Auch das gehört dazu, wenn man ein Schreibstudium macht: Sich in seinem tiefsten Inneren auf die Suche nach Geschichten machen, Motivationsantreiber suchen, sich analysieren. Es ist ein wenig wie Selbsttherapie. Woher kommt mein Bedürfnis, Geschichten zu erzählen? Warum bin ich so, wie ich bin? Was hat mich geprägt? Wo liegen meine Brüche und Baustellen? Wofür bin ich dankbar und was kann ich eigentlich wirklich?
Seelenstriptease – wobei ich steuern kann, wieviel ich entblättere. Heilsam.
Aufgabe: Aus dem eigenen Leben
„Nein!“
Mir zitterten die Knie, aber es musste raus! Immerhin hatte ich die Leute schon mit einer Mail vorgewarnt. Leicht fiel es mir trotzdem nicht, hier und heute eine Absage zu erteilen – wenn auch erstmal nur temporär.
Immerhin tat ich das, was ich möglicherweise aufgeben wollte, wirklich gern und aus vollem Herzen.
Aber es war ein Punkt erreicht, an dem ich mich wider Willen fühlte wie manchmal in meiner Kindheit: ruhig und fast unsichtbar, immer bemüht, „das Richtige“ zu tun. Das, was von mir erwartet wurde, auch wenn es nicht das war, was ich wirklich wollte. Das, wovon ich dachte, es wäre dran.
Meine Talente und Begabungen wurden mir von anderen zugesprochen, nicht von mir selbst entdeckt. Dabei unterstelle ich niemandem, aus böser Absicht über meinen Kopf entschieden zu haben.
Meine Mutter wollte mir ganz selbstverständlich die Eigenschaften und Tugenden weitergeben, die sie für eine junge Frau als wichtig erachtete.
Die Gemeindeleitung hatte Aufgaben zu vergeben – und man dachte, ich sei für bestimmte Bereich supergut geeignet.
Vom Einfluss meiner Mutter hatte ich mich seit ihrem Tod nach und nach entkoppelt, obwohl einige ihrer Werte und „Glaubenssätze“ durchaus weiter wirksam waren. Aber es ist auch nicht alles schlecht, was sie mir mitgegeben hat. Es gibt einige Dinge und Maßstäbe, die ich selbst auch als wichtig erachte. Ich denke, so etwas gehört einfach zum Aufwachsen dazu.
In meiner ehrenamtlichen Arbeit hatte ich nach meinen „Schnupperjahren“ in denen ich mithalf, wo Hilfe gebraucht wurde, einen Punkt erreicht, an dem das nicht mehr funktionierte. Auch durch den Besuch mehrerer Willow-Creek-Kongresse hatte ich inzwischen weit mehr als eine diffuse Ahnung, wo meine Begabungen und Stärken lagen. Denn auf diesen Veranstaltungen ging es immer wieder um begabungsorientierte Mitarbeit.
Ich stellte fest, dass ich mehr Grundlagenwissen haben wollte, und auch, dass meine Stärken und meine Interessen in mehreren Themenfeldern liegen könnten. Zunehmend ging es mir auch gegen den Strich, dass im Anschluss an die schönen Bekenntnisse „Wir wollen gabenorientiert arbeiten“ immer wieder andere zu wissen glaubten, wo meine Begabungen lagen und wo nicht.
Und so stand ich hier nun. Vor einigen Leuten, die ich gut kannte, mochte und schätzte, und wollte ihnen meinen Austritt auf Zeit erklären.
Es war schwierig, denn ich mochte die jungen Menschen, mit denen ich arbeitete, ebenso die Leute aus dem Leitungsteam der Gemeinde, mein Team in der Jugendarbeit und auch die Aufgaben an sich.
Ich wusste, ich würde das alles vermissen, aber ich wusste auch, dass ich diesen Schritt gehen musste. Um mich selbst und meine Bedürfnisse wieder zu spüren. Um Klarheit zu bekommen, wie mein Weg zukünftig aussehen konnte. Um die Dimensionen meiner Lebenseinstellung wieder in Einklang zu bringen.
Sich für die Gesellschaft einsetzen, den Glauben überzeugend leben, Menschen ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten, diese Wünsche mussten wieder zueinander passen. Und ich musste wieder einmal suchen, nach meinem ganz persönlichen Platz im Leben, musste den Sinn wiederfinden. Auch mein Bedürfnis, mit meinen Fähigkeiten, meiner Erfahrung und meinem ganzen Dasein Anerkennung zu bekommen, war in diesem Augenblick übermächtig. Schon früher war das ein wichtiges Motiv meines Lebens gewesen: Anerkennung bekommen für das, was ich einfach war – und nicht für das, andere in mir sahen.
PS: Seit dieser Situation sind nun ziemlich genau fünf Jahre vergangen. Durch die Gemeinschaft mit vielen ganz unterschiedlich geprägten Menschen, eine größere Sicherheit, was mein erworbenes Wissen angeht, aber auch durch einige Irrwege und Sackgassen finde ich immer besser zu einer Ahnung dessen, was ich sein möchte, sein könnte und vielleicht auch schon bin.
Aber ich weiß auch, dass der Weg und die Suche immer noch weitergehen wird. Hoffentlich noch lange – lebenslang.
Was ich dagegen immer noch nicht genau einordnen kann: Warum mein Bedürfnis nach ehrenamtlicher Arbeit so ausgeprägt ist.
Ich möchte mir gern vorstellen, dass es ein Vermächtnis meines Opas ist, an den ich eigentlich nur eine frühe Erinnerung habe: Wir saßen auf der Bank vor der Kirche und aßen „heimlich“ Fleischwurst.
Opa war Gewerkschafter, langjähriges SPD-Mitglied (auch während der NS-Zeit) und leidenschaftlicher Lokalpolitiker. Von ihm blieben mir sein Bundesverdienstkreuz, die Gewerkschaftsurkunden, einige Zeitungsartikel der Lokalpresse – und eine unerklärliche Vorliebe für Fleischwurst.
Übrigens bin ich durchaus der Meinung, dass ich eine glückliche Kindheit hatte, auch wenn nicht immer alles nach Wunsch lief.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.