
„Unsere Kinder sollen es einmal besser haben!“ Dieser Satz kommt vermutlich den Allermeisten bekannt vor. Vor allem, wenn man nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre hinein aufwuchs. In erster Linie wollte man damit natürlich ausdrücken, dass man seinen Kindern nicht eine so entbehrungsreiche und auch lebensgefährliche Kindheit und Jugend wünschte.
Mit wachsendem Wohlstand in den Wirtschaftswunderjahren schlich sich aber ein, dass vor allem materiell vorgesorgt werden sollte: Mehr Entlastung durch Technik in Haushalt und Beruf, mehr Bequemlichkeit durch den Zweitwagen der Familie, mehr von allem möglichen, was eine Generation zuvor noch niemand kannte und brauchte. À propos brauchen – die Werbebranche weckte Bedarf und Begehrlichkeiten, und irgendwie entstand dann auch die Meinung, in den Zeiten des vermeintlich „finsteren“ Mittelalters, da sei es ohne alle Errungenschaften der neuen Zeit sehr spartanisch und barbarisch zugegangen.
Mit diesem Vorurteil räumt die Historikerin Annette Kehnel gründlich auf. Sehr vieles von dem, was heutzutage als totale Neuheit schlagwortartig auf den Schild gehoben wird wie Majestix bei den Galliern, gab es damals auch schon:
Sharing, Recycling, Mikrokredite, Spenden und Stiften oder Minimalismus. Ohne die moderne kapitalistische Wegwerfkultur war das Leben ganz selbstverständlich nachhaltig. Kreislaufwirtschaft brauchte man nicht zu studieren, man praktizierte sie einfach.
Wie gut wir darin geworden sind, alte Techniken und Gewohnheiten als neu und innovativ zu verkaufen, merkt man an einem ganz simplen Beispiel aus der Landwirtschaft: Die (tätätätäää….) Züchtung des Zweinutzungshuhns! Bis vor ungefähr 60 Jahren war eigentlich jedes Huhn, das irgendwo herumkratzte, ein Zweinutzungshuhn. Es legte Eier (na gut, nicht ganz so viele wie ein Batteriehuhn, aber es sah das Tageslicht und hatte abwechslungsreiche Kost) und wurde zum Suppenhuhn oder Sonntagshähnchen, je nachdem (auch das nicht mit ganz so viel Brust wie beim Masthähnchen, aber dafür kippte es beim Herumstolzieren auch nicht vorne über). Dann begann die Selektierung und die Zucht auf optimale Ergebnisse in der jeweiligen Sparte. Heute, wo viele Verbraucher wieder zunehmend Wert legen auf die Qualität ihrer Lebensmittel, wird begonnen, das Rad zurückzudrehen, aber als Neuheit angepriesen. Weil das der moderne, kapitalistische Weg ist.
Ein anderer Weg ist, sich an den Stationen der Menschheit ein Beispiel nehmen und aus der Geschichte ganz bewusst eine ganz andere Entwicklung zu nehmen, eine Entwicklung die sich respektvoll mit den Erkenntnissen vorangegangener Generationen beschäftigt und so mehr ist als alter Wein in neuen Schläuchen. Es lohnt sich, davon zu erfahren, dass Innovation keine Errungenschaft der Postmoderne ist und es macht Spaß, zu lesen, wie pfiffig die Menschen im „finsteren“ Mittelalter waren.
Bibliographische Angaben: Annette Kehnel, Wir konnten auch anders, Blessing Verlag, ISBN 978-3-89667-679-5, € 24,-
|Werbung, unbezahlt|
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.