Binge-reading für alle?

Als Reaktion auf meine letzte Buchrezension schickte Christiane mir den Link zu diesem sehr interessanten Blogbeitrag. Inzwischen habe ich ihn mehrfach gelesen und mir auch ausgedruckt, damit ich meine Anmerkungen an den Rand kritzeln kann. Denn mir kommen ziemlich viele und ganz unterschiedliche Gedanken dazu. Gedanken, die meist mit meinen persönlichen Erinnerungen von fast 50 Jahren aktivem Lesen und 36 Jahren Arbeit im und für den Buchhandel zu tun haben. Und mit vielen Gesprächen, die ich in den Buchhandlungen mit KollegInnen, Verlagsvertretern und natürlich mit Kundinnen und Kunden geführt habe.

Da ich weiß, dass hier eine ganze Menge buchaffiner Menschen lesen und schreiben, möchte ich euch den Artikel empfehlen und in einem zweiten Schritt einladen, hier über verschiedene Sichtweisen, Leseerfahrungen und Meinungen zu diskutieren. Natürlich weise ich darauf hin, dass wie immer gilt: Respekt gegenüber anderen Meinungen, so schreiben, wie man selbst gern angeschrieben werden möchte, ihr wisst schon, das wird so langsam zu meinem persönlichen Fetisch, wenn man es denn so bezeichnen möchte.

Ich mache dann mal den Anfang:

Zunächst mal fordert mich der Blogbeitrag auf, Gedanken zu verfolgen, die sich mir in meiner Berufspraxis so noch nie gestellt haben. (So etwas ist immer gut.) Weil ich erstens schon immer auch Serientitel im weitesten Sinne verkauft habe, und zwar an ganz unterschiedliche Zielgruppen. Und auch selbst welche gelesen habe, die unter ähnlichen Voraussetzungen produziert wurden. Das begann bei mir selbst im Alter von ca. 10 Jahren, als ich mein Taschengeld in Schneider-Bücher investiert habe. „Kinder lieben Schneider-Bücher“ war ein gängiger Werbespruch. Schon damals erschienen bei Schneider nicht die edlen Klassiker der Kinderliteratur (Astrid Lindgren, Otfried Preußler etc., die erschienen bei Thienemann, Oetinger und Konsorten), sondern Serien wie „Hanni und Nanni“, „Bille und Zottel“, „Trixie Belden“, „Burg Schreckenstein“, etwas später dann „Bibi Blocksberg“ und „Benjamin Blümchen“. Unter dem Label Enid Blyton erschienen noch neue Bücher, als die Autorin schon längst verstorben war. Die Marke Enid Blyton war so populär wie aktuell Marvel, es gab also ein Team von Ghostwritern, die in ihrem Stil weiterschrieben. Und auch die immer noch bei den Jugendlichen (von damals und von heute) beliebte Serie „Drei Fragezeichen“ wurde und wird noch von einem Autorenpool geschrieben.
Im KiJuBu-Bereich folgten später noch so populäre Reihen wie „Fear Street“ oder „Das magische Baumhaus“, heute ist es „Die Schule der magischen Tiere“, „School of Good & Evil“ und vieles mehr. Kinder mochten es schon immer, wenn sie das Personal ihrer Lieblingsgeschichten kannten und immer wieder treffen konnten wie die besten Schulfreunde.

In der Buchhandlung traf ich während meiner Ausbildung auf Autoren wie Heinz G. Konsalik, der Ende der 1980er Jahre seine besten Zeiten schon hinter sich hatte und gemeinsam mit Johannes Mario Simmel von unserem ersten Sortimenter um Längen verschämter (und am liebsten gar nicht) verkauft wurde als die deftige Literatur von Henry Miller oder Anais Nin. Gerade bei Konsalik konnte man bei näherem Hinsehen feststellen, dass er offensichtlich eine Kartei mit Textkonserven benutzte, die in (nicht immer) abgewandelter Form sowohl beim „Arzt von Stalingrad“ oder in Südfrankreich-Romanen vorkamen.
Für die linksgerichtete, eher intellektuelle Leserschaft gab es die Reihe rororo-Thriller, für die konservativeren Krimifans die roten Goldmann-Krimis mit Agatha Christie und Edgar Wallace, für das Bildungsbürgertum die schwarz-gelben Diogenes-Ausgaben: Patricia Highsmith, Dashiel Hammett und ähnliche Klassiker des Kriminalromans.
Georgette Heyer, Utta Danella, Pearl S. Buck und andere Autorinnen verwöhnten ganze Frauengruppen mit exotischen und eine leichte Röte auf die Wangen treibenden Geschichten.

Also: Das Phänomen an sich ist nicht neu. Wie übrigens auch im Filmgeschäft nicht. Auch dort gab es schon frühzeitig ganze Reihen, wobei James Bond eine der bekanntesten und die über Jahrzehnte hinweg beständigste Figur darstellen dürfte (wobei natürlich auch an ihm die Spuren der jeweiligen Zeitströmung nicht vorbeigingen). Aber auch in der Film- und Musikindustrie hat sich mit dem Aufkommen des Internets, der sozialen Medien und Plattformen wie Youtube und Spotify vieles in dieselbe Richtung verschoben wie bei der Literatur. Ich kann mein eigener Regisseur, mein Musik- oder mein Podcastproduzent sein, wenn ich die Fähigkeit dazu (oder im schlimmsten Fall die Hybris) habe.

Das kann spannend und erfolgreich sein (wobei vermutlich in nackten Zahlen die Meisten nicht auf einen Brotberuf verzichten), es kann aber auch gnadenlose Abstürze zur Folge haben: Wer hier sorgfältig arbeitet, selbstkritisch und differenziert an die Sache herangeht, kann sich an höhere Stellen empfehlen; wer dagegen hudelt, bestimmte (oft ungeschriebene) Regeln missachtet, schlecht recherchiert oder durchscheinen lässt, dass er wenig Ahnung vom Metier hat, kann aber auch ganz fürchterlich vom Publikum abgestraft werden. Am Ende muss jeder, der sich hier engagiert, überlegen, ob er so ein Haifischbecken unbeschadet überstehen kann.

Ebenso ist es beim Self-Publishing: es hat sowohl Vor-als auch Nachteile. Es gibt in dem Bereich sehr liebevoll gemachte Werke, deren AutorInnen erkennbar Herzblut investieren, sich Mühe geben beim Layout und vor allem bei den Basics Rechtschreibung und Grammatik. Schön, wenn darauf dann auch Lektorate oder Agenturen aufmerksam werden. Es gibt aber auch grottenschlechte Beispiele zum Abgewöhnen, bei denen ich vollkommen nachvollziehen kann, weshalb kein Verlag Wert auf Veröffentlichung legt.

Was mir als nächstes Thema aufgefallen ist: Die Verfügbarkeit. In diesem Fall die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Ich weiß nicht, ob sich jemand ernsthaft darüber wundert, dass dieses ein schlagkräftiges Argument ist. Der Jäger und Sammler ist gerade im buchaffinen Menschen noch immer wirkmächtig. Die tägliche Belieferung der Buchhandlungen gibt es bereits sehr lange, was früher oft zu der staunenden Bemerkung „Die sind ja so schnell da wie Medikamente…“ führte. Und schon vor fast 40 Jahren gab es Kunden, die allen Ernstes morgens fragten, ob das Buch denn schon am Nachmittag abgeholt werden könne. Wenn man allerdings verglich, wer sein Buch „unbedingt“ ganz schnell brauchte, es dann aber mindestens zwei Wochen lang nicht abholte, stellte sich oft heraus, dass Eile eine sehr dehnbare Zeitspanne ist.
Ähnlich ist es bei den Bestsellern: Die Tatsache, dass ein Buch auf der Bestsellerliste ganz oben steht, heißt zunächst einmal, dass es der Verlag (oder auch Amazon) in einem definierten Zeitraum besonders gut verkauft. Was damit überhaupt nicht ausgedrückt wird, ist a) wie viele Exemplare wie Backsteine auf Stapeln in Buchhandlungen liegen, b) wie viele Exemplare nach einem Jahr an die Verlage zurückgeschickt werden und c) ob die Bücher von den Endkunden/Geschenkempfängern gelesen werden, den Esstisch am Wackeln hindern oder wie das Mon Cheri der Buchbranche weiterverschenkt werden.

Ich stimme in jedem Fall zu, dass Amazon und TikTok wichtige Verkaufs- und Marketingkanäle sind, die man heute als Verleger in strategische Überlegungen einbeziehen sollte. Aber es gibt erstens immer noch Zielgruppen, die nicht über diese Plattformen erreicht werden (wollen), sogar ganz explizit darauf verzichten und zweitens bleibt ganz einfach auch noch abzuwarten, ob und wie lange sich die jungen Leute auf den immensen Leistungsdruck einlassen, der gerade durch das Binge-Reading entsteht. Ich kenne auch niemanden, der 24/7 Netflix-Serien schaut. Erfahrungsgemäß nutzt sich die Begeisterung umso schneller ab, je mehr man sich auf einen Kanal, eine Beschäftigung konzentriert.
Dazu fällt mir noch ein: früher, in einer Zeit ohne Familie und Kinder, konnte es mir passieren, dass ich mich abends mit einem neuen Leseexemplar von Kathy Reichs ins Bett verzogen habe und dann ging auf einmal der Wecker, ich klappte das Buch zu: Uff! Fertig! und hatte nicht geschlafen. Das funktionierte nicht mehr, sobald ein kleines Menschlein da war, das mich jede überhaupt noch mögliche Sekunde Schlaf auskosten ließ. Es relativiert sich irgendwann ziemlich vieles.
Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass Leute, die lesen, im Allgemeinen nicht vor viereckigen Augen oder drohenden Amokläufen als Folge ihres Bücherkonsums gewarnt werden (nicht mal dann, wenn sie nur blutrünstige Thriller lesen)😅.

Wie gesagt, das sind meine eigenen Erfahrungen, die ich im Lauf der Jahre gesammelt habe. Ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit. Es ist wie bei den meisten aktuellen Themen: in einem breit gefächerten Spektrum gibt es unendlich viele Facetten.
Deswegen freue ich mich auch, wenn hier eine Art Erfahrungsaustausch entsteht. Welche Gedanken, Erinnerungen, Ideen kommen euch, wenn ihr den Artikel von Herrn Sahner lest?

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