
Was einem beim Duschen quasi mit dem Wasser für Fragen in den Kopf strömen…
Natürlich sind nicht alle der beliebig fortzusetzenden Beispielpaare für jeden von uns gleich wichtig. Und natürlich gibt es auch Situationen, in denen eine Antwort aus Sachzwängen heraus „Meine Jacke ist mir näher als das Hemd des Nachbarn“ lautet.
Aber in sehr vielen Zusammenhängen ist es bei genauerem Hinsehen doch nicht so alternativlos, wie wir Entscheidungen treffen. Das hat nicht mal etwas mit Gutmenschentum zu tun.
Es kann auch schlicht die Erkenntnis sein: Ich könnte genauso gut auf der anderen Seite stehen.
Ich möchte von meiner Arbeit leben können, aber alles möglichst billig einkaufen. Und wovon sollen dann die VerkäuferInnen leben?
Ich möchte gute Luft atmen, aber das möchten andere auch.
Ich möchte meine Freizeit genießen können. Andere leben das ganze Jahr über in der Gegend, die ich mir dafür aussuche. Kann ich für zwei Wochen Spaß verlangen, dass diese Leute aus dem Küchenfenster ständig auf erodierte Böden schauen, auf denen nichts mehr wächst?
Ein Physiker würde jetzt eventuell sagen Die Gesamtmenge der Energie bleibt stets gleich, ein Yogi brächte das Prinzip von Ying und Yang ins Spiel, ein Ökonom überlegt eher Kopf oder Zahl.
Alles hat zwei Seiten. Wo auf der einen Seite das Glas voller wird, wird es auf der anderen Seite leerer. Und Deutschland hat heute übrigens seinen persönlichen Earth Overshoot Day erreicht.
Wir können nicht alles verbessern und kein einzelner Mensch kann die Welt retten (das müssen wir auch gar nicht, wir müssen „lediglich“ unsere Lebensgrundlagen anständig erhalten). Aber wir müssen uns auch nicht zurücklehnen und im Elend der Welt suhlen.
Wir dürfen und werden Fehler machen, aber wir sollen auch anderen ihre Fehlbarkeit zugestehen (auch Politikern).
Wir müssen auch nicht auf alles Antworten haben. Aber Fragen stellen, das ist wichtig. Auch unbequeme. Das heißt allerdings auch, dass wir mit Antworten umgehen müssen, die uns vielleicht nicht gefallen😉.
Wir wollen, sollen und dürfen leben, aber so, dass andere das auch können.
Eigentlich ist es doch ganz einfach, oder?
PS: Es gibt Leute, die bezeichnen mich als Sozialromantikerin. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine nette Beleidigung oder ein vermurkstes Kompliment ist. Ist aber auch egal, denn eine andere Einstellung kommt für mich nicht in Frage. Sollte ich sie verlieren, würde ich entweder resignieren oder eine Zynikerin werden. Oder eine resignierte Zynikerin. Alles nicht erstrebenswert, es macht nur schlechte Laune und Magengeschwüre. Das merke ich in den Augenblicken, wo mir meine Zuversicht abhanden zu kommen droht.
Wo wären wir denn jetzt, wenn es keine Sozialromantiker:Innen gegeben hätte? Wir würden mit Sicherheit immer noch zehn bis zwölf Stunden an sechs bis sieben Tagen die Woche arbeiten müssen, mit der Großfamilie in winzigen, finsteren, stickigen, verrussten Löchern hausen und hätten keinerlei soziale Absicherung. Jede/r von uns würde nur ein einziges „gutes“ Kleidungsstück und lediglich ein paar Schuhe besitzen. Würden wir das Wort „Urlaub“ hören, würden wir verständnislos den Kopf schütteln – was ist das denn bitte? Bildungsinstitute wie Gymnasien und Universitäten würden den Kindern der Adeligen und Gutbetuchten vorbeihalten sein – oh, wait!, da sind wir schon wieder auf dem besten Wege hin!…
Deine Unzumutbar/Zumutbar-Fragen kommen mir allesamt sehr bekannt vor. Ich stelle sie mir oft des nachts vor dem Einschlafen, und dann ist eine ganze Weile an Schlaf nicht mehr zu denken…
LikeGefällt 1 Person
Dann ist es ja gut, dass ichmir die Fragen heute früh gestellt habe😉
LikeLike
Sozialromantik ist für mich schon eher ein Schimpfwort, weil sich hier zwei Begrifflichkeiten gegeneinander ausschliessen. Obgleich beide zur Herzenssache werden können. Für mich bist du ein Mensch, der sich eine Menge Gedanken macht und Fragen stellt. In ähnlicher Weise geht es mir ebenso, wohlwissend, mit meinem Verhalten zu der allgemeinen Misere beizutragen.
Wobei sich ein paar Sachen schlicht aussschliessen. Wer arbeitet, muss mobil sein. Wer greise Eltern hat, ebenso, sofern sie nicht „um die Ecke“ wohnen. Wer alt wird, hat weniger Kräfte und ist eher mal auf ein Auto angewiesen. Wer in einem denkmalgeschützten Altbau zur Miete wohnt, weil er sich nichts anderes leisten kann, muss noch viele Jahre mit fossiler Energie leben. Wer in einem engen Altbauviertel aus den vorletzten Jahrhundert wohnt, ist froh, überhaupt einen Parkplatz zu bekommen. Von E-Ladestationen weit und breit keine Spur. Niemals werde ich mir unter diesen meinen Lebensumständen ein Elektroauto kaufen, auch mit Blick auf Reichweite und Ansschaffungskosten nicht.
Wer all dies ausblendet und heitere Dogmen predigt, um des Abends seine 40000+x-E-Karre an die Wallbox seines Carports zu hängen, sollte sich nicht wundern, in Kürze in keiner Regierung mehr vertreten zu sein. Veränderung braucht Zeit, wer mit der Brechstange Dogmen umsetzen möchte, riskiert auf Dauer Radikalisierung.
Was mich nicht davon abhält, bescheiden zu leben und auf das zu acheten, was ich verbrauche. Für mich ist es eine Art Gnade, in diesem Teil der Welt hineingeboren zu sein, mit Blick auf andere Erdteile.
Liebe Grüße, Reiner
LikeGefällt 1 Person
Lieber Reiner, vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Die Widersprüche des Lebens und seiner Auswirkungen werden wir niemals ganz ausräumen können, egal wie sehr wir uns bemühen. Allein durch unsere Anwesenheit auf dem Planeten haben wir Auswirkungen, nicht alle positiv, aber auch nicht alle negativ.
Wichtig ist es, wie du auch schriebst, das Bewusstsein und die Auseinandersetzung. Die kann nicht für jeden Menschen zum selben Ergebnis führen.
Wir leben so, wie es uns gut und richtig erscheint, und bemühen uns, damit ein hoffentlich gutes Vorbild zu liefern.
Und mit der Gnade der Geburt in unserem Teil der Erde hast du vollkommen recht.
Ein schönes Wochenende und liebe Grüße
Anja
LikeGefällt 1 Person