Demokratie als Zumutung

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Es ist Freitag, der 24. Februar 2023. Ein Jahr ist vergangen, seit das passierte, was sich jahrzehntelang, spätestens nach dem Fall der Mauer, kaum jemand vorstellen konnte: Krieg auf europäischem Boden. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, zumindest nicht direkt. Das Thema wird an allen möglichen und unmöglichen Stellen von allen nur erdenklichen Seiten dargestellt, dazu braucht es mich nicht.
Trotzdem gibt es vermutlich kaum ein passenderes Datum, um mich nun endlich zu dem Buch zu äußern, dessen Lektüre mich meinen Notizen zufolge seit dem 22. November bereits beschäftigt und sehr zum Nachdenken angeregt hat.

Ich habe rund um Thesen und Schlagwörter aus dem Buch schon zwei Posts erstellt (am Ende des Beitrages verlinke ich die nochmal), weil das Thema Demokratie sowieso schon sehr komplex ist und weil es auch sehr viele unterschiedliche Auffassungen gibt, was Demokratie eigentlich ist, wie sie funktioniert – oder eben nicht – und was sie leisten kann.
Zunächst mal: Im Gegensatz zu einem autoritären Regime, in dem der einzelne Bürger sich zurücklehnen kann, die Verantwortung für Tun und Denken fast schon komplett abgegeben hat und sich auf den engen Rahmen dessen beschränken kann, was überhaupt noch erlaubt ist, ist das Leben in einer Demokratie anstrengend. Es erfordert 1.) Haltung und 2.) das Überdenken der eigenen Haltung im Verhältnis zu anderen Bürgern und deren Haltungen.
Es verlangt Einsatz, und das möglichst nicht nur am Wahltag. Es schreit förmlich nach (Selbst-)Reflexion, nach Kompromissen, nicht nur nach dem Erhalt von und dem Pochen auf Rechten, sondern auch nach dem Anerkennen und Erfüllen von Pflichten. Auch unser Grundgesetz kennt nicht nur die Rechte, sondern auch die Verpflichtungen der gesellschaftlichen Gruppen und des Einzelnen, aber das wird mitunter gern übersehen.

Als das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, geschrieben wurde, hatte Deutschland einen Krieg verloren und war von einer mörderischen und menschenverachtenden Diktatur befreit. Man konnte aufatmen, einen Neuanfang wagen, wieder optimistisch in die Zukunft sehen. Man hatte sich für ein demokratisches Modell mit sozialer Marktwirtschaft entschieden, was in den kommenden Jahrzehnten ein unglaubliches Erfolgsmodell darstellte. Allerdings zeigt sich inzwischen auch, dass selbst ein solches Modell fast schon pervertiert, aber zumindest wie ein Gummiband gedehnt werden kann.

Eine zentrale These in dem Buch ist es, dass wir unsere Demokratie heutzutage wie ein Konsumgut sehen, und dafür sprechen gute Gründe. Allein schon rhetorisch: Die demokratischen Parteien sollen den Bürgern „Angebote machen“. Hat mit dem Wahlergebnis die Bevölkerung eines der Angebote (oder eine Mischkalkulation) angenommen, ist es Aufgabe der Politik, „zu liefern“. Oder betriebswirtschaftlich ausgedrückt: Wer hat eigentlich berechtigte Ansprüche, der Shareholder oder der Stakeholder? Ja, beide gehören zum Humankapital, aber wer ist eigentlich wer in diesem Spiel?
Dazu kommt aus dem Marketing das Storytelling. Alles ist nur so gut oder so schlecht wie die Geschichte, die man dazu erzählen oder ersinnen kann. Alles ist emotional, Bauchgefühl statt Hirnschmalz. Das eigene Land wahlweise als Abenteuerspielplatz oder heimelige gute Stube?

Sehr interessant wird es auch in dem Kapitel, in dem der Autor ein wenig tiefer in das politische System der Schweiz eintaucht, das so gern mit der direkten Demokratie als Musterlösung dargestellt wird. Unterschlagen wird dabei aber sehr oft, dass das Verhältnis von Rechten und Pflichten in der Schweiz viel feiner austariert wird als bei uns. Hauptberufliche Politiker gibt es eigentlich nur auf der obersten Ebene. Aufgaben, die in Deutschland von Schulämtern erledigt werden, werden in der Schweiz von Ehrenamtlern übernommen. Es gibt sogar einen Amtszwang, dessen Verweigerung disziplinarische Folgen haben kann. Feuerwehr, Katastrophenschutz, Schulaufsicht und vieles mehr sind viel tiefer in der Zivilgesellschaft verwurzelt als in Deutschland. Wer also nach mehr direkter Demokratie ruft, muss sich auch bewusst sein, dass sie nicht nur mehr Rechte, sondern auch mehr Pflichten beinhaltet.

Das Buch ist ein reichhaltiger Fundus für noch einige andere bedenkenswerte Facetten des demokratischen Systems, über die wir alle (oder zumindest die allermeisten) uns sehr selten nur Gedanken machen, die von manchen Gruppierungen und Parteien auch ganz gern unter den Teppich gekehrt werden. Lange hat mir ein politisches Sachbuch nicht so viele Denkanregungen gegeben, auch wenn ich nicht mit jeder Aussage konform gehe (muss ich ja auch nicht, auch das ist Demokratie). Politik- und SozialwissenschaftslehrerInnen kann ich das Buch (auch zur Unterrichtsvorbereitung) nur sehr ans Herz legen und dazu eigentlich jedem Menschen, dem die Demokratie als Allgemeingut wichtig ist.

Und am meisten empfehle ich es den Leuten, die sich selbst für unpolitisch halten.

Bibliographische Angaben: Felix Heidenreich, Demokratie als Zumutung, Verlag Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-98079-0, € 25,-

Meine bisherigen Gedanken zu den Themen aus dem Buch:

https://annuschkasnorthernstar.blog/2023/02/05/zumutung/

https://annuschkasnorthernstar.blog/2023/02/09/freiheit-2/

Funktioniert in beide Richtungen

Wenn ich morgens aufstehe und Kaffee koche, halte ich bereits das erste Buch des Tages in der Hand. Zurzeit ist das von Susanne Götze und Annika Joeres
Die Klimaschmutzlobby
und zwar die aktualisierte Ausgabe, erschienen im Januar 2022 (also vor dem Ukraine-Krieg), redaktionell wurde es vor allem in der Zeit der neuen Koalitionsbildung bearbeitet. Das sind kleine, aber nicht unwichtige Details.

Manche/r wird den Kopf schütteln und sich fragen, warum um alles in der Welt ich mir so etwas um 6 Uhr in der Frühe antue. Ganz einfach: ich stehe auf und mein Kopf möchte etwas zu tun haben. Denn morgens ist er noch aufgeräumt und aufnahmebereit. Die leichte Lektüre gibt es abends vor dem Einschlafen.

Heute bin ich über folgenden Abschnitt gestolpert: (Ab hier bitte ruhig und beherrscht weiterlesen, denn ich habe es auch ruhig geschrieben, selbst wenn es sich nicht durchgängig so anhört. Die Wutbrille verzerrt nur alles. Ein wenig Sarkasmus dagegen schadet nicht😉)

Götze / Joeres, Die Klimaschmutzlobby, S. 44

Also, kurz zusammengefasst: Da beschäftigt sich jemand sein gesamtes Berufsleben lang mit einem umfangreichen Themenkomplex, forscht, promoviert und habilitiert, gründet ein wissenschaftliches Institut mit internationaler Reputation, führt von Bundesministerien geförderte Studien durch, berät sogar die Bundesregierung. Im Rahmen seiner gesammelten Expertise kommt dieser Mensch zu Schlussfolgerungen, die er den maßgeblichen Akteuren in Politik und Wirtschaft vorstellt, und die kanzeln ihn ab und sagen quasi: „Ist ja alles ganz schön und gut, aber das wollten wir nicht hören. Thema verfehlt, sechs, setzen.“

Witzigerweise (nein, eigentlich traurigerweise) passiert hier dem studierten und erfahrenen Experten dasselbe, was den Aktivisten von FFF und speziell auch Greta Thunberg entgegenschlägt, nur mit dem gegenteiligen Argument. Schließlich kann man diesem gestandenen Mann ja nicht vorhalten: „Geh erstmal lernen und arbeite in einem anständigen Beruf, dann kannst du was dazu sagen.“
Was denn nun? Ob also aus dem Herzen oder aus dem Wissen:
Was die Entscheider nicht hören wollen, wollen sie nicht hören. Da wird Sorge ebenso abgebügelt wie Expertise, wie im Kindergarten kneifen sie die Augen zu, stecken sich die Finger in die Ohren und singen dagegen an „Nana nanana…“

Ach übrigens: Greta hat ja doch auf einmal voll den Durchblick und bekommt wohlwollenden Applaus von denen, die bisher ganz unverdächtig waren, auf sie zu hören.
(Und das, obwohl sie immer noch Schülerin ist und immer noch keine drölfzigtausend Jahre Berufserfahrung hat. Ich denke, das sagt enorm viel über die gespaltene Wahrnehmung der Politiker und Wirtschaftsleute aus.)
Weil sie Atomkraft als das kleinere Übel bezeichnet hat. Für diese Äußerung wird sie gefeiert, von erzkonservativen Journalisten, die vorher kein gutes Haar an ihr ließen, von neoliberalen Politikern, von fossilen Wirtschaftsbossen. Meist Männer, ja, so ist es.
Unter den Tisch fällt dabei aber, dass sie ihre Aussage dadurch relativierte, dass sie Windkraft als noch bessere Lösung ansieht. Und wieder haben die angeblich so plietschen Nadelstreifenträger nur das gehört, was sie hören wollten und vor dem Rest die Ohren verstopft. Ein Schelm …, ihr wisst schon.

Das ganze Interview ist hier zu finden:
https://www.ardmediathek.de/video/maischberger/klimaaktivistin-greta-thunberg-im-exklusiv-interview/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL21lbnNjaGVuIGJlaSBtYWlzY2hiZXJnZXIvYTBhNzg3MjItMmVlZC00YWJlLWFhNGQtOGRlNTBhMWQxMWE4
(Ab Minute 9 geht es um die AKWs)

Ich bin der Meinung, niemand hat in diesen ganzen komplexen Fragen allein die Weisheit mit Löffeln gefressen, es braucht viele verschiedene Ansätze, je nach konkreter Problemstellung. Und noch viel mehr braucht es sehr viele und noch mehr Menschen, die mitmachen. Aber es muss endlich ernsthaft losgehen, sonst wird das alles nichts.

Nachts im Kanzleramt

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Koalitionsverhandlungen, Klimawandel, Corona-Krise: Politik ist überall. Wer aber Zusammenhänge verstehen, den täglichen Nachrichten folgen oder gar das Geschehen beeinflussen will, muss wissen, wie Politik funktioniert, was sie bewirkt, wo sie scheitert und warum. Die bekannte ZDF-Nachrichtenmoderatorin Marietta Slomka kennt sich mit dem deutschen Politikbetrieb bestens aus. Viele politische Ereignisse begleitet sie journalistisch aus großer Nähe. In diesem Buch erklärt sie die wichtigsten Grundlagen der Politik. Was sind die Voraussetzungen einer funktionierenden Demokratie? Warum wird um politische Entscheidungen so oft bis in die frühen Morgenstunden gerungen? Welchen Nutzen hat die Europäische Union? Was für Wechselwirkungen gibt es zwischen Politik und Wirtschaft? Und welche Rolle spielen bei all dem die Medien? Marietta Slomka zeigt, wie Politik gemacht wird und was man wissen muss, um sie zu verstehen. Sie erklärt, was Politikerinnen und Politiker tun, wie politische Institutionen arbeiten und verbindet dies mit spannenden Einblicken in den politischen Alltag. Schnell, kenntnisreich und mit jener Prise Ironie, die man auch aus ihren TV-Interviews kennt, bietet sie Gedankenfutter für alle Generationen. Ergänzt wird das Buch durch die witzigen Cartoons von Mario Lars.

Marietta Slomka, Nachts im Kanzleramt, Über dieses Buch

Ein Buch, das nehme ich gleich vorweg, das sich Politik- oder Gesellschaftskundelehrende ganz oben auf ihre Leseliste setzen sollten. Und natürlich dann auch lesen, nicht liegen lassen😉. Herrschaftssysteme, von der Demokratie bis hin zur Diktatur, Parteienlandschaften, Aufgabenverteilung und vieles mehr erklärt sie quasi ganz im Vorübergehen. Auf eine sympathische, manchmal augenzwinkernde und selbstverständliche Weise, ohne große Verständnisbarrieren. Und damit vermutlich einprägsamer als in der Schule!

Gleich zu Beginn erläutert sie zum Beispiel den sperrigen Begriff „Aufmerksamkeitsökonomie“ kurz und knackig. Und endet bei ihrer Erklärung mit

Wer besonders laut schreit, wird eher gehört. […] Solche Verzerrungen in der Wahrnehmung gibt es im Internet noch stärker. Wer extrem sauer ist oder zumindest extrem überzeugt und engagiert, postet viel auf Social Media oder in Kommentarspalten und nimmt gerne an Shitstorms teil. Wer nicht so leidenschaftlich angetrieben wird, hat dazu meist keine große Lust. Radikale Minderheiten bekommen so sehr viel mehr Raum …

dto, in meinem eBook S. 17/293

Joa. Isso.

Was mir übrigens auch sehr gut gefällt am Buch, sind die wahnsinnig treffenden kleinen Cartoons (von Mario Lars), als kleinen Teaser zeige ich euch hier einmal den zum Thema Demokratie, der das demokratische Dilemma sehr schön zeigt:

Aber auch Vor- und Nachteile anderer Staatsformen wie Sozialismus und Kommunismus (und den Unterschied zwischen den beiden, die so häufig in einen Hut geworfen werden), Autokratie oder Diktatur erklärt Frau Slomka so sachlich wie anschaulich. Auch eine klare Definition des augenblicklich von verschiedenen Seiten inflationär eingesetzten Begriffes des Faschismus liefert sie, die man sich dringend merken sollte, um nicht auf irgendwelche Bauernfänger hereinzufallen, die jedes ihnen missliebige Handeln mit diesem Kampfbegriff betiteln.

Herzhaft lachen musste ich beim Abschnitt „Parteien: Braucht man die oder können die weg?“ Warum? Verrate ich nicht, das wäre spoilern und ich möchte doch so gern, dass ihr das selber lest…😁

Insgesamt gibt es einen unterhaltsamen und gleichzeitig lehrreichen Rundumschlag zu vielen Themen, die uns alle, jung oder alt, konservativ oder progressiv, in allen Spektren der Gesellschaft, angehen.
Wer mitreden – und noch wichtiger – mitentscheiden möchte, kann sich hier die Grundlage des Handwerkszeuges holen. Differenzierend, abwägend und zum Nachdenken anregend, so empfinde ich das Buch. (Und wer Spotify nutzt, kann es sich dort auch anhören, im O-Ton der Nachrichtenfrau, wie von ihr gewohnt leicht ironisch und mit einem Augenzwinkern.)

Ein besonderes Schmankerl: Schlagworte und Fachbegriffe, über die man bei der täglichen Nachrichtensendung oder in der Presse mitunter ein bisschen stolpert, werden als „Insider“-Einschübe gesondert erklärt.

Der Inhalt für Wissbegierige kurz angerissen…

Wer noch ein Geschenk für Studien- oder BerufsanfängerInnen sucht, ist hiermit gut bedient. Aber es eignet sich ebenso als Wink mit dem Zaunpfahl für Leute, die ihre Halbbildung gern in alle Richtungen verschleudern😎 oder aber zur Befriedigung der eigenen Neugierde, wie das nochmal alles so funktioniert mit Politik und Gesellschaft. Von mir volle Punktzahl.

Bibliographische Angaben: Marietta Slomka, Nachts im Kanzleramt, Verlag Droemer Knaur, ISBN 978-3-426-27871-0, € 20,- (oder bei Argon als Hörbuch)

Verantwortung

Symbolbild: Pixabay

Aus aktuellem Anlass frage ich mich, was wir eigentlich meinen, wenn wir fordern, jemand müsse „Verantwortung übernehmen“. Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe 2021 mussten jetzt (nach langem und unwürdigen Winden) zwei Ministerinnen zurücktreten.

So flott, wie das nach Agenturmeldungen klingt, mag ich das Thema nicht abhaken. Vorab: Ja, ich denke auch, dass beide Rücktritte sein mussten. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass auch Ministerinnen ein Recht auf Familienleben, Urlaub oder Erholung haben. Ich gestehe auch beiden zu, dass sie, wie übrigens ein großer Teil der Bevölkerung, schwierige private Situationen zu bewältigen hatten. Und dass es in beiden Fällen noch dazu so gelagert war, dass diese Frauen trotz ihrer Ämter auch noch einen großen Teil des „Mental Load“ tragen mussten, den Familienleben mit sich bringt. Es geht mir auch nicht darum, dass es eine bittere Erkenntnis ist: Frauen werden an dieser Stelle immer noch anders behandelt als Männer. Denn, Hand aufs Herz: es liegt nicht am Geschlecht, ob jemand aus familiären Gründen von beruflichen Karriereschritten absieht, da gibt es genügend Beispiele. Aber es ist immer noch für Männer einfacher, sich neu in ihren Businessplan einzuklinken, wenn die private Situation es wieder zulässt. Frauen haben dann deutlich öfter „den Anschluss verloren“.

Katastrophal war bei beiden Frauen die Kommunikationsstrategie, die spätestens bei Christian Wulff nicht mehr funktioniert hat: Verdecken, leugnen, lügen, sich winden, scheibchenweise mit dem herausrücken, was sich nicht mehr unter dem Teppich halten lässt. Das ist es, was ich beiden (und ihren PR-Beratern natürlich) ankreide. Dazu das desaströse Bild, dass beide quasi das vermeintliche Ass aus dem Ärmel gezogen haben, gegen das tausende von Frauen sich zur Wehr setzen („Wenn es Spitz auf Knopf kommt, geht Familie vor Amt“), so dass Merz und Konsorten sich die Hände reiben können (mit derselben Begründung übrigens…).

Als Gesamtgesellschaft müssen wir uns daher immer wieder fragen, was wir eigentlich unter „Verantwortung“ verstehen und warum wir Frauen und Männer immer noch mit unterschiedlichen Maßstäben beurteilen. Letzteres dürfte auch heute noch viel mit unserer Sozialisation zu tun haben, es dauert eben mehr als eine Generation, solche gesellschaftlichen Traditionen aus den Köpfen und Herzen zu bekommen.

Was die politische oder auch wirtschaftliche Verantwortung angeht, so frage ich mich schon seit vielen Jahren, warum das meist bedeutet, dass jemand geschasst wird und jemand anderes den Schlamassel des Vorgängers ausbaden muss. Erstens kollidiert das mit meiner Überzeugung, dass man für einen angerichteten Schaden verantwortlich und damit zur Wiedergutmachung oder zumindest zur Schadensbegrenzung verpflichtet ist. Zum anderen ist das doch eine Art Persilschein, wenn ich weiß: „Egal, ob ich Mist baue, ausbügeln muss ich das nicht mehr. Ich bekomme trotzdem eine Pension und kann sicher sein, dass irgendwann keiner mehr dran denkt.“ Mir sträubt sich das Nackenfell, wenn ich an „Managerversicherungen“ und andere nette Annehmlichkeiten denke, die ich als Normalbürger nicht in Anspruch nehmen kann. Es ist auch kein gutes Vorbild für künftige Generationen.

Wo sich aber jeder einzelne von uns immer wieder Gedanken machen und auch an die eigene Nase fassen muss (ich auch):
Welche Erwartungshaltungen haben wir an unsere Repräsentanten? Sind die vielleicht mitunter drastisch zu hoch, könnte das ein Grund sein, warum es zum Beispiel immer weniger Menschen gibt, die sich lokalpolitisch engagieren? Weil wir dort keine Bürger, sondern Übermenschen sehen wollen?
Wie gehen wir mit Wahrhaftigkeit um? Sehen wir sie als Stärke oder doch eher als Schwachpunkt, weil jemand nicht gewieft genug ist, sich am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen?
Wie steht es um unsere Fehlertoleranz? Gestehen wir anderen zu, was wir uns für uns selbst auch wünschen? Einen offenen, ehrlichen und respektvollen Umgang mit Fehlleistungen?
Und vor allem: Sind wir bereit, alles das auch jemandem zuzugestehen, der nicht unseren eigenen Standpunkt vertritt?

In den letzten Jahren zweifele ich zunehmend an Konzepten wie „Political Correctness“ oder auch „Identitätspolitik“, weil wir vor lauter Eifer auf der anderen Seite vom Pferd runterzufallen drohen. Ich verstehe die Intentionen, aber ich empfinde ein großes Unbehagen damit, weil wir dazu neigen, dem Konzept mehr zu vertrauen als den Menschen dahinter. Weil wir vor lauter Bemühen, inklusiv zu werden, schon wieder exkludieren.
Oder, wie meine Mutter früher immer sagte: „Was wir mit den Händen aufbauen, reißen wir mit dem Hintern wieder ein.“

Was wir nach meinem Empfinden deutlich mehr brauchen, für uns selbst und vor allem für andere: Demut und Respekt. Und Vergebung.

Ich kann es einfach nicht lassen

Rom – Glasgow – Kleinkleckersdorf

Das erste, was ich mich in dem Zusammenhang gefragt habe: Warum war eigentlich zeitlich zuerst das G20-Treffen und die Klimakonferenz erst danach? Andersherum wäre möglicherweise beim G20 ein etwas besseres Ergebnis herausgekommen. Mehr Druck auf die Möchtegern-Bosse der Welt.

Außerdem habe ich mir den Podcast „Mal angenommen“ der ARD https://www.ardaudiothek.de/episode/der-tagesschau-zukunfts-podcast-mal-angenommen/kohleausstieg-2030-was-dann-oder-gedankenexperiment/tagesschau/94547176/ angehört. Und fand ihn interessant und bedenkenswert.

Vorweg: Ich kann jeden einzelnen Menschen verstehen, der vor dem Aus seiner beruflichen Existenz steht, wenn sein Arbeitsplatz in den „alten“ Industrien wegfallen wird. Ich kann aber auch jeden verstehen, der heute die Hoffnung hat, dass „sein“ Dorf nicht mehr abgebaggert werden muss. Denn auch, wenn diese beiden Menschen anscheinend auf gegenüberliegenden Seiten stehen, so ist doch beiden übel mitgespielt worden, von Teilen von Politik und Wirtschaft, die mit Sicherheit selbst die Zeichen der Zeit zwar erkannt haben, aber sich hartnäckig weigern, danach zu handeln. Aus Angst vor Wählern und Aktionären. Aus Angst vor uns. Ist ihnen nicht klar, dass sie durch Prokrastination irgendwann noch viel mehr zu verlieren haben? Was nützt es der Wirtschaft, wenn (Atom-/Gas-/Kohle-)Kraftwerke an Flüssen immer wieder abgeschaltet werden müssen, weil entweder zu wenig und zu warmes Wasser zum Kühlen vorhanden ist oder im Gegenteil eine Überschwemmung der Anlagen droht? Wenn die großen Konzerne nicht mehr beliefert werden können, weil die Lieferketten zusammenbrechen aufgrund von Extremwetterereignissen? Für alle diese Szenarien hatten wir seit 2018 schon Beispiele.

Seit 1965 warnen Wissenschaftler:Innen verschiedenster Fachrichtungen immer lauter werdend unermüdlich vor dem, was uns bevorsteht. Aber die Meisten ziehen es vor, lieber auf die zu hören, die jegliche Verantwortung immer weiter auf künftige Generationen abschieben. Es ist frustrierend, sich vorzustellen, wo wir stehen könnten, wenn von Anfang an gehandelt worden wäre. Es wäre im Vergleich zu heute fast paradiesisch.

Wer heute noch der Meinung ist, den menschengemachten Klimawandel (der ja auf den natürlichen noch on top kommt) gäbe es nicht, der wohnt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf Sylt, Wangerooge, einer Hallig oder in anderen küstennahen Regionen. Wenn die Malediven absaufen, wen kümmert es? Okay, eine Tauch-Destination weniger, aber tote Korallen wegen der Korallenbleiche im immer wärmeren Meerwasser will ja sowieso keiner sehen! Wenn in küstennahen Gebieten Afrikas, aber auch beispielsweise in Spanien, das Grundwasser versalzt und nichts mehr angebaut geschweige denn getrunken werden kann, wer nimmt dann die Klimaflüchtlinge auf?

Solche Fragen gibt es zuhauf. Die jungen Leute von FFF stellen sie, viele NGOs stellen sie, Wissenschaftler aller Disziplinen stellen sie. Aber wer gibt die Antworten? Und wer will die Antworten hören? Lassen wir uns nicht viel lieber weiter Sand in die Augen streuen? Vor der BTW2021 habe ich in einer Dokumentation gesehen, dass von Seiten der CDU in den deutschen Hochwassergebieten gegen den Umweltschutz gehetzt wurde. Den Menschen, die ihr Hab und Gut verloren hatten, wurde erzählt, die Brücken seien durch Totholz aus flussnahen Naturschutzgebieten verstopft und zerstört worden. Durch morsche, vermodernde Baumstämme sei das Hochwasser so zerstörerisch gewesen. Sicher ist auch das abgeflossen, aber seit Jahren morsches Holz dürfte längst nicht so viel Zerstörungspotenzial bieten wie LKWs, Wohnwagen, Autos oder halbe Häuser, die man auf den Fernsehbildschirmen entlangschwimmen sah. Und viele haben es geglaubt. Irgendwie sogar verständlich, denn wer möchte in einer solchen Situation denn eingestehen, dass auch der eigene Lebensstil mit zu der Katastrophe beigetragen hat? Vielleicht wäre es mir sogar ähnlich ergangen?

Ich könnte vermutlich stundenlang weiterschreiben und Beispiele finden, warum wir als gesamte Menschheit so träge sind, vor allem als westliche, gesättigte Industrienationen, die nicht in erster Linie an der Front stehen (ich mag diese militärischen Ausdrücke nicht, aber für die Menschen in den Südseestaaten zum Beispiel ist es Kampf und Krieg! Endgame!)

Ich könnte auch die Schultern zucken, den nächsten Roman von meinem Stapel nehmen und den Sonntag genießen. Was geht mich das an?

Aber das kann ich nicht, und so lese ich mich weiter wie die Raupe Nimmersatt durch die Bücher, die mir Erklärungen bieten, mir Argumente liefern und mir hoffentlich helfen können, das mir mögliche zu tun, um doch noch eine große Vollbremsung hinzubekommen. Eins ist sicher: Die Erde kann ohne uns Menschen gut klarkommen. Umgekehrt funktioniert das nicht. Das ändern auch die Herren Bezos, Branson und Musk mit ihren Weltraumeroberungsfantasien nicht.

Ideologie

Es gibt Parteien, die haben Angst davor, dass nach der Bundestagswahl Deutschland den Bach runtergeht. Begründung unter anderem: Wenn es in der Gesellschaft einen Linksruck gibt, wird Deutschland künftig von Ideologen regiert. Wir würden quasi am 27. September nicht mehr in einer Demokratie, sondern in einer Ideologie aufwachen.

So grob gehört die Definition des Wortes wohl zur Allgemeinbildung, aber zur Vorsicht schaue ich noch einmal nach:

„[franz.] Allg.: I. ist (im neutralen Sinne) die Lehre von den Ideen, d. h. der wissenschaftliche Versuch, die unterschiedlichen Vorstellungen über Sinn und Zweck des Lebens, die Bedingungen und Ziele des Zusammenlebens etc. zu ordnen. Aus diesen Bemühungen entstanden historisch unterschiedliche Denkschulen.

Pol.: Im politischen Sinne dienen I. zur Begründung und Rechtfertigung politischen Handelns. I. sind daher immer eine Kombination von a) bestimmten Weltanschauungen (KommunismusKonservatismusLiberalismusSozialismus), die jeweils eine spezifische Art des Denkens und des Wertsetzens bedingen, und b) eine Kombination von bestimmten Interessen und Absichten, die i. d. R. eigenen (selten: uneigennützigen) Zielen dienen, d. h. neben der Idee und Weltanschauung auch den Wunsch (und die Kraft) zur konkreten politischen und sozialen Umsetzung ausdrücken. I. sind wesentlicher Teil politischer Orientierung; sie sind sowohl Notwendigkeit als auch Begrenzung politischen Handelns. (Quelle: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17618/ideologie)

Ach, sieh mal einer an. Auch Konservativismus und Liberalismus gehören zu den Ideologien. „Der Vorwurf einer durch Ideologie bestimmten Argumentation findet sich häufig im politischen Diskurs. Damit wird unterstellt, dass ein Standpunkt deswegen nicht stichhaltig sei, weil er auf einer politischen Ideologie basiere. Der eigene Standpunkt wird demgegenüber implizit oder explizit so dargestellt, dass er auf einer nüchternen Analyse der Wahrheit, dem gesunden Menschenverstand oder auf einer nicht in Frage zu stellende Ethik beruhen würde. Dies könnte indes die jeweilige Gegenseite in vielen Fällen mit dem gleichen Recht für sich in Anspruch nehmen.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie) Merkt ihr selber, nicht?

Ich bin zutiefst angenervt von dem, was sich dieses Jahr „Wahlkampf“ nennt. Die Parteien, die sich zumindest teilweise mit konkreten Vorschlägen statt mit Nebelkerzen um die WählerInnen bemühen, sind zurzeit einfach die eher links verorteten. Ob und wie sie sich verwirklichen lassen würden, steht noch auf einem anderen Blatt. Von Liberalen und Konservativen höre und lese ich dagegen eher irgendwelche Schlagworte, die alles oder nichts bedeuten können.

In den letzten Jahrzehnten gab es in Deutschland eigentlich immer eine Konstante: Wer auch immer eine Wahl gewann, man konnte mit Abstrichen in die eine oder andere Richtung davon ausgehen, dass im Großen und Ganzen eine relativ solide Regierung zustande kam. Mal bekam die eine Klientel mehr geboten, mal die andere. Für den größten Teil der Bevölkerung war aber ein einigermaßen gutes Leben möglich.

Aber in diesem Jahr wird munter drauf los gebasht, vor allem von den Werte-Bewahrern, dagegen vermisse ich schmerzlich die gute alte Diskussionskultur. Denn wenn wir ehrlich miteinander sind, hat doch niemand persönlich und auch keine einzelne Partei die Weisheit für sich gepachtet, gute oder schlechte Ideen findet man bei allen. Ich wünschte mir so sehr, dass diese Ideen und auch die vielen konstruktiven Vorschläge aus den Kommentarspalten (ja, die gibt es, nicht jeder kotzt sich dort nur aus) in einem deutschlandweiten Brainstorming zusammengetragen und gewichtet würden. Ich frage mich, warum ein solches basisdemokratisches Instrument wie „Die 49“ von einer überregionalen Wochenzeitung veranstaltet wird und nicht von einer politischen Institution und möglicherweise sogar in größerem Maßstab.

Ich weiß gerade nicht mal, wie ich die Kurve kriegen und diesen Beitrag zu einem tendenziell optimistischen Ende bringen soll🤷‍♀️. Ich lasse es…

Schubladen

Ich bin weiß, cis-Frau, heterosexuell, nicht mehr jung und noch nicht alt , westdeutsch, Mittelschicht, Provinznudel und Landei; seit drei Jahren Hausfrau und mithelfende Angehörige sowie Minijobberin und als solche von Altersarmut latent bedroht. Obwohl ich eine ordentliche und bürgerliche Ausbildung genossen habe. Gehöre gerade noch so am Rand zur Generation der Baby-Boomer, habe gemäßigt aufbegehrt in meinen Teenie-Jahren, jahrzehntelang als „U-Boot-Christin“ gelebt, aber seit einem guten Jahrzehnt verstärke ich ehrenamtlich die Jugendarbeit in der Gemeinde. Ich bin politisch durchschnittlich gebildet, mittig mit leichtem Schlag nach links (heute also nach Meinung einiger „links-grün-versifft“), aber nicht in einer Partei aktiv, weil ich eigentlich immer der Meinung war, im Endeffekt kann ich mit allen (bisherigen zumindest) Konstellationen einigermaßen unbehelligt mein Leben leben. Egal ob sozialliberal wie in den frühen 70ern, schwarz-gelb wie in Helmut Kohls Zeiten, rot-grün oder Groko. Ich bin weder weit genug „oben“ noch in gefährlich prekärer Lage, ich rutsche halt immer so durch. Und überhaupt hatte ich lange die Überzeugung, dass es immer die gesamte Gesellschaft braucht, um zu funktionieren (die habe ich auch immer noch, ich stelle nur leider fest, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt, die kein Interesse mehr haben, dass das Gesamtgebilde funktioniert). Ach ja, und seit einigen Monaten bin ich angeblich auch noch Schlafschaf. Eigentlich also komplett unauffällig und durchschnittlich.

Warum ich das hier so ausbreite? Weil ich immer häufiger staune und schaudere, wie sehr wir Menschen doch einerseits auf unsere individuellen Eigenschaften pochen, so gern etwas besonderes darstellen möchten, etwas ganz einzigartiges, gerade in den „sozialen“ Medien; auf der anderen Seite aber nicht nur von uns selbst, sondern vor allem durch andere Teilnehmer der vielen Netzwerke, in diverse Schubladen sortiert werden. Es verwirrt mich. Welches ist denn meine „Hauptschublade“ und in welchen bin ich nur verschlagwortet? Oder werde ich scheibchenweise aufgeteilt?

Wer kann beurteilen, ob ich irgendwo in meiner Ahnenreihe doch noch ein Quäntchen „Migrationshintergrund“ habe?

Wer darf sich anmaßen, mich als Frau zu bewerten, weil ich als junge Mutter immer gearbeitet habe, meist sogar Vollzeit, und erst im reifen Alter von 50 Jahren festgestellt habe, dass nur Arbeiten auch nicht das ist, was ich vom Leben erwarte?

Wer darf mir den ganz nebenbei leider passierenden Alltagsrassismus vorwerfen, der bei mir ab und zu (zum Glück sehr selten und nicht laut, sodass ich in Ruhe mit mir schimpfen kann) durchscheint, einfach weil im Dorf meiner Kindheit keine sogenannten „Gastarbeiter“ lebten, weil ich in der synchronisierten amerikanischen Ausgabe der Sesamstraße zum ersten Mal ein Kind mit schwarzer Hautfarbe gesehen habe, weil ich meine erste Pizza im Kindesalter einfach nur als scheußlich empfunden habe und all das jahrelang mangels Erfahrung sehr exotisch für mich war?

Wer hat das Recht, meine Überzeugung vom Gelingen des politisch-gesellschaftlichen Lebens in einem gemeinsamen und Menschen verbindenden Projekt als sozialromantische Utopie und als naives Gutmenschentum abzukanzeln?

Und wer zum Henker will mir vorschreiben, dass ich als Buchhändlerin und Literaturvermittlerin nur die Werke von Friedenspreis- und Nobelpreisträgern zelebrieren darf, die deutschen und internationalen Klassiker rauf und runterbeten muss und mich nicht einfach mal mit einer romantischen Schmonzette entspannen kann?

Bei Twitter stünde jetzt noch: „…frage für einen Freund“

Fake News?

Heute mache ich mich daran, vom Kirchentag zu berichten, genauer gesagt von einer sehr interessanten Podiumsdiskussion.

Der Titel lautete: Fake News. Die Wahrheit in Politik, Wissenschaft und Bibel

Diskutanten waren: Annette Kurschus, Präses der evangelischen Kirche von Westfalen, Petra Pau, MdB der Linken und Bundestagsvizepräsidentin sowie der Ägyptologe Antonio Loprieno. Das spirituell-musikalisch-kabarettistische Rahmenprogramm steuerte Duo Camillo bei. Wenn du dieses noch nicht kennst, schau mal bei YouTube:

Ganz am Anfang machte Moderatorin Annette Behnken (ev. Akademie Loccum) eine Bemerkung, die ich mir notierte, weil sie so schön rhetorisch zugespitzt klang. Nachgedacht habe ich aber erst im Nachhinein über die eigentliche Aussage, die dahintersteckt:

„Wer in der Flasche drinsteckt, kann das Etikett nicht lesen.“

Klingt zunächst einfach mal ganz logisch. Aber wenn man genauer hinschaut, heißt das auch: Jede/r einzelne von uns hat mindestens eine Flasche, wo er/sie drinsteckt. Ein Thema oder mehrere, die uns dermaßen antriggern, dass wir nicht mehr kühl und verstandesgemäß an dieses Thema herangehen, sondern eher dazu neigen, uns die Köpfe heißzureden, keine andere als die eigene Meinung zuzulassen, mit anderen Worten: fürchterlich intolerant zu sein. Zwei Themen kennt mit Sicherheit jeder von uns, die solche Trigger sind: Klima und Flüchtlinge (bzw. Seenotrettung)

Aber weil sie so triggern, gehe ich an dieser Stelle nicht darauf ein. Sondern bleibe bei der Veranstaltung. Und zwar bei den Statements, die für mich nachdenkenswerte Kernaussagen darstellten.

Zu Beginn legte Frau Kurschus dazu einen einzelnen kurzen Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium aus, der das Dilemma eigentlich schon auf den Punkt bringt:

Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? (Joh. 18,37f)

Nun muss man dazu sagen, dass einen Vers vorher Jesus sagt „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Für Pilatus nur schwer zu verstehen und erst gar nicht nachvollziehbar. Aber es offenbart sich, dass er zumindest versteht: Gottes Wahrheit ist nicht die Wahrheit der Menschen. Wahrheit beruht auf Wahrnehmung.

(Und da beginnt das Problem bereits: Wir nehmen nicht alles gleich wahr. Ein Mann, der in prekären Verhältnissen lebt und alles versucht, seiner Familie trotzdem ein ordentliches Leben zu ermöglichen, dabei aber von einem Hindernis zum nächsten stolpert, hat ganz logisch eine vollkommen andere Wahrnehmung als der Vorstandsvorsitzende eines DAX-Unternehmens, der zusätzlich zu seiner Villa im Speckgürtel von München auch noch ein Chalet in St. Moritz und eine Finca auf Ibiza sein eigen nennt. Die Lebensrealitäten dieser beiden Beispielmenschen sind einfach so unterschiedlich, dass vermutlich kaum bis keine Berührungspunkte vorhanden sind. So habe ich versucht, mir unterschiedliche Wahrnehmung von Wahrheit zu erklären. Und dabei festgestellt: Keiner von uns Menschen ist im Besitz der absoluten, unerschütterlichen Wahrheit!)

Für Frau Pau stand im Mittelpunkt, dass es möglich und notwendig ist, wenn Menschen in bestimmten Dingen unterschiedlicher Meinung sind, diese aber gegenseitig zu respektieren, und wenn es Themen gibt, bei denen diese Menschen einig sind, dafür auch Seite an Seite gemeinsam einzustehen.

Als eindrucksvolles Beispiel für die verheerende Wirkung von Fake News (eine gute Definition, die auch die finanziellen Interessen an der Verbreitung darstellt, findest du auf der Seite: https://www.bpb.de/252386/was-sind-fake-news) stellte Frau Pau die Diskussion um den globalen Migrationspakt heraus. Die Entwicklung ist bei Wikipedia ganz ordentlich und differenziert dargestellt.

Antonio Loprieno, der sich in seiner Forschung unter anderem mit Ikonografie beschäftigt (z.B. der ägyptischen Bilderschrift, die sehr anschaulich wirkt), ist der Meinung, heute sei wahr, was vom sprachlichen Diskurs bestimmt wird, zum Beispiel ein Narrativ (Erzählung). Damit hat er garantiert nicht unrecht, funktioniert doch derzeit nicht nur die Werbung vor allem über Storytelling (TV-Spots von VW oder Coca Cola genauso wie Instagram-Accounts von Buchhandlungen, also im Großen wie im Kleinen). Wenn sich ein Präsident einer großen westlichen Macht mit dem Diktator eines asiatischen Staates an der Grenze trifft, dann erzählt er vorher genauso eine Geschichte (ein Märchen?), wie die Einladung zustande gekommen ist.

Wie erkenne ich denn eigentlich Fake News? Die Teilnehmer der Diskussion waren sich einig, dass man sie unter anderem daran erkennen kann:

  • Jemand verbreitet seine Meinung mit dem Anspruch, im „Besitz“ der einzigen, unabdingbaren Wahrheit zu sein.
  • Das Ziel ist, einzelne Menschen oder Menschengruppen mit der Meldung zu diffamieren, zu beschämen, auszugrenzen.
  • Ich ergänze: Ein Blick über den Tellerrand, eine Bewertung aus der jeweils anderen Perspektive findet nicht statt und ist auch nicht erwünscht.

In dem Zusammenhang fand ich eine Bemerkung von Frau Kurschus sehr ausschlussreich: Im griechischen Text des Neuen Testaments wird für das Verb „Weitergeben“ an zwei ganz unterschiedlichen Stellen derselbe Ausdruck verwendet: Bei der Abendmahlsliturgie des Paulus und beim Verrat des Judas im Garten Gethsemane. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Weitergabe kann sowohl positiv als auch negativ besetzt sein.

Ebenfalls nicht neu ist das Phänomen „Fake News“. Allerdings kann es sich durch die digitale Kommunikation viel schneller und effektiver fortpflanzen, „viral gehen“. Denn in weiten Teilen fehlt der Kontrollmechanismus, da kein direkter Gesprächspartner direkt eingreifen kann. Wenn mir der Mensch mit einer anderen Meinung gegenüber steht, sage ich nicht so einfach „Du A….loch“ wie ich es am PC, Tablet oder Smartphone schreibe, ohne meinem Gegenüber ins Gesicht sehen zu müssen. Und wurde vor 200 Jahren ein Brief geschrieben, dann dauerte es zwar auch unter Umständen Wochen bis zur Antwort und eventuellen Richtigstellung, aber den Briefwechsel bekamen nicht Millionen Menschen zu sehen. Wird heute etwas in den sozialen (?) Medien gepostet, dann ist die Reichweite wesentlich höher als bei einem Leserbrief in der Tageszeitung. Und es ist nicht ausradierbar….

Wichtig ist daher: Komplexe Themen können nicht mit 140 Twitterzeichen behandelt werden. Denn bei vielem kommt es auf Vertrauen an, und das ist nach wie vor analog!

PS: Mir gefällt der etwas altertümliche Ausdruck „Wahrhaftigkeit“.

Wahrhaftigkeit ist eine Denkhaltung, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet. Wahrhaftigkeit ist keine Eigenschaft von Aussagen, sondern bringt das Verhältnis eines Menschen zur Wahrheit oder Falschheit von Aussagen zum Ausdruck. Die Wahrhaftigkeit kann falsche Aussagen nur durch einen Irrtum hervorbringen. Zur Wahrhaftigkeit gehört die Bereitschaft für wahr Gehaltenes zu überprüfen.

[Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 11. Aufl., Leipzig 1975]

„Die“ Kirche und „die“ Politik

  • Tempo 130
  • Bienensterben
  • Pränataldiagnostik
  • Migration

Soll / muss / darf sich Kirche in die Tagespolitik einmischen? Oft hören wir „die sollen sich um ihre Schäfchen kümmern. Anständig Seelsorge betreiben (…und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen…). Aber aus der Politik sollen sie sich gefälligst heraushalten!“ Oder man wird gleich als „links-grün-versifft“ abgestempelt.

Ist das denn tatsächlich so? Was ist Auftrag der Kirche? Okay, sicher nicht, den Menschen von der Kanzel zu predigen, wen sie wählen sollen. Das ist genauso persönlich wie die Wahl, zu welcher Konfession man sich bekennt.

Das meine ich auch nicht.

Wir sollen Menschen vom Evangelium erzählen, sie für ein Leben mit Jesus begeistern, ja. Unbedingt.

Aber: Wenn wir die Aussagen der Bibel ernst nehmen, dann steht da nicht nur „Macht euch die Erde untertan“ (ich ergänze mal frei: auch um den Preis einer kaputten Umwelt, der Zerstörung jahrtausendealter Lebensräume, der Ausrottung von ganzen Lebensformen). Da steht auch der Auftrag, die Schöpfung zu bewahren. („Und Gott, der HERR, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten, ihn zu bebauen und zu bewahren.“ Gen 2,15).

Da steht nicht nur „Du sollst Gott lieben“, es geht ohne Abstriche weiter mit „und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wenn ich davon ausgehe, mich selbst zu lieben bedeutet: Daseinsfürsorge, ein auskömmliches Leben anstreben, eine friedliche Lebensumgebung, gelingende Beziehungen… dann bin ich aufgefordert, alles dieses auch meinen Mitmenschen zu gönnen. Egal woher sie kommen, wo sie leben, was sie glauben oder wen sie lieben. Oder ob sie ein Gen dreimal haben. Wie auch immer. Selbst dann, wenn mir selbst gerade das Eine oder Andere fehlt, das mein Leben gelingen lässt.

Jesus selbst war da ganz radikal – und politisch! „Liebe deine Feinde, segne, die dich fluchen.“ (Ganz bewusst von mir benutzt in der 2. Person Einzahl, denn es ist eine persönliche Aufforderung an jeden Einzelnen von uns!) Alles andere ist einfach. Das bekommt sogar ein aktueller amerikanischer Präsident hin, denke ich.

Aber Liebe – mit anderen Worten Respekt, sogar Verständnis vielleicht – für diejenigen aufbringen, die beispielsweise ganz außen am Rand des politischen Spektrums stehen, egal auf welcher Seite? Das ist schon eine Riesenherausforderung, natürlich. Und dabei versagen wir auch alle regelmäßig. Das finde ich auch menschlich. Trotzdem möchte ich deswegen nicht, dass wir uns zumindest von dem Versuch verabschieden, nach dem Motto: „Hab ich versucht, hat nicht geklappt, hat sowieso keinen Zweck, lasse ich lieber sein.“

Wenn dir jemand sagt: „Hey, glaub an Jesus, bekehre dich und werde Christ, dann wird dein Leben einfach, du weißt immer, was du tun musst, du wirst gesund und wohlhabend, du wirst keine Zweifel mehr haben“, dann macht diese Person es sich zu einfach und dir höchstwahrscheinlich ein leeres Versprechen.

Aber du hast dann immer den Einen an der Seite, an den du abgeben kannst, du wirst deine (auch die falschen) Entscheidungen nicht allein treffen und nicht allein vor dir verantworten müssen. Du beginnst, die Welt mit anderen Augen zu sehen, und du hast auch eine zuverlässige Adresse, wenn du etwas zu beklagen hast. Du bist nicht allein.

Und du wirst politisch. Du beziehst Stellung.

Wikipedia: „Politik bezeichnet die Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens durch verbindliche Entscheidungen.“

 

 

 

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