„Ohne Rücksicht!“

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Wer kennt sie nicht, die Zeitung mit den vier Großbuchstaben? Und wer kennt nicht den Ruf, der ihr vorauseilt? Als ich noch zur Schule ging, so Ende der 70er Jahre oder auch Anfang der 80er, kursierte der Spruch „Mutter drehte Kind durch den Fleischwolf. BILD sprach als erstes mit dem Klops!“ und ich wusste überhaupt nichts damit anzufangen, denn im Haus meiner Eltern fand die BILD schlichtweg nicht statt. Mit zunehmendem Alter sah ich die Schlagzeilen, wenn ich beim Bäcker in der Schlange stand oder nach der Schule im Kiosk mein Schokokuss-Brötchen holte. Ich fand sie stets sehr merkwürdig, dachte mir aber nicht so sehr viel dabei. Das änderte sich erst mit der Buchhändler-Ausbildung, denn es gab auch ein Zeitschriften-Regal in der Buchhandlung. Das tägliche Austauschen der Tageszeitungen und die wöchentlichen Remittenden gehörten zum Aufgabenbereich der Azubis im ersten Lehrjahr.

Also, ich hätte ja wissen können, was auf mich zukommt, wenn ich dieses Ebook in die Hand nehme. Allerdings ist es bis heute so, dass diese Zeitung nicht die Schwelle unseres Hauses überschreitet und ich daher nie so ganz genau weiß, was dort alles so geschrieben wird. Ich muss gestehen, für dieses Buch habe ich fast vier Monate gebraucht. Mit vielen Pausen zwischendurch, denn ich mochte mir die geballte Ladung wiedergegebenen Mist nicht auf einmal antun. Chapeau an die beiden Autoren, die alles, was sie beschreiben, sauber recherchiert und dokumentiert haben. Ich frage mich, was braucht man als Ausgleich, um bei dieser Tätigkeit seelisch gesund zu bleiben.

In den letzten Monaten hat man ja auch, wenn man nicht selbst dieses Blatt liest, mitbekommen, dass der Chefredakteur offensichtlich „Compliance“-Probleme hat, was sehr wohlklingend und elegant umschreibt, dass er keinerlei Skrupel hat, Frauen, Minderheiten und Opfer von Straftaten gnadenlos zu instrumentalisieren. Ich weiß nicht, was ich ekelhafter finden soll: Die absolut menschenverachtende Art, Journalismus zu betreiben, die Bereitschaft von ausgebildeten JournalistInnen, das beruflich mitzumachen oder die Treue von viel zu vielen Lesern zu diesem Blatt, in das ich nicht mal auf dem Wochenmarkt meinen Fisch eingewickelt haben möchte.

So ziemlich jede Bevölkerungsgruppe ist schon in ehrverletzender Weise durch den Kakao gezogen worden (Das ist noch viel zu harmlos gesagt, denn zu häufig werden geradezu Existenzen zerstört!), vom Hartz-IV-Empfänger bis zum hochdotierten Wissenschaftler, Spitzensportler ebenso wie Spitzenpolitiker, von Frauen, queeren Personen, Migranten gar nicht erst zu reden. (Wer käme zum Beispiel auf den Gedanken, bei einem männlichen Fußballprofi in der Öffentlichkeit zu spekulieren, wie gut er denn „bestückt“ sei oder da sei in der Rückansicht ja ein prächtiger Knackarsch zu erkennen! Bei den Spielerinnen werden aber ständig Äußerlichkeiten betont, ehe auch nur ansatzweise auf die Leistung auf dem Spielfeld eingegangen wird.) Trotzdem lesen aus allen diesen gesellschaftlichen Gruppen Menschen tagtäglich diese Zeitung und mehr noch: selbst seriöse Parteien oder Medien nutzen die Berichte als Referenzen!

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass in diesem Herbst Zeitungspapier knapp ist? Bloß für ein Schmierenblatt mit dicken schwarzen und roten Lettern, da scheint genügend Kapazität vorrätig zu sein…

Mein Fazit: Ja, es mag den einen oder die andere geben, die mir bescheinigen, dass ich in manchen Dingen heillos naiv bin. Ich habe einfach riesige Schwierigkeiten, es auf die Kette zu kriegen, dass dieses Geschäftsmodell funktioniert. Obwohl ich weiß, dass es so ist. Aber dieses Buch habe ich trotz meiner Schwierigkeiten als sehr wichtig empfunden. Eine andere Rezensentin schrieb, die Leute, die total auf BILD stehen, erreiche man leider eher nicht und ich gebe ihr Recht mit dieser Einschätzung. Aber ich hoffe doch sehr, dass es Menschen gibt, die bisher eher gleichgültig waren und zukünftig diese Art „Journalismus“ nicht mehr hinnehmen wollen.

Bibliographische Angaben: Mats Schönauer/Moritz Tschermak, Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet; Verlag Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-05354-8; € 18,-

PS: Beim Schreiben des Beitrags ging mir immer wieder von den Ärzten das Lied „Lasse reden“ durch den Kopf…

Die Shitstorm-Republik

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Achtung, Triggerwarnung: Cybermobbing, virtuelle Gewalt

Auf das Buch gestoßen bin ich übers Netz. Wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe, war es bei einer Insta-Live-Übertragung von Dunja Hayali (Ja, ich hab es eben mal nachgesucht, kommt hin), die ich mir nicht regelmäßig, aber doch öfter mal, abends beim Küche saubermachen anhöre. Weil da immer interessante, aber höchst unterschiedliche Leute dabei sind. Also um es gleich vorweg zu nehmen: Soziale Medien verbieten ist weder eine Option noch eine Lösung, denn es gibt auch unendlich viel inspirierendes dort zu finden. Unser (fast) aller Umgang damit ist halt noch sehr ausbaufähig.

Um jetzt sinnvoll meine Gedanken zum Buch zu sortieren, konsultiere ich meine Notizen. Zunächst mal zur Autorin: Nicole Diekmann ist 10 Jahre jünger als ich und stammt auch aus Ostwestfalen. Sie „studierte von 1997 bis 2004 Soziologie, Politikwissenschaften und Neuere und Neueste Geschichte in Münster und Hamburg. […] Im Anschluss absolvierte sie von 2004 bis 2005 eine Ausbildung zur Redakteurin an der Deutschen Journalistenschule in München.“ (Quelle: Wikipedia, abgerufen 6.6.2021) Medienprofi auf fast allen medialen Kanälen. Und als solche passiert ihr an Neujahr 2019 aus der Gemütlichkeit und Beschaulichkeit der ostwestfälischen Wohnzimmeridylle ihres Elternhauses ein klitzekleiner, aber folgenreicher Fehler: Sie postet einen ironischen Tweet, aber vergisst, ihn als Ironie zu kennzeichnen. Und tritt damit eine Lawine los, bekommt einen Shitstorm, der immer weitere Kreise zieht.

Solltest du auch Erfahrungen dieser Art (wenn auch vielleicht nicht in dem Ausmaß) haben, sage ich gleich an dieser Stelle: Vermutlich ist es zu spät, diese Art von Grausamkeit aus deiner Wohnung, deinem Wohnzimmer oder sogar Schlafraum herauszuhalten, aber es gibt Organisationen, die Hilfestellung geben, zum Beispiel Hate Aid. Zögere nicht, dich dorthin zu wenden!

Aus ihren eigenen Erfahrungen heraus hat sich Nicole Diekmann auf Recherche begeben, wie diese für nüchtern denkende Menschen unglaubliche Spirale verbaler Gewalt (bei der es leider nicht immer bleibt, wie wir inzwischen wissen) entstanden ist und den Weg in die Gesellschaft scheinbar wenig widerspruchslos geschafft hat. Ich kopiere hier einmal das Inhaltsverzeichnis hinein, um das breite Spektrum darzustellen, das zu dem Themenkomplex gehört:

Etwas, das sich durch das Buch zieht und ziemlich perfide ist: Das Bewusstsein, dass man mit seinem Hass durchkommt statt verfolgt zu werden, die Kalkulation, dass Opfer sich entweder selbst verantwortlich fühlen oder zu sehr schämen, ihr vermeintliches „Versagen“ (in der Digitalkompetenz) einzugestehen und auch ein immer noch männerlastiges Überlegenheitsgefühl sowie die Neigung zur „Rudelbildung“ (S.60) sorgen dafür, dass immer mehr Nutzer, die mit Empathie und Augenmaß im Netz (re)agieren, sich zurückziehen und die Netzwerke so den Rüpeln überlassen. In der Folge entsteht der Eindruck, dass diese in der Mehrheit sind und damit auch stellvertretend für die Mehrheitsgesellschaft. Dem ist so nicht! (Es fahren auch nicht alle Motorradfahrer zu schnell und mit aufgebohrtem Auspuff. Man hört die eben bloß lauter…)

So gern ich das Buch hier in Länge und Breite auswalzen würde, das geht erstens nicht und ist auch zweitens nicht Aufgabe dieses Beitrages, als Kernproblem stellt sich etwas heraus, das wohl so ziemlich jeder von uns im vergangenen Jahr in einem mehr oder weniger beliebigen Bereich festgestellt hat:

Fehlende Medien- und Digitalkompetenz! Nicht nur beim Durchschnittsnutzer, sondern vor allem bei hochrangigen Politikern, Strafverfolgungsbehörden, im Journalismus ebenso wie in der Bildung, beim Lokalpolitiker um die Ecke, bei Kirchens und ganz bestimmt auch immer noch bei uns hier im Bloggeruniversum. Vor allem bei allen, die in irgendeiner Form Verantwortung für eine irgendwie hergestellte Öffentlichkeit oder gesellschaftliche Gruppen haben, ist das ein riesiges Manko. Statt bereits in jeder Ausbildung Wert auf Medienkompetenz zu legen, wird es in diesem wichtigen Bereich immer noch jedem Akteur selbst überlassen, ob er/sie affin zu diesen Themen ist oder am liebsten gar nichts damit zu tun haben möchte. Aber die Büchse der Pandora ist nun einmal geöffnet, wir bekommen ihren Inhalt nicht wieder hinein.

Die Beschäftigung mit den Problemen ebenso wie mit den Lösungsansätzen, aber auch die detaillierte Darstellung der Entwicklung der sozialen Netzwerke machen das Buch zu einer spannenden Lektüre, gerade für die Angehörigen im weitesten Sinne meiner Generation.

Wenn ich mich zurückerinnere, war das Internet ein ganz netter Raum voller cooler Ideen. Als meine „großen“ Töchter noch klein waren, nutzte ich ebay, um mit gebrauchten Kinderklamotten zu dealen und meinerseits „neue gebrauchte“ einzukaufen. Da machte ebay auch noch Spaß, weil es ein reiner online-Flohmarkt war, ohne professionelle Händler, die inzwischen alles überwiegen. Auch der Konzern mit dem Daumen hoch, der damals noch kein Konzern war, machte einmal Spaß, wenn man ehemalige Mitschüler, die inzwischen in aller Welt verstreut waren, kontaktieren konnte. 9/11 (2001) war dann der Tag, an dem das Internet zusammenbrach, unter der Last der vielen Millionen Menschen, die virtuell Anteil nahmen an den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon. Ich weiß noch genau, wie meine Kollegin und ich während unseres Arbeitstages in der Buchhandlung immer wieder nachschauten, entsetzt darüber, was ideologieverblendete Menschen anderen antun können, und dann in dieser Dimension! Danach war vieles anders. Und gipfelte (vorläufig) im Livestream eines Terroranschlages, der über 50 Todesopfer forderte, der auf Facebook übertragen wurde und viral ging, ehe der Konzern auch nur ansatzweise einschreiten konnte.

Und selbst Instagram, das Medium mit den hübschen, gestylten und gephotoshopten Bildchen, das nur die Happy-Moments einfing, hat in zwischen seine Unschuld verloren, es wird in den Kommentarspalten beleidigt, zur Lynchjustiz angestachelt, niedergemacht.

Mein Fazit und meine Empfehlung:

Lies! Dieses! Buch! Egal ob gekauft oder ausgeliehen, analog oder digital. Wenn dir der Umgangston im virtuellen wie im realen Raum nicht egal ist, mach dir die Gedanken und versuche, in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen, wie es für dich richtig und angemessen ist.

Bibliographische Angaben:

Nicole Diekmann, Die Shitstorm-Republik, Kiepenheuer & Witsch, Buch: ISBN 978-3-462-00080-1, 12 €; eBook (EPUB): ISBN 978-3-462-30240-0, 9,99 €

Ach übrigens: Wir können, sollen und müssen nicht alle einer Meinung sein. Wir dürfen leidenschaftlich streiten über bessere Wege, zum Beispiel aus der Pandemie, für die Lösung der Klimakrise, für so viel anderes auch. Aber bitte immer mit der Maßgabe: Respekt (wichtiger als Toleranz, finde ich) für die Ansichten unseres Gegenübers, im Ton stets so bleiben, wie wir auch mit einem uns real gegenüber stehenden Menschen reden würden, im Endeffekt einfach so, wie wir uns auch wünschen, angesprochen zu werden. Ich kenne niemanden, der es toll findet, angepöbelt zu werden.

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