
Gestern hatte ich mal wieder ein längeres Zeitfenster, wo es sich nicht lohnte, zwischen zwei Taxidiensten nach Hause zu fahren. Obwohl es bedeckt und nicht ganz so frühlingshaft war wie am Tag zuvor, nahm ich also die Kamera mit und entdeckte den botanischen Garten neu. Es ist schon etliche Jahre her, dass ich dort öfter mal herumlief. Seither haben Stürme, Hitze, Kälte, Nässe und Trockenheit, also Witterungsbedingungen einerseits sowie die Schaffung von Sichtachsen und das Entfernen von schlecht einsehbaren Stellen (wegen Dealerei) andererseits den Garten ganz schön verändert. Aber ein schönes Fleckchen Natur, Ruhe und Rückzug vom Alltag ist geblieben, mitten in der Stadt.
Die alten Grabstellen sind, bis auf wenige Ausnahmen, aufgelöst. Grabsteine, oft von Familien, welche in der Zeit ab ungefähr 1800 die Stadtgeschichte geprägt haben (Unternehmer, Bürgermeister, Verwaltungsbeamte aus preußischer Zeit, Militärs) stehen verteilt auf dem Gelände.
Ich selbst habe eine ambivalente Einstellung zu Friedhöfen – ich besuche nicht häufig die Gräber meiner Angehörigen, weil ich sie (die Menschen) dort nicht finde. Sie leben eher als Erinnerungen tief in mir weiter . Aber ich mag die Atmosphäre auf alten Friedhöfen, weil sich dort Ende und Neubeginn, Vergänglichkeit und Ewigkeit, Vergehen und Aufblühen treffen. Dort ist Kulturgeschichte mit vielen Sinnen erfahrbar. Obwohl durch den Wandel der Bestattungskultur durchaus die Frage im Raum steht, wie lange das noch so ist. Aber auch das gehört zum Lauf der Zeit.
Bemerkenswert: Fast alle Grabmäler bestehen aus Sandstein (regional erste Wahl) oder Marmor. Einige Metallkreuze zeige ich euch später noch. Aber das Feld mit den drei schlichten, kleinen Holzkreuzen macht mich neugierig auf die Geschichte, die dazugehört. Das werde ich mal versuchen, herauszufinden.
Bäume sind, neben Bodendeckern und Stauden, unverzichtbar für Friedhöfe, heute mehr denn je. Natürlich findet man die „heiligen“ Bäume wie Ilex und Eibe, aber vor allem Koniferen und mächtige Laubbäume. Auch die Bäume dieses Platzes mitten in Minden haben Geschichte(n) erlebt. Sogar als Baumleichen erzählen sie noch davon. Hier einige charakterstarke Exemplare:





Auch um die Tiere in der Stadt kümmert sich die Parkverwaltung: Igel-Hotels für den Winter, Vogeltränken, Futterhäuschen, sogar Ausstiege aus den Wasserstellen finden sich verteilt über das Gelände. Als ich in die Betrachtung einiger alter Grabsteine vertieft war, nahm ich plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr: Zwei Eichhörnchen spielten Fangen, flitzten über die Wiese, einen Baum hinauf und immer um den Stamm herum. Es war herausfordernd für mich, so schnell die Brille von der Nase zu reißen und die Kamera vor dieselbe zu halten😅. Mit mehr Glück als Können erwischte ich die Tierchen doch noch. Naja. Nicht mit der Qualität gewisser Mitblogger zu vergleichen.




Eine merkwürdige Zusammenstellung von alten Grabmälern habe ich am Anfang des Rundgangs gesehen:



Diese ungewöhnliche Trinität steht tatsächlich so nebeneinander. Ganz links wurde im Jahr 1827 der Oberst und Comandant zu Minden begraben, der seine militärische Laufbahn 1780 als Leibpage Friedrichs des Großen begonnen hatte. So geht es aus dem Grabkreuz hervor. In der Mitte sehen wir das Grabkreuz des Bürgermeisters Martin Friederich Kleine, der im März 1854 verstarb. Das ionisch anmutende Säulenfragment rechts passt nun überhaupt nicht in die Reihe, die Steine daneben sind außerdem so verwittert, dass keine Informationen zu der Grabstelle vorhanden sind.
Wie in so vielen Städten spielen leider immer wieder Kriegsgefallene eine Rolle. Minden war preußische Garnisonsstadt, daher gab es hier immer viele Militärangehörige. Im Jahr 1759 gab es sogar die Schlacht um Minden, die in die Geschichtsbücher einging. Die Wunden der Kriege hinterlassen auf jedem Friedhof Spuren, so auch hier.



Von links nach rechts: An dieses merkwürdige Gebäude schlich ich mich heran und schaute hinein. An den Innenwänden befinden sich auf beiden Seiten Tafeln mit den Namen Gefallener. Leider konnte ich nicht auf Anhieb erkennen, aus welcher Epoche. Auch eine „Hausaufgabe“.
Der Grabstein in der Mitte erzählt eine tragische Familiengeschichte: Offensichtlich konnte der Leichnam des im November 1918 (in den letzten Kriegswirren) gefallenen Sohnes nicht geborgen und nach Hause gebracht werden. Die Mutter des jungen Mannes, der nur 18 Jahre alt werden durfte, verstarb im Juni 1919. Aus Trauer und Gram? Ich weiß es nicht. Der Vater und Ehemann lebte noch bis Mai 1939 und musste so zumindest den offiziellen Ausbruch des zweiten Weltkrieges nicht mehr erleben.
Der Steinklotz, der einmal den Sockel für ein Sandsteinkreuz bildete, erinnert an die französischen Kriegsgefangenen des Krieges von 1870/71, die ihre Heimat nie wiedersahen, vermutlich weil sie in Gefangenschaft umkamen.
Die Gedanken wandern ganz automatisch in die vielen Kriegsgebiete weltweit, die auch heute noch solche furchtbaren Schicksale hervorrufen.
Damit dieser Beitrag aber nicht so ganz bedrückt endet, habe ich mir ein Foto bis zum Schluss aufgespart, das für alle trüben Gedanken entschädigt. Und auch hoffentlich für das eine oder andere etwas verschwommene Bild. Wenn ich die Kamera nutze, sehe ich gern durch den Sucher, da kann ich die individuelle Sehstärke einstellen. Entweder muss ich das mal nachjustieren oder die vielen Leute im botanischen Garten haben dafür gesorgt, dass ich immer wieder auf die Schnelle knipsen musste, damit mir niemand durchs Bild lief. Oder von beidem etwas.
Eine hochmotivierte Hundeschulklasse (sämtliche Größen, wie die Orgelpfeifen😊), eine fast ebenso enthusiastische Laufgruppe und etliche Familien mit Kleinkindern waren unterwegs. Kiffer oder Dealer habe ich dagegen nicht gesehen. Sichtachsen und so bringen wohl doch etwas😁.

Das nenne ich mal eine innige Umarmung. Oder Umbaumung?
Wer gern mehr über den Alten Friedhof Minden erfahren möchte, findet hier Informationen und weiterführende Links.
So einen altehrwürdigen, aufgelassenen Friedhof habe ich hier in München ganz in meiner Nähe. Es ist eine so wundervolle, ruhige, entspannende Oase. Ich nehme auf meinen häufigen Spaziergängen dort immer die Kamera mit, und habe schon etliche schöne Tiere vor die Linse bekommen.
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