Da ist es mordsfrüh am Sonntag, seit einer halben Stunde jault Lucy im Flur herum (weil sie viel lieber in der Küche unterm Tisch liegen möchte) und du wünschst dir eigentlich nur noch ein halbes Stündchen Ruhe. Und dann läuft im Radiowecker, der tagein, tagaus immer um zwanzig nach Fünf anspringt, dieses Lied:
Manchmal wundere ich mich bei diesem Nachtprogramm. Die Sprecher sind immer etwas klamaukig und um Heiterkeit bemüht, vielleicht ist das auch die beste Möglichkeit, diesen Sendeplatz mit Leben zu füllen, ich weiß es nicht. Aber Tatsache ist, dass ich schon manches Mal von einem Lied überrascht wurde, das mir viel bedeutet oder Erinnerungen weckt oder ganz einfach zur aktuellen Situation passt.
Als ich heute früh diesen Song hörte (es gibt auf Youtube auch einige andere hörenswerte Versionen, aber diese lief im Radio), da gab er mir Ruhe. Ruhe, Lucys Geseufze auszublenden. Ich weiß nicht, wer ihre innere Uhr in den letzten Wochen hartnäckig auf fünf Uhr eingestellt hat, aber ab diesem Zeitpunkt gibt ihr der Platz unterm Küchentisch offenbar mehr Sicherheit als ihr Kissen im Flur. Haben nicht auch wir einen bevorzugten Platz, den wir aufsuchen möchten, wenn wir uns gestresst, überfordert oder sonst irgendwie besch…en fühlen? Bei Lucy ist es der Küchentisch, bei mir ist es oft der Garten oder allgemein die Natur, Wald, Wiesen oder Wasser, wohin ich mich flüchten möchte.
Ein Ort, an dem ich die Weite und Schönheit der Schöpfung wahrnehme. Mir mal nicht über die Beschränktheit der Welt, meiner Mitmenschen und meiner selbst Gedanken machen muss, sondern einfach runterkommen kann und mich von der Anwesenheit meines Schöpfers trösten lassen kann. Ein Ort, der mich gleichermaßen erdet und erhebt. Und die Dimensionen zurechtrückt. Und der mich Momente erleben lässt, die mir zeigen, dass ich nicht allein bin, dass mich immer jemand trägt und mir Kraft gibt, wenn menschliche Kraft nicht mehr ausreicht.
Und wie erstaunlich, das manchmal das Nachtprogramm im Radio den richtigen Stups gibt. Habt einen wunderschönen und gesegneten Sonntag, wo immer ihr ihn verbringt und was auch immer heute eure Herausforderung ist.
Vielleicht denkst du jetzt: „Echt jetzt? Noch mehr Ruhe? Ich könnte gerade wieder mehr Leben gebrauchen…“
Einerseits ja, gewissermaßen. Andererseits empfinde ich in den letzten Tagen die Welt als unheimlich laut.
Über den „Irgendwie -ja-aber-eigentlich-doch-nicht-so-richtig-Lockdown“ wird lauthals gezankt, über missglückte, weil bitter zynische Satire der Stab gebrochen. Zwei gestandene Männer können sich um die Bewerbung um das Amt der Bundeskanzlerin (ja, es gibt eine Generation Menschen, die kennt keine männlichen Wesen in dieser Position) nicht wirklich gut einigen und in einigen christlichen Kreisen wird ernsthaft in Erwägung gezogen, Annalena Baerbock sei der personifizierte Antichrist (Kopf – Mauer! Und ich musste diesen Quatsch in einem christlichen Medium lesen, das ich eigentlich bisher als gemäßigt wahrgenommen habe. Allerdings nicht im Artikel, sondern in den Kommentaren, trotzdem macht es die Sache nicht besser.) Alle Welt schreit nach Lockerungen, Privilegien, Rücknahmen von Einschränkungen und sucht die Deutungshoheit über den Auslastungsgrad der Intensivstationen. Das Bundesverfassungsgericht attestiert der Bundesregierung in puncto Klimaschutz schlampige Arbeit mit zu wenig Weitblick. Es gibt also mehr Themen als nur Corona, wo sich ein zweiter (oder ist es doch der erste?) Blick ins Grundgesetz lohnt.
Die am lautesten in die Gegend trompeteten Meinungen werden immer schriller, dadurch aber nicht zwangsläufig richtiger. Dabei ist es egal, aus welcher Richtung krakeelt wird, mich widert das inzwischen alles an.
Selbst in der offenen Kirche war es mir vorhin zu laut. Ich suche fast schon verzweifelt einen Ort, an dem ich mit meinem Gott allein sein kann, damit ich meinen eigenen Gedanken Gehör schenken kann, meinen Zweifeln, meiner Hoffnung, meiner Sehnsucht. Und wo es leise genug ist, dass ich SEINE Antworten auf meine Fragen auch hören kann.
Die Antwort auf die Frage „wohin“ kenne ich: Losgehen. Auf Pilgerwegen. Am besten nur die Geräusche von Wind, eventuell Wellen, Bäumen und Tieren als Hintergrund.
Ohne Nachrichten, ohne Instagram, sogar ohne WordPress. Ich habe auch eine Vorstellung davon, welchen Weg ich nehmen möchte. Da ist nur ein kleines Problem: Das Verbot von touristischen Übernachtungen. Im Augenblick bin ich schultertechnisch und kräftemäßig nicht in der Lage, mit Zelt, Schlafsack und Isomatte durch die Gegend zu laufen. Vielleicht schaffe ich es ja wenigstens mal, morgens loszuwandern und dann am Abend zuhause anzurufen, wo ich wieder eingesammelt werden möchte. Der Weg ist bekanntlich das Ziel.
Hört sich nach ’nem Plan an.
PS: Die Fotos stammen aus verschiedenen Urlauben bzw. Kurztrips der letzten Jahre, weit vor 2020.
Erstens: Ich habe es tatsächlich geschafft, drei Tage lang den PC nicht einzuschalten. Ab und zu habe ich übers Smartphone geschaut, was so los ist, aber nicht oft, denn ich mag es nicht, immer hin und her zu wischen, um einen Blogbeitrag wirklich gut lesen zu können.
Heiligabend war ein merkwürdiges Gefühl, ungewohnt entspannt. In den letzten Jahren war immer ab 14 Uhr Gewusel, damit wir es als Mitarbeiter in die jeweiligen Gottesdienste schafften, Konfirmanden in die Kostüme stecken konnten, Texte ein letztes Mal abhören, Lesungen vorbereiten usw. Ich habe mich gefragt, wenn uns als Ehrenamtlichen es so geht, wie ist es dann erst für unsere Pfarrer, die Küsterin, die Kirchenmusiker, für die Weihnachten sonst der absolute Großeinsatz ist?
Keine Gottesdienste vor Ort bedeutete aber auch, dass wir die Zeit nutzen konnten, um einmal „über den Tellerrand“ zu schauen, wir haben uns auf Youtube durch die Online-Angebote der anderen Gemeinden im Kirchenkreis gezappt. Die vielen verschiedenen Ansätze waren spannend zu beobachten.
Von 21 bis 22:30 Uhr war unsere Kirche zur stillen persönlichen Andacht geöffnet, mit Orgelspiel im Hintergrund. An diesem Abend wurde das Angebot auch gut angenommen, einige Familien und Einzelpersonen verbanden es mit einem abendlichen Spaziergang. An den beiden Weihnachtstagen und am Sonntag gab es jeweils zur Gottesdienstzeit auch die offene Kirche und ich freue mich so richtig, dass mit diesem Format Menschen unser schönes altes Kirchengebäude manchmal sogar ganz neu wahrnehmen.
Ansonsten war es vor allem ein Weihnachtsfest mit viel Ruhe, einigen Märchenfilmen und deutlich weniger Essen als „normalerweise“. Und wenn ich mich so umgehört habe, hat die Vorbereitung auf dieses Weihnachten im „Krisenmodus“ einige Leute dazu gebracht, über die Bedeutung von Weihnachten, über Traditionen und Bräuche neu nachzudenken. In jede Richtung: was ist uns eigentlich wirklich wichtig, was schätzen wir? Das merken wir ja häufig erst dann, wenn es fehlt. Im Gegenzug aber auch: worauf können wir verzichten? Was ist eigentlich nur Fassade, weil „es immer so gemacht“ wurde?
Für mich persönlich hat sich herausgestellt, dass ich auf üppige Adventsdeko viel besser verzichten kann als auf einen Weihnachtsbaum. Mit dem Vorschlag von Edgar, in einer großen Vase Tannenzweige aus dem Garten aufzustellen, konnte ich mich nicht so ganz anfreunden, Ökobilanz hin oder her😌. Und gefehlt hat mir das trubelige Zusammensein mit allen unseren Kindern, so vernünftig es auch war, darauf zu verzichten. Ebenso das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeinde, der Gänsehautmoment, wenn alle gemeinsam „Oh du fröhliche“ singen, ja, auch das hat gefehlt. Der vollgefressene (Sorry) Bauch dagegen, der hat mir ganz und gar nicht gefehlt.
Ein im wahrsten Sinn des Wortes „merk-würdiges“ Jahr geht zu Ende. Es hat uns vieles abverlangt und uns erschöpft zurückgelassen. Ich hoffe, wir merkenuns, was wir als essentiell und gut empfunden haben und ich hoffe, wir merken, dass ein immer höher und immer weiter nicht die Zukunft sein kann.
Als ich ein Kind war, stand im Winter auch immer die Nähmaschine meiner Mutter, damals noch ein Modell, dass man aus einem Schränkchen zauberte, welches dafür aufgeklappt wurde, mit einer großen Trittplatte unten drunter (die mit Beinkraft betrieben wurde), offen im Schlafzimmer meiner Eltern. Meine Mama nähte aber mit viel Freude Kleidung, wie es in sehr vielen Haushalten üblich war. Burda-Hefte wurden gesammelt, und zu Kindergartenzeiten wurde es immer dann interessant für mich, wenn es auf Karneval zuging. Denn sie nähte aus glänzendem Futtertaft in bunten Farben für meine Freundin und mich die schönsten Kostüme.
Mit einsetzender Pubertät waren Nähmaschinen notwendig, um die neu gekauften Jeans auch wirklich hauteng abzunähen, denn die gab es zu der Zeit noch nicht mit Stretch-Anteil und „super skinny“. Danach war die Nähmaschine erstmal lange Zeit uninteressant.
Nachdem meine Mutter vor elf Jahren gestorben war, „erbte“ ich auch die Nähmaschine, inzwischen ein moderneres Modell, das man auf den Küchentisch oder so stellen konnte, mit einem kleinen elektrischen Fußpedal. Und so manchen Stoffrest. Aus Neugier und weil ich in meiner Unkenntnis dachte, es sei wenig Aufwand, weil nur gerade Nähte, keine Raffungen und Rockfalten, weder Abnäher noch Knopflöcher notwendig waren, besorgte ich mir eine Patchworkzeitung. Ich glaube, eine amerikanische Buchlektüre spielte auch eine Rolle, es müssten die Krimis von Earlene Fowler gewesen sein. Ich wusste es nicht besser, und als ich gelernt hatte, dass es kaum etwas mit mehr Aufwand gibt, als kleine Stoffschnipsel aneinanderzunähen, so dass es hinterher schön kreativ, ordentlich und brauchbar aussieht, da war es bereits zu spät. Mich hatte das Quiltvirus gepackt. Nicht zu jeder Zeit gleich intensiv, aber doch immer wieder. Inzwischen hatte mein Mann mir auch eine elektronische Nähmaschine geschenkt.
Und so ging es los. Messen, schneiden, nähen, und immer wieder: bügeln! Jede kleine Naht wird sorgfältig ausgebügelt. Und zwischendurch nachgemessen, ob die Nahtzugaben stimmen, ob die entstehenden Blocks die beabsichtigte Größe haben, und ja, dann und wann gehört es auch dazu, grummelnd eine Naht wieder aufzutrennen und neu zu nähen…
Und ist dann endlich das Top (die spätere Oberseite) zusammengestellt, mehrere Male die Blöcke neu angeordnet, weil es anders doch schöner aussieht, schließlich auch noch glücklich zusammengenäht, beginnt das Bügeln von Neuem. Denn auch das Gesamtstück muss wieder gut glatt und die Nähte schön flach gebügelt werden. Schließlich ist es soweit: Unterseite, Vlies und Top werden ausgelegt, ausgerichtet, glattgezogen, nochmal ausgerichtet, hier und da noch ein bisschen gezuppelt, geheftet. Wobei man höllisch aufpassen muss, dass es beim Heften nicht wieder verrutscht.
Und dann kann man endlich ans Quilten gehen. Das Quiltsandwich wird aufgerollt, Stück für Stück beim Nähen wieder abgerollt und dafür an der fertigen Seite wieder aufgerollt (oder man hat einen großen Maschinenquiltrahmen), man hat seine liebe Mühe mit den „Würsten“ rechts und links der Nadelplatte. Danach ist man aber immer noch nicht fertig, denn: richtig, es wird gebügelt😂. Schlussendlich bekommt das Ganze noch ein „Binding“ sprich eine Randeinfassung, und nach dem finalen Bügeln hat man dann ein außergewöhnliches Geschenk, das seinem neuen Besitzer hoffentlich viel Spaß macht.
Wenn ich auch im „wirklichen Leben“ nicht unbedingt vor Geduld strotze, hierbei kann ich zur Ruhe kommen, die Welt um mich herum und die Zeit vergessen, ich bin „im Flow“. Auch im Garten kann ich so vor mich hin puzzeln, ich stelle nur leider fest, dass mir mein Rheuma zu manchen Zeiten den Spaß an der Gartenarbeit vermiest: Weder zu kalt (dann kann ich mich nicht gut bewegen)noch zu warm (davon kriege ich dicke Finger und kann nicht richtig greifen) darf es sein; ist der Boden zu nass oder zu trocken, fehlt mir die Kraft, ihn zu bewegen. Da braucht man doch einen Ausgleich, sonst wird man ja total kirre.
Im Leben, beim Kochen und beim Nähen geht es mir außerdem oft so, dass ich da etwas habe, ein Material, aber ich weiß nicht, was dabei herauskommt, wenn ich mich damit beschäftige. Ob es gelingt oder ein Fehlversuch wird, ob ich einen Fortschritt erziele oder zurücktrete und feststelle, dass es anders gekommen ist als ich es mir gedacht hatte. Und wer weiß, wohin mich dieser Weg noch bringt, wo die Etappen liegen, wo ich ankommen werde.
Ja, und inzwischen arbeite ich auch mit der vierten Nähmaschine, mit großem Quilttisch und einigem an Zubehör, welches noch mehr Spaß beim Nähen macht.
Geschichten mitten aus dem Leben; über Momente die uns prägen, Freude, Schmerz, Hoffnung und Schicksal dem wir täglich begegnen. Ein kleiner Blick ins Innere, ein Blick hinter die Tür.
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