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„In den 90er-Jahren waren wir mit meinem Segelschiff, der dagmar aaen,
auf den polaren Routen unterwegs. Nur meine Erfahrung mit dem Eis
ermöglichte es dem Team und mir, Routen zu befahren, die ansonsten
bestenfalls den stärksten Eisbrechern vorbehalten waren. Die legendäre
Nordwestpassage durchfuhren wir 1993. Wir waren die Einzigen in jenem Jahr und insgesamt erst das dritte Schiff überhaupt, dem die Passage
in nur einer Saison ohne Eisbrecherunterstützung gelang. Das Pendant
zu der Nordwestpassage ist die in Sibirien liegende Nordostpassage. Bei
dem Versuch, sie zu durchfahren, bissen wir uns förmlich die Zähne aus.
1991/1992 und 1994 versuchten wir die Passage zu bewältigen – und
blieben immer wieder im Packeis stecken. Ich war frustriert und hatte
keine Lust, einen weiteren Versuch zu starten. Im Jahr 2002 wurde ich
von einigen Crewmitgliedern überredet, es doch noch einmal zu versuchen. Und siehe da – wir kamen problemlos innerhalb weniger Wochen
durch die gesamte Passage. Dort, wo uns in den Jahren zuvor meterdicke Eispressungen den Weg versperrt hatten, lag offenes Wasser vor
uns. Und mehr noch – das Wettergeschehen war ein anderes geworden.
Die Tiefdrucksysteme zogen offenbar auf veränderten Bahnen, sorgten
für stürmisches und regnerisches Wetter: höchst ungewöhnlich für diese Breiten während der Sommermonate. Bei mir erzeugte unser Erfolg
zunächst ein vages, unsicheres Gefühl. Unterschwellig meinte ich, Veränderungen im Eis zu er kennen. Eine rein subjektive Wahrnehmung,
die mich aber nicht mehr losließ. Irgendwie war ich verstört.„

Arved Fuchs ist als Abenteurer bekannt. Mit seiner Crew hat er auf vielen Expeditionen Gegenden auf der Welt bereist, die (zum Glück) die meisten von uns nur aus Dokumentationen und solchen Expeditionsberichten kennen. Warum „zum Glück“? Es handelt sich um sensible Naturräume, die aber in ihrer Existenz gleichermaßen wichtig (für das gesamte Klimagleichgewicht der Erde) und bedroht (unter anderem durch den Raubbau an der Natur) sind. Nicht auszudenken, wenn es auch dort einen florierenden Tourismus oder Instagram-Hotspots gäbe.
Jahrelang konnten wir BuchhändlerInnen zu Weihnachten die neuesten Bücher von Menschen wie Reinhold Messner oder Arved Fuchs den abenteuerbegeisterten Couchpotatoes empfehlen (das ist nicht so despektierlich gemeint wie es klingt, keine Bange). Was diese Männer erlebten, war massentauglich, bei Messner hatte es auch noch als Auswirkung, dass die Achttausender des Himalaya regelrecht „IN“ wurden, nicht unbedingt zum Vorteil der Natur in der Gegend, ganz davon abgesehen, dass die Anzahl der Bergsteigerwitwen auch um einiges gestiegen ist.
Fuchs benutzt seine Reichweite in diesem eindringlichen Buch, um auf die Tragweite des menschlichen Handelns für unwiederbringliche Naturschönheiten, aber auch unmittelbare Lebensgrundlagen , aufmerksam zu machen:
„Und an der Nordküste Alaskas hatten wir Siedlungen besucht, die ins
Meer abzurutschen drohten. Der Permafrostboden, auf dem Menschen
seit Tausenden von Jahren siedelten, taute auf und wurde dadurch ein
leichtes Opfer für die Brandungswellen der Beaufortsee. Shishmaref,
Kivalina und Point Barrow waren massiv davon betroffen. In der Weltpresse fand dieser Umstand nur selten Beachtung – es betraf ja auch nur
einige Hundert Menschen. Die Inuit haben keine Lobby.
Damals habe ich meine Unbekümmertheit verloren. Ich konnte von
da an nicht mehr einfach von den Expeditionen nach Hause kommen,
schöne Bilder zeigen, spannende Geschichten erzählen und den Rest
ausklammern. Ich fühlte und fühle mich immer noch als ein privilegierter Mensch, der über einen so langen Zeitraum diese großartige Natur
erleben durfte und Zugang zu ihr gefunden hat. Es ist die Pflicht des
Chronisten, sich einzumischen und zu berichten. Für mich war und ist
es zugleich eine Art Lobbyarbeit für eine Natur, die mir so viel bedeutet.
Und die damals aktuelle Entwicklung machte mir Angst.“
Aber nicht nur seine schriftliche Bestandsaufnahme, zum Beispiel seine nüchterne Bilanz, was seit 1972 (UN-Umweltkonferenz in Stockholm, Bilanz des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“) für die (Um-)Welt getan bzw. nicht getan wurde, muss mich als Leserin bestürzt zurücklassen. Auch das Fotomaterial stellt menschliches Versagen, Gier und absolute Gleichgültigkeit unserem Planeten gegenüber plakativ dar. Erschüttert ist das Wort, das wohl am besten beschreibt, was ich beim Lesen empfinde. Ich könnte stellenweise heulen, doch zum Glück gibt es auch Passagen im Buch, in denen er ganz wunderbar von Naturschauspielen und einzigartigen Landschaften erzählt.
Bibliografische Angaben: Arved Fuchs, Das Eis schmilzt, Delius Klasing, ISBN 978-3-667-11985-8, € 19,90 (Österreich € 20,50)
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