
Ich wollte es nicht, ehrlich. Ich war fest entschlossen, heute nicht zu meckern. Ganz bestimmt. Das hielt so lange, bis ich die Tageszeitung durchgelesen und ein bisschen zusätzlich rumgesucht hatte.
Der Absatz, der mich auf die Palme brachte, lautete:
„Das Kindergeld ist auf 250 Euro erhöht worden, so stark wie seit 1996 nicht mehr“, sagte er. Damit stelle die Bundesregierung für Familien und Kinder jedes Jahr sieben Milliarden Euro mehr zur Verfügung. „Das Wesentliche für die Kindergrundsicherung ist damit finanziell getan.“
Echt jetzt? Ganz davon abgesehen, dass das Kindergeld eine Leistung ist, die mit der Gießkanne verteilt wird, also einem Einkommensmillionär für seine Kinder genauso zusteht wie der alleinerziehenden Mutter, die Kinder und Job unter einen Hut bekommen muss, verstehe ich zumindest Kindergrundsicherung ein ganz klein wenig umfassender.
Was gehört denn eigentlich alles dazu, damit man ein Kind oder gar mehrere anständig groß bekommt? Satt und trocken, oder doch etwas mehr? Aber ich fange mal anders an, nämlich mit der weiteren Aussage unseres Finanzministers, es gäbe ja schon Instrumente, die nur nicht ausreichend genutzt würden.
Ganz unrecht hat er damit nicht, aber warum werden diese Instrumente denn nicht genutzt? Zunächst mal, weil viele betroffene Familien überhaupt nicht wissen, dass es sie gibt oder dass sie ihnen zustehen. Und zwar nicht nur, weil es diese Menschen nicht gebacken kriegen, sich gefälligst ordentlich zu informieren. Sondern weil bereits die Hürden, um an Infos zu kommen, für manche zu hoch sind.
Ob es nun eine Sprachbarriere oder mangelndes intellektuelles Verständnis ist, ist erstmal zweitrangig. Denn es gibt bereits seit mehren Jahren die Erkenntnis, dass Behördensprache einfacher und inklusiver werden muss. Nur passiert ist da noch nicht viel. Ich bin mir sicher: Es lassen sich ganz bestimmt Wege finden, wie Eltern recht einfach Informationen bekommen und Leistungen beantragen können:
Finanzämter wissen, wer Einkommensteuer bezahlt und wer den Lohnsteuerjahresausgleich macht. Und sie bekommen Meldungen über Kinderfreibeträge. Wohngeldstellen haben den Überblick, wer einen Zuschuss zum Wohnen bekommt. Dort muss man angeben, wenn ein Kind als Bewohner dazukommt. Einwohnermeldeämter bekommen Geburten gemeldet. Bei der Familienkasse beantragt man Kindergeld. Alle diese Institutionen erfahren also davon, wenn man ein Kind bekommen hat. Wenn die Ämter daraufhin routinemäßig Schreiben an ihre Klienten verschicken würden, die auf sämtliche Möglichkeiten der Familienunterstützung in einer schlicht gehaltenen Wortwahl hinweisen, ist schon der erste Schritt getan: Bekanntheit erzeugt.
Im zweiten Schritt könnte die Beantragung über eine zentrale Stelle erfolgen, die bereits gute Einblicke in die finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie hat (das können zum Beispiel die Jugendämter sein, wo man jährlich sein Einkommen für die Kita-Beiträge angeben muss), ohne dass zig verschiedene Unterlagen zu Einkünften zusammengesammelt werden oder die Ämter sich um den Datenschutz sorgen müssen. Auch hier muss unbedingt für Einfachheit gesorgt werden: barrierefreies Lesen und Verstehen ist Bedingung für barrierefreies In-Anspruch-nehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Aufwand für ein solches (standardisiertes) Vorgehen höher ist, als wenn man den Familien mehrfach hinterhertelefonieren muss, weil Unterlagen fehlen.

Und dann gehört für ein menschenwürdiges Aufwachsen von Kindern unbedingt dazu, dass sie wenigstens eine gesunde und abwechslungsreiche Mahlzeit am Tag bekommen, auch wenn in der Familie die letzte Woche im Monat nur noch Nudeln mit Ketchup machbar sind: Im Ganztag von Schule oder Kita. Am besten ergänzt durch entsprechenden Unterricht (Gesundheitslehre oder so), noch besser: durch Beteiligung an den Vorbereitungen.
Ach ja, à propos Schule: Schulgebäude, bei denen nicht der Putz von den Wänden bröckelt, wo die Fachräume sicher nutzbar sind (und nicht, wie in Mindener Schulen, in den naturwissenschaftlichen Räumen das Experimentieren seit Jahren verboten ist, weil Strom- und Gasleitungen marode sind), die Sanitäranlagen sauber und heile und die Haustechnik inklusive WLan auf dem aktuellen Stand sind, die gehören auch dazu. Wie sollen Kinder aufs Leben und vor allem aufs Lernen neugierig werden, wenn das, was am meisten Spaß beim Lernen macht, nicht funktionsfähig ist?
Ich habe mir einmal Zeit genommen und in den Koalitionsvertrag geschaut.
Ab Seite 94 geht es um „Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang“. Joa. Da ist noch sehr viel Luft nach oben, würde ich mal sagen.
Unter anderem heißt es
Wir wollen mehr Kinder aus der Armut holen, werden mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und
Koalitionsvertrag von 2021, S. 95
Jugendliche schaffen und konzentrieren uns auf die, die am meisten Unterstützung brauchen
Wenn ich das für mich übersetze, lese ich in Etwa: Weniger nach dem Gießkannenprinzip, mehr individuelle Hilfen.
Im oben genannten Artikel des RND wird auf einen Kommentar verlinkt, den ich recht aufschlussreich finde (Und ich weiß, dass ein Kommentar eine Meinungsäußerung ist. Trotzdem finde ich ihn bitter!)
Allerdings kann ich auch nicht umhin, der CDU an den Ohren zu ziehen, wenn die sich jetzt öffentlichkeitswirksam über Lindners Prioritätenliste echauffiert, denn auch unter der Regierungsverantwortung der CDU in den letzten 16 Jahren vor der Ampel haben sie es nicht auf die Reihe bekommen. Das Problem an sich ist ja nicht brandneu.
Ja, es wird immer mal wieder was getan, das sehe ich auch. Insgesamt ist es jedoch zu wenig und immer wieder beschämend, dass Kinder und Familien seit Jahrzehnten gut für Sonntagsreden sind, aber im Alltag immer wieder hinten runter fallen. Wie leider auch andere Gesellschaftsbereiche ohne ausreichende Wirtschaftskraft.
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