Demokratie als Zumutung

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Es ist Freitag, der 24. Februar 2023. Ein Jahr ist vergangen, seit das passierte, was sich jahrzehntelang, spätestens nach dem Fall der Mauer, kaum jemand vorstellen konnte: Krieg auf europäischem Boden. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, zumindest nicht direkt. Das Thema wird an allen möglichen und unmöglichen Stellen von allen nur erdenklichen Seiten dargestellt, dazu braucht es mich nicht.
Trotzdem gibt es vermutlich kaum ein passenderes Datum, um mich nun endlich zu dem Buch zu äußern, dessen Lektüre mich meinen Notizen zufolge seit dem 22. November bereits beschäftigt und sehr zum Nachdenken angeregt hat.

Ich habe rund um Thesen und Schlagwörter aus dem Buch schon zwei Posts erstellt (am Ende des Beitrages verlinke ich die nochmal), weil das Thema Demokratie sowieso schon sehr komplex ist und weil es auch sehr viele unterschiedliche Auffassungen gibt, was Demokratie eigentlich ist, wie sie funktioniert – oder eben nicht – und was sie leisten kann.
Zunächst mal: Im Gegensatz zu einem autoritären Regime, in dem der einzelne Bürger sich zurücklehnen kann, die Verantwortung für Tun und Denken fast schon komplett abgegeben hat und sich auf den engen Rahmen dessen beschränken kann, was überhaupt noch erlaubt ist, ist das Leben in einer Demokratie anstrengend. Es erfordert 1.) Haltung und 2.) das Überdenken der eigenen Haltung im Verhältnis zu anderen Bürgern und deren Haltungen.
Es verlangt Einsatz, und das möglichst nicht nur am Wahltag. Es schreit förmlich nach (Selbst-)Reflexion, nach Kompromissen, nicht nur nach dem Erhalt von und dem Pochen auf Rechten, sondern auch nach dem Anerkennen und Erfüllen von Pflichten. Auch unser Grundgesetz kennt nicht nur die Rechte, sondern auch die Verpflichtungen der gesellschaftlichen Gruppen und des Einzelnen, aber das wird mitunter gern übersehen.

Als das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, geschrieben wurde, hatte Deutschland einen Krieg verloren und war von einer mörderischen und menschenverachtenden Diktatur befreit. Man konnte aufatmen, einen Neuanfang wagen, wieder optimistisch in die Zukunft sehen. Man hatte sich für ein demokratisches Modell mit sozialer Marktwirtschaft entschieden, was in den kommenden Jahrzehnten ein unglaubliches Erfolgsmodell darstellte. Allerdings zeigt sich inzwischen auch, dass selbst ein solches Modell fast schon pervertiert, aber zumindest wie ein Gummiband gedehnt werden kann.

Eine zentrale These in dem Buch ist es, dass wir unsere Demokratie heutzutage wie ein Konsumgut sehen, und dafür sprechen gute Gründe. Allein schon rhetorisch: Die demokratischen Parteien sollen den Bürgern „Angebote machen“. Hat mit dem Wahlergebnis die Bevölkerung eines der Angebote (oder eine Mischkalkulation) angenommen, ist es Aufgabe der Politik, „zu liefern“. Oder betriebswirtschaftlich ausgedrückt: Wer hat eigentlich berechtigte Ansprüche, der Shareholder oder der Stakeholder? Ja, beide gehören zum Humankapital, aber wer ist eigentlich wer in diesem Spiel?
Dazu kommt aus dem Marketing das Storytelling. Alles ist nur so gut oder so schlecht wie die Geschichte, die man dazu erzählen oder ersinnen kann. Alles ist emotional, Bauchgefühl statt Hirnschmalz. Das eigene Land wahlweise als Abenteuerspielplatz oder heimelige gute Stube?

Sehr interessant wird es auch in dem Kapitel, in dem der Autor ein wenig tiefer in das politische System der Schweiz eintaucht, das so gern mit der direkten Demokratie als Musterlösung dargestellt wird. Unterschlagen wird dabei aber sehr oft, dass das Verhältnis von Rechten und Pflichten in der Schweiz viel feiner austariert wird als bei uns. Hauptberufliche Politiker gibt es eigentlich nur auf der obersten Ebene. Aufgaben, die in Deutschland von Schulämtern erledigt werden, werden in der Schweiz von Ehrenamtlern übernommen. Es gibt sogar einen Amtszwang, dessen Verweigerung disziplinarische Folgen haben kann. Feuerwehr, Katastrophenschutz, Schulaufsicht und vieles mehr sind viel tiefer in der Zivilgesellschaft verwurzelt als in Deutschland. Wer also nach mehr direkter Demokratie ruft, muss sich auch bewusst sein, dass sie nicht nur mehr Rechte, sondern auch mehr Pflichten beinhaltet.

Das Buch ist ein reichhaltiger Fundus für noch einige andere bedenkenswerte Facetten des demokratischen Systems, über die wir alle (oder zumindest die allermeisten) uns sehr selten nur Gedanken machen, die von manchen Gruppierungen und Parteien auch ganz gern unter den Teppich gekehrt werden. Lange hat mir ein politisches Sachbuch nicht so viele Denkanregungen gegeben, auch wenn ich nicht mit jeder Aussage konform gehe (muss ich ja auch nicht, auch das ist Demokratie). Politik- und SozialwissenschaftslehrerInnen kann ich das Buch (auch zur Unterrichtsvorbereitung) nur sehr ans Herz legen und dazu eigentlich jedem Menschen, dem die Demokratie als Allgemeingut wichtig ist.

Und am meisten empfehle ich es den Leuten, die sich selbst für unpolitisch halten.

Bibliographische Angaben: Felix Heidenreich, Demokratie als Zumutung, Verlag Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-98079-0, € 25,-

Meine bisherigen Gedanken zu den Themen aus dem Buch:

https://annuschkasnorthernstar.blog/2023/02/05/zumutung/

https://annuschkasnorthernstar.blog/2023/02/09/freiheit-2/

Unter Druck – Eindringliche Leseempfehlung

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Ein kleines, aber wichtiges Detail vorweg: Das Buch ist Corona-frei, da die gebundene Ausgabe bereits 2019 erschienen ist, aktuell ist die Taschenbuchausgabe herausgekommen.

Die Autorin Jana Simon, in der DDR geboren und aufgewachsen, Enkeltochter des Schriftsteller-Ehepaares Christa und Gerhard Wolf, arbeitet als Journalistin und Schriftstellerin. Für dieses Buch hat sie einige Menschen in Deutschland über einen Zeitraum von fünf (!) Jahren immer wieder getroffen und ein Stück begleitet, Interviews geführt, Beobachtungen angestellt. Ganz unterschiedliche Menschen wie Alexander Gauland (der eine Schlüsselfigur darstellt, denn sein Weg in der AfD in die zunehmende Radikalisierung, die ihm anscheinend manchmal im Vorübergehen passiert, berührt irgendwann jeden der anderen Menschen) oder Jörg Asmussen, im Laufe seiner Karriere war er Finanzstaatssekretär, Vorstandsmitglied bei der EZB, Staatssekretär im Bundessozialministerium und schließlich nach dem Wechsel in die Privatwirtschaft bei der Investmentbank Lazard für internationale Fusionen und Käufe als Berater tätig. Diese beiden Herren dürften einem breiten Publikum bekannt sein.

Vielleicht auch noch die Modebloggerin Lisa Banholzer, aber dann wird es privater. Eine engagierte gelernte Krankenschwester aus München, gebürtige Polin, alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen, kämpft vor allem mit viel zu hohen Mieten und fehlender Anerkennung des Pflegeberufes. Ein Polizist aus Thüringen, der beim Staatsschutz arbeitet und unter anderem mit den NSU-Durchsuchungen zu tun hatte und immer wieder auf AfD und Rechtsextreme stößt, der bei seiner Arbeit oft mehr Fragen als Antworten hat und immer wieder über seine Grenzen hinausgehen muss. Sowie ein Ehepaar aus Norddeutschland, das für den Bosch-Job des Mannes nach Stuttgart gezogen ist und sich nach Jahren in einem ganz eigenen Hamsterrad wiederfindet, aus dem es kaum einen Ausweg zu geben scheint. Samt Burnout und Zweifeln am eigenen Lebensstil.

Auf den ersten Blick haben diese Menschen nicht sehr viel miteinander zu tun, aber alle offenbaren einen Blick hinter die Kulissen Deutschlands. In ihrem jeweiligen Metier erkennen sie bereits recht früh, dass vieles falsch läuft, dass die großen Entscheidungen nicht immer nachvollziehbar und auch nicht wirksam sind. Das Gefühl von immens wachsendem Druck, dem wir nicht ausweichen können, der uns vor sich her treibt und uns immer schneller, immer höher, immer weiter peitscht, den kennen vermutlich die Meisten von uns. Das Leben nimmt, mal abgesehen vom vergangenen Jahr, nur noch an Geschwindigkeit zu. Und die Menschen, die von der Autorin begleitet werden, verkörpern alle eine wichtige Facette des Lebens im Deutschland der letzten acht Jahre.

Warum gerade 2013 der Startpunkt ist? Da zitiere ich die Autorin:

„Als ich im Sommer 2011 nach Deutschland zurückkehrte, wirkte das Leben in Berlin im Vergleich zu Los Angeles geradezu harmonisch entspannt. Ich dachte, wenn es stimmt, dass Entwicklungen aus den Vereinigten Staaten mit ein wenig Zeitverzögerung nach Europa kommen, kann man sich nur fürchten.Und sie kamen. Sichtbar wurden die Verschiebungen in Deutschland aber erst nach und nach. Ein Jahr ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben – 2013, das Ausgangsjahr dieses Buches, dem die Griechenlandrettung, die Eurokrise, der Kriegsausbruch in Syrien und die Entdeckung des rechtsextremen NSU-Terror-Trios vorausgegangen waren. Das Jahr, in dem der Ukraine-Konflikt eskaliert, der NSU-Prozess anfängt und sich die AfD gründet. In diesem Jahr treffe ich den fast achtzigjährigen Horst Wilde in seiner Berliner Wohnung, aus der er nach 41 Jahren ausziehen muss, weil die Miete nach einer »energetischen Sanierung« und den Modernisierungsmaßnahmen das Fünffache kostet. Ich spreche mit den Angehörigen eines NSU-Opfers, die jahrelang als Täter verdächtigt wurden. Polizeibeamte hatten sich bei den Befragungen der Familien als Journalisten und Privatdetektive ausgegeben. Erstmals ziehen deutsche Islamisten in den Syrienkrieg.“ (aus dem Vorwort, bei meinem eBook ist es die Seite 6)

Ach, ich könnte euch an dieser Stelle zig berührende Stellen aus dem Buch zitieren, so wie ich sie meinem Mann am Esstisch vorgelesen habe, aber stattdessen empfehle ich euch dringend, das Buch zu lesen. Manchem kann ich zustimmen, anderes sehe ich naturgemäß ganz anders, aber viele Strömungen und manche Meinungsbildungsprozesse macht das Buch sichtbar, wo ansonsten alles im Verborgenen geschieht, unter der Decke der Privatsphäre.

Jana Simon hält sich selbst dabei meist zurück, sie ist die Chronistin im Hintergrund, die mit einfühlsamen Fragen ihren Gesprächspartnern auf den Zahn fühlt. Bei Alexander Gauland wertet sie hin und wieder sparsam, was ich bei einer so kontroversen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aber auch ok finde, da kann man kaum anders, als sich dazu zu äußern. Ihr unaufdringlicher, sachlicher Stil und immer von außen distanzierter Blick auf die Personen ist für mich wohltuend und beruhigend gewesen, denn: Manche Abschnitte im Buch ließen mich ratlos zurück, vor allem mit der Frage, ob wir als Gesellschaft „die Kurve kriegen“, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Lebens mit Anstand und Würde zu begegnen. Und ich bin auch ehrlich gesagt noch nicht sicher, wie ich mit meinen Erkenntnissen umgehen und sie in mein alltägliches Leben intergrieren soll.

Bibliographische Angaben: Jana Simon, Unter Druck, Fischer Taschenbuch, ISBN 978-3-596-70326-5, 12 €

Tag 24 – Pilgerwege in Deutschland

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Seit einigen Jahren ist es mein Herzenswunsch, den Jakobsweg zu gehen. Bisher musste ich ihn aber immer wieder verschieben. Im vergangenen Winter stieß ich auf dieses Buch, das nicht nur die „Zuwege“ der bekannten Jakobswege vorstellt (irgendwie mussten auch im Mittelalter schon die Pilger aus den nord- oder osteuropäischen Ländern nach Spanien kommen, die konnten sich ja nicht in den ICE oder ins Flugzeug setzen), sondern auch andere, teils bekannte, teils unbekannte Pilgerwege in Deutschland.

Nah dran oder auch weiter weg, aber alle geeignet, das eigene Land besser kennenzulernen…

Ich war überrascht, dass es gleich mehrere Wege gibt, bei denen ich fast nur aus der Haustür treten muss, um als Pilgerin unterwegs zu sein. Der Sigwardsweg führt direkt bei uns am Dorf vorbei, der Pilgerweg Loccum-Volkenroda quert zumindest den Nachbarkreis Schaumburg. Aber auch die anderen deutschen Pilgerwege sind gut erreichbar, also ist es auch kein Problem, nur mal ein paar Tage zur Probe den Pilgerrucksack aufzusetzen, man kommt immer wieder gut nach Hause. Ist doch für Anfänger möglicherweise besser, als irgendwo im spanischen Outback zu stranden, falls die Kräfte oder der Antrieb schwinden.

Natürlich muss man nicht auf spiritueller Suche sein, um die vorgestellten Wege zu erwandern, genauso gut kann man einfach auf den Spuren alter Handelswege Natur und/oder Kultur erleben.

Von Nord nach Süd arbeitet sich der Bild- und Textband vor.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass meine Beine und die Ausdauer im Laufe des nächsten Frühjahrs wieder so mitmachen, dass ich dann endlich mal die eine oder andere Etappe unter die Füße nehmen kann. Bis dahin genieße ich häppchenweise die wunderschönen Fotos und die informativen Texte des Buches.

Bibliografische Angaben: Pilgerwege in Deutschland – Auf der Suche nach der Stille, Kunth Verlag, ISBN 978-3-95504-879-2, € 34,95 (Österreich € 36,-)

Regenbogen und Freudentränen

Von innen nach außen und von außen nach innen. Texte und Fotos

ROYUSCH-UNTERWEGS

Reiseberichte, Radtouren, Wanderungen, Bilder und mehr ....

Kommunikatives Lesen

Rezensionen zu aktuellen Büchern aus den Beststeller-Listen

Gnubbels kleine Gedankenwelt

Wenn man niemanden zum Reden hat aber die Gedanken und Erlebnisse einfach raus müssen...

Unterwegs ist das Ziel

ich bin gerne unterwegs, ich schreibe über Erfahrungen mit den öffentlichen Verkehrsmittel, tipps und Tricks und viele DIY Themen

Allerlei Gedanken

von Monika Huber

Sterntaler

Die Ostsee unter Segeln entdecken

Ich lese

Bücher sind die Freiheit des Geistes

Charis {ma}

Intuition ist besser als gar kein Plan ...

Schnippelboy

Ein Tagebuch unserer Alltagsküche-Leicht zum Nachkochen

Birthes bunter Blog-Garten

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Wie das Leben - schön und stachelig

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Bilder, Gedanken, und Geschichten.

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Kluge Gedanken. Aus dem echten Leben

wortverdreher

Texte und Gedichte zu den Themen Tanzen und Leben

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reisswolfblog

"Bücher bieten keine wirkliche Rettung an, aber sie können den Geist davon abhalten, sich wund zu kratzen." - David Mitchell

wortwabe

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Taufrisch war gestern

Birgit Jaklitsch: Journalistin, Bloggerin, Autorin

romanticker-carolinecaspar-autorenblog.com

Vorstellung meiner Bücher - Blog: Romanti(c)ker

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