
Begonnen habe ich den Tag mit Brötchenbacken. Unvermeidlich dabei sind Pausen, in denen ich warte, dass der Teig aufgeht (Zeit genug für eine halbe Stunde Ergometertraining im Gesundheitsmodus), dass die fertig gewirkten Brötchen nochmals aufgehen und der Ofen die passende Temperatur erreicht und schließlich, dass die Brötchen fertig sind. Da kann ich doch auch wunderbar bei der ersten Tasse Kaffee etwas lesen. Gelungener Auftakt.
Szenenwechsel
Nach dem Mittagessen entschloss ich mich spontan, das erste Mal nach überwundener Covid-Infektion und späterer Lungenentzündung wieder bergauf zu gehen, statt in der Ebene zu bleiben. Ich wollte es auch ganz gemächlich angehen. Blöd nur, wenn der Vierbeiner eine andere Vorstellung von „gemächlich“ hat. Kunststück, der kommt mit seinen vier Pfoten effektiver den Berg rauf als ich mit zwei Beinen. Der einzige Vorteil: die furchtbar steile Strecke gehört noch zum Ort, wenn ich mich also umdrehe und ein paar Schritte rückwärts gehe, habe ich erstens einen grandiosen Ausblick auf die norddeutsche Tiefebene, die sich dann vor mir erstreckt. Am Horizont sehe ich die Vergangenheit und die Zukunft der Energieerzeugung: Das Kohlekraftwerk in Lahde, wegen der befürchteten Gasknappheit letzten Sommer reaktiviert, spuckt große Wasserdampfwolken aus dem Kühlturm, noch etwas weiter nördlich drehen sich die Windräder majestätisch vor sich hin.
Zweitens kann ich mir im Rückwärtsgang mehr oder weniger erfolgreich einreden, dass sich meine ureigene Pumpe regeneriert, ähnlich wie ein rückwärtslaufender Stromzähler. Manchmal muss man sich halt doch ein bisschen in die Tasche flunkern😁. Wenn’s hilft…
Auf ein Foto der Aussicht müsst ihr leider trotzdem verzichten, mit dem Luftschnappen und Kalle war ich in dem Augenblick komplett ausgelastet.

Im Wald angekommen stellte ich fest, dass ich nicht die Einzige war, die irgendwie in der Luft hing. Dem abgesägten Baum ging es ganz ähnlich. Aber im Gegensatz zu mir wird ihm auch „tief Luft holen“ nicht mehr helfen. Kalle wiederum hatte viel zu schnuppern, denn in dem Waldstück gibt es Rehe, Wildschweine, Pioniere (letztere allerdings eingehegt hinter einem hohen Zaun und vermutlich nicht unbedingt sonntags) und natürlich Spaziergänger, gern auch mit Kindern und Hunden. Ich weiß gar nicht, wieso ich davon ausgegangen war, dass wir bei dem schönen Wetter den Wald für uns haben könnten. Da mir die Frequenz an Menschen und Fellnasen eindeutig zu viel wurde, gingen wir kurzerhand einen anderen Weg als geplant und das war eine sehr gute Entscheidung. Erstaunt stellte ich fest, dass in dem Stück Jakobsberg, in dem wir uns nun befanden, ein Weg existierte, den ich in dem halben Jahrhundert, das ich nun schon durch den Wald stromere, noch nie gegangen bin. Oder es ist so lange her, dass ich mich nicht erinnere. Den Weg hatten wir fast komplett für uns, nur ein einsamer Jogger in neongelbem Outfit, bestimmt 10 Jahre älter als ich, hüpfte beneidenswert leichtfüßig den schmalen Weg bergauf, der quer vor dem Ende des Wirtschaftsweges verlief – und auch vor dem Ende des Berges, es ging plötzlich jäh bergab zur Bundesstraße hin, deren Bau vor Jahrzehnten dafür gesorgt hatte, dass vom Gebirge die Kante abgeknabbert wurde. Wir gingen stattdessen bergab, weil ich durch die unbelaubten Bäume sehen konnte, wohin diese Strecke führen würde. Unter anderem zu fünf ziemlich zerfallenen und verlassenen Hochbehältern aus Beton, die nicht mehr sehr vertrauenswürdig wirkten:

Die anderen sahen ähnlich aus: Der Beton von außen bis auf die Armierung abgeplatzt, von abgebrochenen Ästen und Stämmen bedeckt, löcherig. Ein paar Meter weiter die nächste Überraschung:

Die alte Glasfabrik existiert seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Dass die Gebäude allerdings so weit in den Wald hineinragten, war mir nicht bekannt. Vielleicht hat auch der Wald in der langen Zeit einfach ein Stück des ehemaligen Werksgeländes überwuchert. Hm, das ist eine neue Aufgabe, das werde ich mal recherchieren.
Dann der Aha-Effekt: Ich komme am Open-Air-Schießstand des Bürgerbataillons heraus, von dort geht es zur Bundesstraße, die ich dann ein Stück entlangwandere, um wieder die Richtung nach Hause einzuschlagen. Glücklicherweise ist auf der Straße fast schon weniger los als im Wald. Da bin ich von den Wochentagen anderes gewohnt. Für Kalle allerdings eine ganz neue Erfahrung (die Bundesstraße kannte er noch nicht): Er schaut jedem entgegenkommenden Fahrzeug hinterher, muss sich also immer wieder umdrehen. Zum Glück gibt es auf dem Bürgersteig keine Türrahmen, vor die er laufen kann (was er im Haus öfter mal macht, wenn er wissen will, ob ich ihm folge). Auf der Straße, die uns wieder nach Hause führt, geht eine Zeitlang ein junger Mann ungefähr 100 Meter vor uns her. Kalles Neugier ist groß genug, dass er ihn gern einholen würde, aber nö. Da spiele ich nicht mit. Wir gehen jetzt stur dasselbe Tempo wie schon die letzten Kilometer.
Nach etwas mehr als einer Stunde endet unser heutiges Mikro-Abenteuer, von dem wir vor dem Start nicht einmal ahnten, dass es ein solches sein könnte. Mein Fazit: Auch in der anscheinend bekannten Umgebung lohnt es sich immer, nach Neuem Ausschau zu halten. Die Aufforderung des Tages im Fastenkalender lautete: „Das will ich mal genauer beleuchten“. Cool, wie das ganz unverhofft in die Tat umgesetzt wurde.
Ausbaufähig und bedürftig ist dagegen eindeutig meine Kondition bergauf. Daran muss ich arbeiten. Covid ist halt doch ’ne Bitch.
Oh ja, Covid ist in der Tat ne Bitch! Ich hatte zum Glück einen sehr leichten Verlauf, dennoch hat es mehrere Wochen gedauert, bis ich wieder richtig bei Kräften war. Ich wünsche es dir sehr, dass sich deine Kondition alsbald bessern wird.
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Danke, Martha. Ist jetzt fast ein halbes Jahr her, so langsam verliere ich die Geduld. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
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