Edgar und ich haben unsere Briefwahlunterlagen bekommen. Ich werde am 26. September auf einem Yoga-Intensivseminar sein, Edgar könnte das Pech haben, an diesem Tag in Quarantäne zu sitzen, obwohl geimpft, man weiß ja nie.
Nachdem ich den dicken Umschlag geöffnet und hineingeschaut habe, konnte ich ein kleines bisschen aufatmen. „Nur“ 27 Parteien in NRW, und sogar nur ZEHN in meinem Wahlkreis. Das ist ja direkt übersichtlich! Ich wurde neugierig und schaute mal nach, wie denn überhaupt so die Eckdaten zur Bundestagswahl aussehen. Viele Informationen findet man auf der Homepage des Bundeswahlleiters:
So gibt es circa 60,4 Millionen Wahlberechtigte, davon 2,8 Millionen (4,6%) Erstwähler. Auf der anderen Seite sind allerdings mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten 50 Jahre oder älter.
Insgesamt nehmen 47 Parteien an der BTW21 teil, aber nicht alle treten in allen Bundesländern an. Extrembeispiele: Die Grünen fehlen im Saarland und die CSU tritt nur in Bayern an. Dafür kann man dort die CDU nicht wählen. Außer der CSU gibt es noch zehn weitere Parteien, die nur in einem Bundesland antreten. Diese haben es also sowieso schon einmal schwer, über die 5%-Hürde zu kommen (also außer die CSU in Bayern…).
Ein Problem, das mir persönlich zu schaffen macht (aus der langjährigen Erfahrung des Ehrenamts): Viele der kleinen Parteien haben neben einer immensen Arbeitsbelastung durch relativ wenig Man/Woman-Power und eine miserable Finanzierung auch häufig eine Konzentration auf wenige thematische Schwerpunkte. Das muss in der Sache nicht mal ein Nachteil sein, weil die Expertise und das Verantwortungsgefühl dadurch in diesen Bereichen steigt, aber ob es ausreicht, sich für eine Gesamtgesellschaft zuständig zu fühlen, da bin ich mir nicht sicher. Ich habe eine monothematische Partei gefunden, die in ihrem Programm den Passus enthält: „…und alle ihre Mitglieder haben verstanden, dass andere Themen nicht Gegenstand dieser Partei sind. Dem einzelnen Mitglied steht es frei, sich bei anderen Themen in anderen demokratischen Parteien zu engagieren.“ Klingt ja gut, allerdings dürfen diese Mitglieder zumindest dann nicht für den Bundestag kandidieren, da dieses im Bundeswahlgesetz (§ 21) ausgeschlossen wird. Spätestens hier liegt die Krux: ohne „andere Themen“ (egal, was das Thema sein soll) kann man ein Land nicht regieren. Uns liegen so viele brandaktuelle Themen vor den Füßen, die alle dringlich sind, wo keines davon ausgeklammert werden darf, das geht einfach nicht. Allerdings habe ich mir mehrere Wahlprogramme angesehen und war doch überrascht, wie ausdifferenziert (wenn auch manchmal utopisch) manche Programme sind.
In der großen Vielfalt der Themen, um die Politik sich kümmern muss, bräuchte es meiner Meinung nach also eine große Bandbreite von Partikularinteressen, um in allen gesellschaftlichen Bereichen ausreichend informiert und handlungsfähig zu sein. So etwas nennt man, wenn es zustande kommt, eine „Expertenregierung“. Wenn ich mich gerade nicht sehr irre, hatte unter anderem Italien schon solche Regierungsmodelle (Anke, falls du das hier liest, stimmt das?) und sie waren nicht wirklich belastbar. Schwierig erweist sich hierbei unter anderem die Konsensbildung. Ein weiteres Problem bei der Vielfalt ist die 5%-Hürde. Von der ist meines Wissens nur der Südschleswigsche Wählerverband befreit, weil er eine offizielle Minderheitenvertretung darstellt. Die „romantische“* Vorstellung einer Allparteien-Koalition, die ich einige Jahre lang übrigens auch sehr charmant fand, habe ich für mich begraben.
So oder so, ich weiß vor allem, wen ich unter keinen Umständen wählen werde. Und halte es allen Unzulänglichkeiten zum Trotz immer noch für vertretbar, eine Partei aus dem Spektrum der jetzt schon im Parlament vertretenen zu wählen und dann eben nicht mit meiner demokratischen Beteiligung wieder vier Jahre zu warten und die Hände in den Schoß zu legen, sondern den Parlamentariern auch mal auf den Zahn zu fühlen. Es ist definitiv nicht alles gut, und manches verursacht mir mehr als beiläufiges Unbehagen, aber vieles hängt eben auch an unser aller Beteiligung. Nicht am Rummotzen auf Instagram.
*“romantisch“ meine ich hier analog zur literarischen Epoche. Der Wunsch nach der Verwirklichung eines Ideals, heute würde man vielleicht mit Mrs. Undercover „Weltfrieden“ sagen…
Wer sich bemüßigt fühlt, diesen Beitrag zu kommentieren, der möge das bitte mit Respekt und Achtung tun. Aber ich bin sicher, wir wissen alle, wie das funktioniert😉.
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