
Im Augenblick dreht sich bei mir ein ganzes Knäuel von Fragen im Kopf. Und alle beginnen mit „Warum…?“
Begonnen hat das vor ein paar Tagen, als ein Artikel in der Zeitung stand über Greta Thunberg und ihr Buch, das demnächst erscheint. Zugegeben, ich fand die Headline des Artikels etwas unglücklich, sie lautete: „Thunberg: Asperger half mir, «Bullshit» zu durchschauen“. Wobei es ja nicht mal grundfalsch ist, haben doch viele Menschen, die im Spektrum angesiedelt sind, sehr gute analytische Fähigkeiten, weil sie Themen von allen Seiten gründlichst durchleuchten und sehr detailversessen sind. (Möglicherweise ist es aber auch genau das, was andere wiederum auf die Palme bringt, wer weiß.)
Und darunter ein Leserkommentar, der in dem bekannten Tenor verfasst war, sie habe zwar nichts gelernt und nichts erreicht, aber heutzutage könne man ja auch so eine Menge Geld verdienen (Ja, das gibt es tatsächlich, ich weiß. Wann wurde Influencer eigentlich zum Beruf?) Inzwischen habe ich geradezu körperliches Unbehagen, wenn ich solche Dinge lese oder höre.
Nicht nur als Mutter einer Betroffenen schmerzt mich ein solches pauschales Abkanzeln einer Person, von der man nichts weiß als das, was in den Medien berichtet wird. Es ist vielmehr die um sich greifende Bereitschaft, Tatsachen, Meinungen, Haltungen oder Erkenntnisse, die man für sich selbst als unwichtig abgelegt hat, in Bausch und Bogen runterzumachen.
Ich halte es für menschlich und normal, dass sich nicht jeder Mensch auf der Erde für die Einzelheiten der Klimakrise so interessiert. Es gibt ja auch eine Menge andere Themen, die ebenfalls wichtig sind. Natürlich wäre es wünschenswert, dass sich möglichst viele für einen Umgang mit der Umwelt einsetzen, der auch zukünftigen Generationen noch eine lebenswerte Welt ermöglicht. Aber erzwingen kann man das eher nicht. Das ist auch nicht so sehr mein Problem.
Es ist vielmehr dieses diffuse Gefühl, dass Menschen nicht zur Differenzierung bereit sind. Nach dem Motto „Und wenn du nicht mein Freund bist, kannst du nur mein Feind sein“.
Mal ganz ernsthaft, wer lobt denn immer alles in den Himmel, was der eigene Lebenspartner, die Mutter oder das Kind, die beste Freundin, der Kumpel mit der absoluten Ahnung von Motoren oder sonst jemand im eigenen Umfeld von sich gibt? Wie langweilig wäre es denn, wenn wir immer alle derselben Meinung wären und dieselbe Sichtweise auf bestimmte Dinge hätten?
Es gäbe dann keinen Versöhnungssex, keine Erziehung, keine Kompromisse, vor allem keinen wissenschaftlichen, technologischen oder gesellschaftlichen Fortschritt. Alle diese Sachen sind auf konstruktiv geäußerte und angehörte Meinungsunterschiede angewiesen.
Ich kann jemanden von ganzem Herzen lieben und trotzdem sagen: „Was du da sagst, ist aus meiner Sicht und Erfahrung Käse“ und ich kann auch Menschen (zum Beispiel Politiker oder Journalisten), die absolut nicht für das einstehen, was mir gut und wichtig erscheint, anerkennend zugestehen, wenn sie zu einem umstrittenen Thema etwas zu sagen haben, was ich auch so unterschreiben würde. Dabei fällt niemandem ein Zacken aus der Krone. Ebenso wenig, wenn ich Menschen ausreden lasse und mir anhöre, was sie zu sagen haben und warum sie zu bestimmten Schlüssen kommen. Aber in solchen Situationen kommt das „Warum“ häufig viel zu kurz. Weil manche schlicht nicht an Hintergrundinformationen oder anderen Lebenserfahrungen interessiert sind.
Selbst bei ganz einfachen Themen schießen die Überreaktionen ins Kraut: mehrere Leute hatten bei der Lokalzeitung angerufen, weil eine A400 im Tiefflug über Minden gesichtet wurde. Man stelle sich vor: Es gibt sie noch, die Menschen, die der Meinung sind, Lokalredakteure könnten über solche Vorgänge Bescheid wissen. Die Redakteure haben recherchiert (also „ihren Job gemacht“) und das Ergebnis in einem kurzen Hintergrundartikel veröffentlicht (Es ist im Grunde ganz einfach: Die Maschine war im Anflug auf den Fliegerhorst Wunstorf. Der ist nicht so weit weg von uns hier, die Teile sind dort stationiert und wer hier schon länger wohnt, kennt die Transalls, die lange Jahre nördlich der Gebirgskette entlangflogen. Aber: nicht alle wohnen schon seit Generationen hier.) Leserkommentar: „Und am Samstag fuhr ein blauer LKW über die Weserbrücke. Das war aufregend!“ Haha. Ist eventuell ein klitzekleiner Unterschied zwischen einem LKW und einem Transportflugzeug der Bundeswehr. Zumal in der aktuellen Zeit, wo sich die Leute auch bei den jährlichen BW-Übungen an der Weser stets bange fragen, ob man sich da schon auf Krieg vorbereitet.
Ja. Genau dafür üben die das. Immer wieder. Aber nicht für den Ukrainekrieg. Sondern grundsätzlich. Profi-Fußballer trainieren auch jeden Tag, ebenso Starpianisten. Nur üben Soldaten etwas, wovon sich niemand wünscht oder gar erhofft, einmal teilzunehmen. Von einigen gut bezahlten Söldnertruppen mal abgesehen.
Während ich dieses hier schreibe, kommt mir ein Zitat aus dem Buch „Wir können auch anders“ in den Sinn, wo Maja Göpel einen Sozialwissenschaftler zitiert, ungefähr so: Wir leben in der besten und (gleichzeitig) schlimmsten Zeit. Ich bekomme das nicht wörtlich auf die Reihe, habe es auch leider nicht notiert, aber jetzt gerade kommt mir dieser Ausspruch so logisch vor.
Anscheinend leben wir in der Matrix und es gibt einen schwerwiegenden Ausnahmefehler in der Software. Hoffen wir, dass der oberste Programmierer bald ein Hotfix sendet. Oder gibt es am Ende gar keine Matrix und erst recht keinen obersten Programmierer?
Mit dieser herausfordernden Fragestellung wünsche ich allerseits ein schönes Herbstwochenende.
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