.
Vermutlich war es in unserer Welt noch nie gerecht, ausschließlich in Schwarz und Weiß zu malen, wo uns doch so unendlich viele Farben und Schattierungen zur Verfügung stehen. Aber in einer immer schneller und komplexer werdenden Realität sind die vermeintlichen Sicherheiten, mit denen manche Menschen so schlafwandlerisch sicher durchs Leben ziehen, einfach überhaupt nicht vertretbar. Und ich frage mich, warum es scheinbar immer mehr Leuten schwerfällt, zu gestehen: „Ich bin in der Sache xy einfach ratlos. Ich kann es mit meinen Kenntnissen nicht beurteilen, was besser ist.“ Und warum es im Gegenzug immer mehr Menschen zu geben scheint, die erstmal aus Prinzip dagegen sind. Welches Thema, ist vollkommen Banane, nach dem Motto: „Egal wofür, ich bin dagegen!“ Gefolgt von „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ Vielleicht ist es eine um sich greifende Hilflosigkeit, wenn man mit einem normal breit gefächerten Allgemeinwissen in immer mehr Bereichen erkennen muss: Ich habe hierzu zwar eine Meinung, aber keine Expertise. Und dann wird dieses Manko eben durch mehr und lautstark vertretene Meinung ersetzt.
Ich bin allerdings überzeugt davon, dass es mehr Mut und mehr Selbstreflexion erfordert, seine persönlichen Grenzen anzuerkennen, als auf etwas zu beharren, was sich als Irrweg herausstellen könnte. Zum Beispiel, was aktuell das Thema Lützerath angeht. Meine Sympathien sind ziemlich eindeutig auf der Seite derer, die den Ort erhalten möchten. Da gibt es Menschen, die persönliche Risiken eingehen, die Gesundheitsgefahren, Jobverlust, Lücken im Lebenslauf, wirtschaftliche Nachteile und nicht zuletzt viel Komfortverlust in Kauf nehmen für den Erhalt von Natur und Kulturlandschaft. Die aber auch anerkennen, wenn sie am Ende ihres Protestes angekommen sind. Vor diesen habe ich Hochachtung. Es gibt auch andere, vor denen ich Hochachtung habe: Politiker und Polizeikräfte, die vom Bauchgefühl lieber an einer anderen Stelle ständen, als sie es nun mal wegen ihres Berufes tun. Und die mit persönlichem Unbehagen etwas vertreten (müssen), von dem sie in Abwägungsprozessen zu dem Schluss gekommen sind, die Gesellschaft als Ganzes sei mit dem eingeschlagenen Weg einigermaßen gut beraten. Und es gibt die anderen, die Profikrawallisten und Hardliner auf allen beteiligten Seiten. Die gibt es, auch wenn sie zum Glück zahlenmäßig unterlegen sind. In dieser Gemengelage muss ich gestehen: Ich für meinen Teil bin mir alles andere als sicher, welcher Weg der richtige ist. Natürlich möchte ich nicht, dass der Braunkohletagbau sich wie ein Krebsgeschwür noch weiter in die Landschaft frisst und Bausubstanz, fruchtbaren Ackerboden, Kulturgüter und Heimatgefilde zerstört. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, dass ohne den Kohlekompromiss noch weitere Orte gefährdet werden, Orte, die noch bewohnt sind. Und ich sehe leider auch, dass die Bereitschaft vieler Menschen unabhängig von Alter, Gesellschaftsschicht und Bildungsniveau, zugunsten der Natur und nachfolgender Generationen auf Teile ihres (zum Teil nicht mal selbst) erworbenen Wohlstandes zu verzichten, äußerst gering ist.
„Weil ich es kann“ oder „Aber nicht hier“ sind ebenso überstrapazierte wie gesellschaftsschädliche Floskeln. Und: Es gibt immer noch zu viele – sorry – Männer (es sind meist Männer), die ihr Selbstwertgefühl und ihre Wichtigkeit aus Statussymbolen ziehen: Das beginnt in der Kreisklasse beim doppelten (oder sogar zwei doppelten😱) Auspuffrohr* und endet in der Champions League der toxischen Männlichkeit inzwischen nicht mehr bei der Superyacht inklusive Skipper und Crew, sondern bei der Weltraumrakete (ebenfalls samt Personal). Und auch zu viele Frauen (auch hier hat das Stereotyp eine gewisse Berechtigung), die dekorativ am Arm und Geldbeutel solcher Typen hängen und einen aufgespritzten Schmollflunsch ziehen. (Ich nehme gern Gegenbeispiele an, bei denen eine strotzende Selfmadefrau ein Luxusmänneken hinter sich herzieht, für die ausgleichende Gerechtigkeit. Mir fällt da kein konkretes Pärchen ein.)
Vielleicht wache ich auch gleich auf, schweißgebadet und verwirrt und stelle fest, dass dieser ganze blöde Montagvormittag glücklicherweise ganz anders abläuft und ich nur einen dystopischen und surrealen Alptraum hatte…
*früher gab es den „schönen“ Witz: Was ist ein Opel Manta mit einem Strohballen auf dem Dach? – Extended Memory. (Der musste jetzt sein, für die kleine Katharsis am Ende des bedrückenden Beitrages.)
Es ist wieder soweit, die Etüden sind (schon vor einer Woche) gestartet. Danke an Christiane, den Host der Etüden und an deren Erfinder Ludwig Zeidler für die herausfordernde Wortspende. Ob es an den Fluchtsiegern lag oder an der Tatsache, dass ich generell ein bisschen schlapp in das neue Jahr starte, eine Woche lang habe ich mit den Wörtern gerungen. Heute habe ich beschlossen, aus der Not eine Tugend zu machen und außerdem die ganze Sache nicht zu ernst zu nehmen.
Here we go:
„Mama, wo bist du?“ schallte es aus dem Flur. „Hier“ rief ich, „In der Waschküche. Bin dabei, die Kätzchen zu füttern. Die fressen uns demnächst die Haare vom Kopf.“
Der Kopf meiner Tochter erschien in der halboffenen Tür. Grinsend meinte sie: „Ach wie wunderbar, dann sparen wir uns den Friseur. Obwohl, Haare sind bestimmt nicht besonders lecker. – Du, ich habe mal eine Frage. Ich habe eben schon gegoogelt, aber nichts gefunden, was irgendwie Sinn ergibt. Hast du schon mal das Wort ‚Fluchtsieger‘ gehört und wenn ja, was ist das?“
Ich richtete mich auf und tat, als ob ich konzentriert überlegte. „Nein,“ meinte ich dann. „Das habe ich in der Kombination auch noch nie gehört. Sieger, ja okay, das ist der oder die Erste. Aber was soll ein Fluchtsieger sein? Aus einer Gruppe Wegrennender der schnellste? Wie hier unser Mäxchen, der immer versucht wegzukriechen, wenn Minka ihm nach dem Essen das Bäuchlein massieren will?“
Sie sprang sofort darauf an und antwortete: „Oder Mama Minka selbst, wenn sie versucht, vor ihrer Vitaminpaste zu flüchten, sobald sie dich mit der Tube sieht?“ Ich flachste: „Oder du, wenn du im Kalender liest, dass du mit dem Abwasch dran bist?“
„Nein, Mama. Das siehst du falsch. Da ich ja die einzige bin, die wegläuft, kann ich auch nicht Sieger sein. Genauso wenig wie Verlierer übrigens.“
„Soso. Du und deine Haarspaltereien. Wozu brauchst du überhaupt so ein merkwürdiges Wort?“ „Für den Deutschaufsatz. Wir haben mehrere Wörter als Vorgabe, die darin vorkommen sollen und dann sollen es mindestens drei Din A4-Seiten werden.“ „Na dann schreib mal schön. Viel Spaß dabei. Trotzdem ist es heute deine Sache, die Katzennäpfe abzu…. He, wo willst du so schnell hin???“
Meine Mutter hat als Heranwachsende Feldhandball gespielt. Gern hätte sie das Interesse genetisch an mich weitergegeben. Dass es mich stattdessen im Alter von ungefähr 12 Jahren eher gereizt hätte, den Fußball zu kicken, hatte zwar teilweise damit zu tun, dass ich einen Jungen aus meiner Schule anhimmelte, der im Fußball recht erfolgreich war, aber zum sehr großen Teil auch damit, dass ich (übrigens bis heute) nie ordentlich werfen konnte, außer vielleicht das Handtuch. Aber laufen konnte ich. Auch im Zickzack. Nun gab es etliche Hindernisse für meine Ambitionen: das elterliche kategorische Nein zu einem „so brutalen“ (ich frage mich immer noch, was an Handball weniger brutal ist als an Fußball) Sport traf auf die Nichtexistenz von Mädchenfußballmannschaften in der Gegend und nicht zuletzt hätte mir zu der Zeit vermutlich auch meine notorische Schüchternheit einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.
Was geblieben ist: Ich schaue grundsätzlich nicht übermäßig viele Sportsendungen, aber es gibt das eine oder andere Event, bei dem ich ganz gern mal zusehe. Heute steigt Deutschland mit seinem ersten Spiel in die aktuelle Handballweltmeisterschaft ein und gestern Abend kam in den Nachrichten eine Meldung über ihr erstes Training in Polen. In der Turnhalle einer Schule. Vielleicht merkwürdig, aber allein dadurch steigerte sich bereits meine Achtung für die Handballer. Man stelle sich vor, die deutsche Fußballnationalelf hätte ihr erstes Training während einer WM auf dem Sportplatz einer ganz normalen Schule. Undenkbar, so viel Understatement.
Und dann steht auch noch in der Tageszeitung, dass die Handballer vorsichtshalber „genug Unterhosen bis zum Finale“ eingepackt haben. Ich bitte euch, bei so viel vorausschauendem Pragmatismus muss ich doch dahinschmelzen, oder? (Vor allem, wenn man durch Betreuung von Kinderfreizeiten von dem diffizilen Verhältnis zwischen Jungs und ihren Unterhosen weiß😉)
Es könnte also sein, dass ich jetzt im fortgeschrittenen Alter noch zu einem kleinen Handballfan werde, schließlich bin ich wohnorttechnisch von GWD Minden, TuS N Lübbecke und TBV Lemgo umgeben. Ich hoffe, die Jungs haben auch genügend Tüten für Schmutzwäsche dabei. Ich würde ihnen gönnen, dass sie die benötigen.
PS: Dieser Beitrag ist nicht ganz ernstgemeint, aber ich hatte ein deutliches Bedürfnis, etwas spaßiges zu schreiben. Ein großer Anteil der Realität ist ernst und unübersichtlich genug.
Was haben Prinz Harry und Georg Gänswein gemeinsam? Der eine ist die Nummer sechs in der britischen Thronfolge, der andere war Privatsekretär des jüngst verstorbenen Papstes a. D. (oder korrekt Emeritus). So weit, so unterschiedlich.
Nun kommt’s jedoch: Beide haben mit ihrem Umfeld anscheinend ein Hühnchen zu rupfen, und beide haben beschlossen, es öffentlich zu tun und dabei die Sensationsgier und das Interesse an möglichst schmutzigen Details vieler Menschen zu befriedigen.
Nun sind sie ja beileibe nicht die ersten prominenten Menschen, die Bücher publizieren (inwieweit sie auch selbst schreiben, sei mal dahingestellt). Es gibt auch wirklich inspirierende Bücher, Titel von Leuten, die mit ihrem Handeln als Vorbilder und Mutmacher unterwegs sind, und es gibt die – ich sag mal – B-Klasse. B als Synonym von „nur das Zweitbeste“ oder B als Anfangsbuchstabe eines deutschen „Poptitanen“, das könnt ihr euch aussuchen. Wenn sie denn meinen, sollen sie ruhig zum Stift, zur Tastatur oder zum Ghostwriter greifen. Jenseits von Kulturanspruch und Kunstbegriff ist das Buch nun mal auch Konsumgut. Nicht zu vergessen, dass es sich gerade bei Enthüllungsbüchern, ob im Bereich Politik, Wirtschaft oder Yellow Press, oft um „Brotartikel“ handelt, also Titel, die den Verlagen Geld in die Kassen spülen und damit die nächste literarische Neuentdeckung quersubventionieren.
Aber zurück zu den beiden Autoren, die ich oben genannt habe: Auch wenn man getrost davon ausgehen kann, dass sowohl im englischen Königshaus als auch im Vatikan irgendwelche Leichen im Keller liegen (metaphorisch gesehen natürlich, was sonst?😉), wie es einfach überall der Fall ist, wo Menschen und ihre Eitelkeiten, Gelüste und Fehler im Spiel sind. Muss die dreckige Wäsche immer unbedingt öffentlich nicht nur gewaschen, sondern vorher auch noch genüsslich ausgebreitet werden? Ist es dadurch nicht viel schwieriger, wieder in eine Spur hineinzufinden, wo man Dinge aufarbeiten, bewältigen und ins Reine bringen kann? Aber vermutlich ist auch hier nehmen seliger denn geben: Supervision, Mediation, Familienaufstellen… das kostet. Während man durch das ökonomische Ausschlachten seiner Baustellen Geld verdienen kann. Und sich zudem sicher sein kann, aus irgendwelchen Ecken Beifall zu bekommen.
Aber was weiß ich denn schon? Ich bin ja nur eine Durchschnittsbuchhändlerin, der es um das Papier leid tut. Und die Druckerschwärze. Die Zeit der Lektoren, den Klebstoff und die vergeudeten Ideen der Marketingfachleute. So viel Energie, die man in Projekte stecken könnte, die uns voranbringen statt Sensationsgier zu befriedigen. Trotzdem kann jeder sicher sein: Wenn jemand in den Laden kommt und die Bücher haben möchte, werde ich vielleicht ungewohnt mundfaul sein, aber dennoch das Gewünschte bestellen. Denn ich bin ja nicht die Zensurbehörde, Geschmackskontrolle oder so. Und Geld verdienen muss ich auch🤷♀️. Luft und Liebe klappt auch in unserer Familie nur so mittelmäßig zum Sattwerden.
Letzten Sommer habe ich das Busfahren wiederentdeckt. Denn obwohl wir im „ländlichen Raum“ wohnen, gibt es halbstündliche Busverbindungen, die ich nutzen kann. Eigentlich. Seit dem Beginn der Weihnachtsferien mussten allerdings einige Buslinien im Kreis Minden-Lübbecke ausgedünnt werden, weil nicht genügend BusfahrerInnen zur Verfügung stehen. Und nun fährt der Bus, den ich nutzen könnte, halt nur noch einmal in der Stunde, immer schön hin und zurück. Kein Warten mehr, wenn man als Autofahrer das Pech hat, hinter einem der sich begegnenden Busse warten zu müssen, bis die Fahrer sich gegenseitig über was auch immer ausgetauscht haben. Dafür aber längeres Warten auf den nächsten Bus zur Arbeit oder wieder nach Hause. Beziehungsweise eine knappe Stunde vor Arbeitsbeginn schon dort sein. Zeit, die im Verhältnis zur täglichen Arbeitszeit für mich fast ein Viertel Verlängerung bedeutet. Ungenutzt, wohlgemerkt.
Damit muss ich jetzt in einer Zeit, in der ich ernsthaft überlege, meinen kleinen Cityflitzer zu verkaufen, eine neue Erfahrung machen: Es ist in Deutschland, dem Autoland schlechthin, nicht überall möglich, auf eben dieses Auto zu verzichten. Spaßeshalber habe ich einmal nachgesehen, wie die Situation für unsere Tochter aussähe, zu ihrer wöchentlichen Therapiestunde zu gelangen, wenn kein Auto zur Verfügung stünde. Die Strecke, die mit dem Auto je nach Verkehrslage 15-20 Minuten dauert, wäre mit dem Bus eine halbe Weltreise, inklusive Umsteigen und Wartezeiten (denn die Busse fahren nicht passend zu den Vergabetakten der Therapiestunden) wäre sie für die Hin- und Rückfahrt jeweils mindestens 1,5 Stunden unterwegs. Also für 50 Minuten Therapie noch drei Stunden on Top.
Ich weiß, dass wir mit diesen Zeiten immer noch recht komfortabel dran sind im Gegensatz zu manch anderer Gegend. Was mich daran jedoch zum Nachdenken bringt, ist die soziale Komponente: Wie effizient und sinnvoll ich Ziele erreichen kann, hängt viel zu sehr von meinen finanziellen Möglichkeiten ab. Kann (oder will) ich mir kein Auto leisten, bleibt mir nichts übrig, als in einer Umgebung zu leben, wo ich nicht darauf angewiesen bin. Und da sind es dann häufig die Mieten, die ich kaum stemmen kann. Wenn mein Kind auf irgendeine Form von Hilfe angewiesen ist, kann ich diese oft nur gewährleisten, indem ich ein Auto nutze, weil die entsprechende Institution nicht oder sehr schlecht mit dem ÖPNV erreichbar ist. Und so ließe sich die Liste vermutlich noch mit vielen Situationen erweitern.
Busfahrer kann man sich nicht backen, so viel ist klar. Die jahrzehntelange ungesunde Fixierung auf den Vorrang von Individualverkehr macht sich aber auch hier bemerkbar, nicht nur durch Staus und unübersichtliche, gefährliche Situationen für alle, die anders unterwegs sind als mit dem eigenen Auto. Beispielsweise bemerke ich immer wieder, dass viele Radfahrer sich überhaupt nicht an Regeln halten, auf Fußgängerwegen fahren, oft auch entgegen der Fahrtrichtung, aber zum Teil kann ich sie durchaus verstehen, denn viel zu viele Autofahrer lassen Radler ständig spüren, dass sie die Schwächeren sind. Da wird die Vorfahrt geschnitten, es wird trotz Gegenverkehr, Kurven und Abstandsgebot überholt, um eine Zehntelsekunde rauszuholen, und und und…
Auch andere Menschen, die Ärzte, Therapien, sonstige Hilfen benötigen, sind auf Busse angewiesen. Aber das Konzept von zentrumsnahen Ärztehäusern und Therapiezentren setzt sich auch erst langsam (aber immerhin) durch. Wenn ich beispielsweise zu meinem Rheumatologen muss, könnte ich ohne Auto zu Fuß fast genauso schnell dort sein (es sind 22 Kilometer einfacher Weg) wie mit dem Bus (blöde Takte und Umsteigefenster) und ich hätte ganz schlechte Karten, wenn es um zeitlich gebundene Termine wie frühmorgendliche Blutabnahmen ginge.
Und in unserer lokalen Tageszeitung lese ich, dass Menschen offen damit drohen, zum Einkaufen in die umliegenden Großstädte zu fahren, wenn sie in Minden nicht mehr „überall“ fahren und parken dürfen. (Obwohl auch in Hannover und Bielefeld der Parkraum bewirtschaftet wird und man nicht vor den Kaufhäusern parken kann, man kann sich eigentlich nur an den Kopf fassen…)
Vieles ist notwendig, um die Verkehrswende hinzubekommen. Sehr viel öffentliche Infrastruktur, die auf den ersten Blick gar nichts mit dem Thema zu tun hat (die Zulassung von medizinischen Einrichtungen durch die KVs zum Beispiel) Natürlich ein Umdenken in den Köpfen der Verkehrspolitiker. Aber ganz viel auch in unseren eigenen Köpfen.
Am 8. Januar vor 50 Jahren lief der ARD die erste deutsche Folge der Sesamstraße. Das Kinderbildungsfernsehen war aus den USA nach Deutschland geschwappt, in Testausstrahlungen der Originalsendungen vereinzelt schon im Jahr 1972 in den Regionalprogrammen (allerdings nicht in allen, Süddeutschland sperrte sich noch) zeichnete sich ab, dass es funktionierte.
Vielleicht gab es auch bereits urdeutsches Programm, um Kindern die Welt oder zumindest einen kleinen Teil davon zu erklären, aber das fand zumindest in unserem Wohnzimmer nicht statt. (Vielleicht weiß ja jemand von euch mehr darüber, dann freue ich mich über Kommentare.) Und ich durfte auch nicht jeden Abend eine halbe Stunde vor der Flimmerkiste sitzen, sondern nur am Wochenende. Das Parken der Kinder frühmorgens vor dem Fernseher, wenn die Eltern ausschlafen wollten, gab es natürlich auch noch nicht.
Ich weiß noch, dass meine Mama zunächst nicht begeistert war von diesem „neumodischen amerikanischen Quatsch mit den Puppen“. Aber meine Quängelfähigkeiten haben stetig den Stein ihres Widerstandes ausgehöhlt. Anfangs, als es noch keine in Deutschland gedrehten Folgen gab, wurde die amerikanische Sesamstraße synchronisiert, was man daran merkte, dass die Mundbewegungen der Menschen nicht immer zum Text passten. Aber den größten Eindruck machte es auf mich, als wir endlich einen Farbfernseher bekamen und ich kleines ostwestfälisches Landei dadurch zum ersten Mal bemerkte, dass es Menschen gab, die nicht dieselbe Hautfarbe hatten wie die in unserer Umgebung. Das kam nämlich damals in unserer Gegend nicht vor. Nach dem zweiten Weltkrieg war hier britische Zone, in Minden waren zwar Soldaten stationiert, mit denen hatte ich aber erstens nichts zu tun und es waren auch zweitens eher Schotten oder Nordengländer. In Süddeutschland, in der amerikanischen Zone, sah es anders aus, allerdings wusste ich das ja nicht.
Zusammen mit Henning Venske und Liselotte Pulver, die geduldig und kindgerecht Fragen zu allem möglichen beantworteten, machte die Sesamstraße mein Weltbild bunt und weit.
Vielleicht sollten gewisse Menschen mehr Sesamstraße gucken und vor allem mehr fragen (statt die Antworten angeblich schon im Voraus zu kennen). In diesem Sinne: Herzliche Glückwünsche, Sesamstraße, mögest du noch ein langes Leben mit vielen Fragen und Antworten haben.
Wer kennt das Lied nicht? Die ultimative Berechtigung, den Eltern Löcher in den Bauch zu fragen: „Wer nicht fragt, bleibt dumm!“
Was zurzeit gerade in „God’s own country“ abgeht, spottet jeder Beschreibung. Und zeigt am Beispiel von Kevin McCarthy eindrücklich, dass sich ein Einknicken vor Forderungen von Extremisten (egal welchen Lagers) nicht auszahlt.
Es ist ja nicht so, dass die USA keine anderen, drängenderen Probleme hätten als sich in Flügel- und Machtkämpfen um einen Posten – und sei er noch so wichtig – zu zanken. Probleme, die ungeteilte Aufmerksamkeit und gute Krafteinteilung verlangen. Stattdessen wird ungefähr die Hälfte der Legislative des Landes sehenden Auges in einen handlungsunfähigen Zustand versetzt.
Vor allem aber führt es vor Augen, dass es Menschen gibt, die sich zwar demokratischer Prozesse bedienen, aber im tiefsten Herzen die Demokratie verachten, der sie durch ihre Wahl zum Abgeordneten dienen sollten/wollten. Menschen, denen ihre eigene Machtgeilheit wichtiger ist als anständige, aber oft zermürbend kleinteilige Arbeit für knapp 340 Millionen Bürger ihres Landes. Verlierer des ganzen unwürdigen Tohuwabohu ist das US-amerikanische Volk und die Akzeptanz der demokratischen Arbeit als Ganzes.
Und nun denke bitte niemand, dass es bei uns nicht so weit kommen könnte. Ich hoffe nur, dass hier bei uns die Vernunft siegt. Aber sicher bin ich mir nur, dass auch darüber keine Sicherheit besteht.
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