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Über die Titelliste zur Netgalley-Challenge 2023 bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden. Die Autorin kannte ich nicht namentlich, aber sie ist diejenige, die den ersten Unverpackt-Laden in Berlin etablierte und den Verlag „Ein guter Plan“ gründete. Damit konnte ich etwas anfangen.
Für Milena Glimbovski steht fest: Vieles von dem, was uns bedroht, können wir nicht mehr rückgängig machen. Nicht mit vielen kleinen Tipps wie dem Coffee-to-go-Becher, den man immer in der Tasche hat oder dem Einkaufskorb statt der Plastiktüte. Was diese Maßnahmen deshalb nicht schlechter macht, aber es reicht halt nicht.
Aber auch großflächig geplante Maßnahmen werden nicht die Rettung bringen, so meint sie, weil die Umsetzung zu spät ins Auge gefasst wird, die Pläne oft noch unausgegoren sind und wir auch viel zu oft weitermachen wie bisher und die möglichen Lösungen in die Zukunft verschieben („Technologieoffenheit“, mein persönlicher Kandidat für das Unwort des Jahres 2023). Auch hier gilt: Diese Erkenntnis ist kein Freibrief, sondern sollte im Gegenteil ein Ansporn sein. Aber nun ja, die Trägheit der Masse…
Viele Menschen, das sieht man ja auch bei den Aktivisten der Letzten Generation, leiden deswegen – und das ist kein Scherz und keine Übertreibung – an einem depressiven Zustand, den nicht nur die Autorin „Klimagefühle“ nennt.
Die amerikanische Psychiaterin Lise van Susteren, die viele Menschen behandelt hat, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung litten, stellte im Laufe ihrer jahrzehntelangen Praxis fest, dass auch Menschen, die Angst vor einem traumatischen Ereignis haben, unter vergleichbaren Symptomen leiden. Die prätraumatische Belastungsstörung beschreibt diesen psychischen Stress. Auslöser dafür können auch die Angst und Verzweiflung vor den Folgen der Klimakrise sein – nicht nur für einen selbst, sondern auch für die kommenden Generationen. Heute beschreibt van Susteren diese Diagnose weniger als psychische Störung denn als Zustand. Denn auch hier gilt: Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung und damit keine Störung. Wenn wir also ständig von allen Seiten mit Nachrichten konfrontiert werden, wie schlecht es um unsere Umwelt bestellt ist, welche Stürme, Brände, Dürren und Hitzewellen gerade durch die Länder ziehen, dann kann diese intensive Beschäftigung zu einem prätraumatischen Belastungszustand führen.
aus Kapitel 3: Klimagefühle – ein kleiner Exkurs
Um in diesem dystopischen Zustand nicht zu verharren, müssen wir uns Strategien überlegen, und das führt zu der Überlegung, dass Anpassung notwendig ist. Dazu stellt sie Projekte und Menschen vor, die schon am Thema dran sind, forschen, durchführen, einfach machen.

Auch über dieses Buch könnte ich viel schreiben, aber ich möchte mich einmal auf unsere Lebensgrundlage schlechthin konzentrieren:
Das Wasser
Woran liegt es, dass dieselbe Ahr, die im Sommer 2021 Menschenleben, Existenzen und materielle Werte vernichtete, nur ein Jahr später nicht mal mehr den Rhein erreichte, sondern vorher schon versickerte?
Was ist eigentlich das Problem bei starken Regenfällen? Warum ist das nicht einfach nur „viel Regen auf einmal“, sondern eine reale Bedrohung für unseren Lebensstil?
Warum bekommt der Kohletagebau und überhaupt die Energiewirtschaft mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Wasserbedarfs – und das fast umsonst?
Was ich übrigens zumindest in dieser Dimension bisher nicht wusste. Und jetzt kommt der Punkt, weshalb ich diesen Artikel unbedingt heute noch schreiben wollte:
Morgen, am 31.5.2023 soll im Bundestag über die nationale Wasserstrategie beraten werden. Erstaunlich eigentlich, dass es so etwas noch nicht gibt.
Konzerne, die jährlich viele Milliarden Liter Wasser nutzen und nichts dafür zahlen: Damit könnte es bald vorbei sein. Bis 2025 will die Bundesregierung prüfen, ob die Nutzung von Wasser in allen Bundesländern kostenpflichtig werden soll. Die Gebühren könnten unter anderem dafür genutzt werden, um einen „bewussteren Umgang mit der Ressource Wasser” anzustoßen, wie es in dem Dokument heißt. Am Mittwoch will sich das Bundeskabinett mit der Strategie beschäftigen.
Jan-Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, begrüßt die Strategie. Sie mache klar, dass es ein zeitgemäßes Wasserrecht brauche. Die Einführung von einheitlichen Gebühren für die Nutzung von Wasser sei ein wichtiger Schritt dahin. „Die Entgelte müssen die ökologischen Kosten widerspiegeln.“
Wann genau die vereinheitlichten Entgelte kommen sollen, bleibt allerdings offen. Denn ein konkreter Zeitpunkt findet sich in dem Dokument, das CORRECTIV vorab vorliegt, nicht.
https://correctiv.org/aktuelles/wirtschaft/2023/03/14/wasserstrategie-konzerne-sollen-fuer-wasser-zahlen/ (zuletzt abgerufen 30.5.23)
Besonders berührt hat mich eine ganz kleine, schlichte Aussage, die aber einen großen Teil der Misere ausmacht und leider viel über unser Aufmerksamkeitsvermögen aussagt:
Was wir nicht sehen, rutscht uns vom Schirm.
Aus Kapitel 3, „Anpassungsmaßnahmen“
Wenn wir nicht lernen, besser und sinnvoller mit dem Wasser umzugehen, dann haben wir meiner Meinung nach vielleicht einfach nicht verdient, weiter eine wichtige Rolle auf diesem Planeten zu spielen.
Auch wenn man nicht mit allen Schlüssen, die von der Autorin genannt werden, konform gehen mag (schließlich haben wir nicht alle dieselben Erfahrungen gemacht), lohnt es sich auf jeden Fall, sich mit dem Buch und insgesamt mit dem Thema zu beschäftigen. Ich habe viele neue Informationen bekommen, die mir weiterhelfen, für mich persönlich Probleme einzuordnen, Widerstände zu erkennen, Lösungen anzudenken.
Übrigens lese ich parallel abends im Bett von Marc Elsberg „Celsius“ (nicht die beste Schlaflektüre, gebe ich ja zu). Es ist schon bemerkenswert, an wie vielen Punkten das Sachbuch und der Thriller parallele Gedankengänge aufweisen… (Dazu in einem anderen Artikel mehr.)
Bibliographische Angaben: Milena Glimbovski, Über Leben in der Klimakrise, Ullstein Verlag, ISBN 978-3-548-06805-3, 16,99 €
Erscheinungsdatum: 1. Juni 2023
PS: Auch Maßnahmen, die manches Mal auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, haben Schattenseiten. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch dieser Artikel aus dem letzten Frühsommer:
https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2022/06/14/klimawandel-konflikt-um-wasser-in-deutschland/
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