Uff. Kurz vor knapp nochmal so ein Hammer für mich: „Ein Gedicht, das du magst“. Ich muss mich jetzt doch mal outen – es bleibt mir nichts übrig. Seitdem ich im Deutsch-Leistungskurs gefühlt übermäßig viele Gedichte, oft von Benn, Trakl und ähnlich „düsteren“ Verfassern interpretieren musste, mache ich ziemlich oft einen großen Bogen um Gedichte. Obwohl es tatsächlich auch einige gibt, die ich mag. Zarte und poetische Naturlyrik ebenso wie eher kraftvolle und satirische Spottgedichte. Deswegen habe ich für heute eines von Erich Kästner herausgesucht, von dem ich augenblicklich das Gefühl habe, er trifft auch heute noch den Nagel auf den Kopf!
Die Entwicklung der Menschheit
Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.
Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.
Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.
Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.
Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
Sagt das jetzt eigentlich mehr über mich oder mehr über die Menschheit aus? Ich weiß es nicht und es ist auch egal. Es zeigt auf jeden Fall, dass es sich kaum ändert: Auf Herausforderungen von heute versuchen wir mit den Antworten von gestern oder sogar vorgestern zu kontern. (Musste ich heute früh auch mal wieder feststellen, als ich mich mit einem geplanten Bauvorhaben in unserem [angeblich] rudimentären Dorf beschäftigte… Aber das ist eine andere Baustelle)
Zum vorletzten Mal danke ich Ulrike für ihre vielfältigen und nicht immer bequemen Herausforderungen an unsere Literaturgewohnheiten. Schau gern bei ihr nach, wer sich noch so alles mit spannenden Beiträgen daran beteiligt hat!
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