Solange es uns persönlich möglichst wenig beeinträchtigt und wir unser Leben schön piano vor uns hin leben können, spüren wir doch eigentlich nur mäßigen Veränderungsdruck (auch das ist leider ein grundsätzlicher Konsens). Wir sind in der Masse bequem und satt, mit Nuancen in alle Richtungen. Deshalb müssen wir gar nicht Umsturz propagieren, sondern nur manchmal sorgfältig uns selbst zuhören und kritisch begleiten.
Wenn ich an diesem Montag, wie an vielen anderen Tagen auch, die Zeitung überfliege, dann lese ich nicht nur bei diesem Thema vor allem eines heraus:
Mein Leserbrief an unsere Tageszeitung am 17.4.2023
Alle sind für xxx (hier beliebiges Ziel von Kinderfreundlichkeit bis Nachhaltigkeit einsetzen), aber nur exakt so lange, wie nicht vor der eigenen Haustür etwas Konkretes geplant werden soll.
Bei dieser Feststellung möchte ich nicht den aktuellen Sachverhalt bewerten, denn wie in den meisten Bereichen haben beide Parteien valide und nachvollziehbare Gründe.
Ich frage mich nur: Wie sollen wir als Gesellschaft in Zukunft überhaupt etwas gebacken kriegen, wenn jedes Vorhaben jahrelang zerredet wird? Wir werden es nie schaffen, von vornherein Situationen auf jeden eventuellen Nachteil abzuklopfen und diese herauszufiltern. Dafür muss man nur die Geschichte des technischen Fortschritts beobachten.
[…]
Und was Kitas angeht, wie sehr soll die Lunte denn noch brennen, bis die Gesellschaft sich hier in allen Konsequenzen hinter Familien und Kinder stellt?
Platz- und Personalmangel führt zu Gruppen- und Kitaschließungen. Führt zu Unzufriedenheit, Gemecker und letztlich Flucht, sowohl bei Eltern als auch bei Erziehern. Führt zu weniger jungen Leuten, die „so eine“ Ausbildung machen wollen und weniger Bauvorhaben. Führt zu Platz- und Personalmangel…
Navid Kermani schrieb ein Buch mit dem Titel: „Jeder soll von dort, wo er steht, einen Schritt näher kommen“ und bezog das auf die Weltreligionen. Es ist ein Titel, der auch auf unser gesamtes Zusammenleben passt.
Den Leserbrief hatte ich geschrieben, weil eine Kita in Minden seit 5(!) Jahren einen neuen Bauplatz sucht. Der bisherige Vermieter hat Eigenbedarf angemeldet. Ein Grundstück nach dem anderen wird von den Anliegern der jeweiligen Liegenschaften, die in Frage kommen könnten, abgelehnt. Natürlich immer mit den edelsten Motiven, aber abgelehnt ist abgelehnt. Keiner will die Kinder (die ja gern als unsere Zukunft gelobt werden), haben. Vor allem will aber keiner die Eltern haben, die ihre Kinder bringen und abholen müssen (was in Anbetracht des geringen Alters und der Umgebung mitten in der Stadt ja gar nicht anders machbar ist).
Womit ich immer wieder hadere:
Was wir für uns selbst in Anspruch nehmen: Platz, Ruhe, Zentralität, eigenen Lebensentwurf, Meinung … gönnen wir anderen viel zu oft nicht. Und es fehlt nie an Gründen Ausreden. Mich selbst nehme ich davon ausdrücklich nicht aus. Ich könnte mich immer in den Hintern beißen (wenn ich denn drankäme), wenn ich merke, dass ich mal wieder in diese Falle getappt bin.
Und doch ist unsere Gesellschaft zum Glück immer noch nicht auf dem traurigen Niveau angekommen, auf dem Teile der us-amerikanischen Einwohnerschaft inzwischen ihre Impulskontrolle komplett verloren haben. Ich las gestern, dass es dort inzwischen Fälle gibt, wo Menschen erschossen oder angeschossen wurden, weil sie sich in der Einfahrt zu einem Grundstück oder in der Türklingel geirrt hatten. 😡🤮
So. Nun ist es draußen, jetzt kann und will ich mich wieder erfreulichen Themen zuwenden. Vielen Dank an Martha, Fraggle und an meinen Angetrauten, mit dem ich so herrlich frühstücksphilosophieren kann. Ihr drei habt mir Stichworte und auch Argumente geliefert, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe. Über Sachverhalte, die einerseits langweilig und gewohnt sind, so dass wir oft darüber hinweghören, die aber andererseits unmittelbar die essentielle Frage berühren:
Wie wollen wir miteinander leben und Zukunft gestalten?
Ganz zum Schluss noch ein kleines Schmankerl:
https://www.daserste.de/information/talk/maischberger/videos/maischberger-video-562.html
Ich habe bei einer politischen Talkshow lange nicht mehr so gelacht. Zumindest im ersten Teil, als die Journalisten diskutiert haben. So hätte ich das gern öfter. Ich kann sogar der Argumentation folgen, lieber die Kernenergie als Brückentechnologie zu nutzen. Wenn ich nicht die Befürchtung (bezüglich Aufschieberitis) hätte, die ich am Dienstag schon geäußert habe…
Schluss jetzt! Aus! Pfui!
Ich gebe das Kompliment gerne an dich zurück, liebe Anja. Du hast mich auch schon etliche Male inspiriert. Und ich finde das so wunderbar, mit dir und @Fraggle und noch einigen anderen zu diskutieren und zu philosophieren. Weil das so schön gesittet und zivilisiert abläuft, so respektvoll und tolerant. Ich finde, an uns könnten sich viele andere Nutzer:Innen im WWW ein Beispiel nehmen. 😉
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Win-Win-Situation für uns, nicht wahr? Im Endeffekt bildet sich ja auch hier eine Art Bubble, aber du hast schon Recht.
Bei Instagram finde ich viele inspirierende und informative Inhalte, aber der Blick in die Kommentarspalten lässt mir oft die Haare zu Berge stehen. Und bei fb schaue ich so selten wie möglich rein, das ist ein Haifischbecken. Wobei ich vermutlich den Haien unrecht tue.
Aber manchmal erliege ich der Faszination des Grauens doch noch😬.
Ein schönes Wochenende wünsche ich dir.
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Danke, dito!
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So sehr ich die Demokratie und Mitbestimmung schätze … da sehen wir aber dann die Grenzen, weil nix vorwärts geht. Es wird viel zu viel zur Diskussion gestellt, man sollte die Bürger beim „Wie“ einbinden, aber bei jedem „Ob“. Zumindest mal bei Themen von strategischem Interesse. Integration von Flüchtlingen, Energieversorgung, Nachwuchssicherung/Förderung Etc
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Sehe ich auch so. Aber ich muss auch gestehen, dass meine persönliche Einsichtsfähigkeit an ein paar Punkten auf die harte Probe gestellt wird, wenn Themen meine ureigensten Überzeugungen betreffen. Und dieses Dilemma hat wohl jeder von uns und muss sehen, wie er oder sie sich dazu verhält.
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