Gründe, sich Gedanken über Stereotype und ihre Berechtigung zu machen, gibt es reichlich. Die Debatte um Migration und „kleine Paschas“ ebenso wie die aktuelle Buchlektüre und die rhetorische Frage an mich selbst, wie ich von Einheimischen gesehen und mich selbst verhalten würde, wenn ich in ein anderes Land zöge.
-Der deutsche, etwas tumbe Michel, der seiner Obrigkeit hinterherläuft
-Der melancholische, wodkasaufende Russe
-der spanische Latin Lover
-die italienische Nonna, die ihre gesamte Familie energisch im Griff hat
-der gauloiserauchende Franzose mit Baskenmütze und Baguette unterm Arm
-tiefenentspannte, eben „hygge“ Dänen
-traditionsbewusste, konventionsbehaftete Japaner
-patriarchalische Türken
-korrupte Kolumbianer, die alle miteinander Drogen anbauen
-übergewichtige Amis, die mit dem Pickup von Barbecue zu Barbecue fahren
-durchs Leben sambatanzende, knapp bekleidete Brasilianerinnen
-titelverliebte Österreicher, die im Grunde immer noch KuK sind
-(sexuell?) freizügige Schweden
-„gern schnackselnde Afrikaner“ von Frau Thurn und Taxis (den Spruch finde ich nach wie vor besonders perfide)
– teetrinkende Engländer mit miserabler Küche
-trinkfeste, fiedelspielende irische Barden
-sauerkrautessende und Starkbier trinkende Bayern in absonderlichen Trachten, mit Rasierpinsel auf dem Hut
-autoklauende Polen (auch so ein beklopptes Negativbeispiel)
-streng neutrale Schweizer, die funktionieren wie ein Uhrwerk
…
Ja, einige dieser Aussagen klingen amüsant, andere dienen eher dazu, bestimmten Nationalitäten zwielichtige bis kriminelle Charakterzüge zu unterstellen oder ihnen mangelnde Intelligenz zuzugestehen.
Was in der überspitzten Darstellung von Satire-Formaten noch erträglich erscheint, wird aber von vielen Menschen als bare Münze genommen und ich frage mich, was hat man davon?
Fühlt man sich moralisch erhöht, wenn man anderen Leuten Eigenschaften andichtet, die sie ins Lächerliche ziehen oder gleich als illegal abstempeln? Dazu kommt noch: Wer austeilt, muss auch einstecken können. Das haut auch nicht immer hin, mitunter habe ich sogar das Gefühl, je mehr manche Leute austeilen, desto weniger mögen sie einstecken.
Während ich über Stereotype grübele, verlangt die CDU eine Entschuldigung von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, weil sie in einer Büttenrede den CDU-Vorsitzenden als „Flugzwerg“ titulierte. Da müsste sie sich ja bei mehreren entschuldigen, auch beim bayerischen Ministerpräsidenten, beim Kanzler, dem Wirtschaftsminister, bei Putin und Trump und auch bei Armin Laschet, der aber die ihn treffende Spitze lächelnd wegschunkelte und -sang. Man mag persönlich vom Karneval halten, was man will, aber gerade beim politischen Karneval darf man nicht zimperlich sein, egal wo man steht im politischen Spektrum. (Persönlich fand ich übrigens interessanter, welche Zwerge sie NICHT nannte und dadurch abqualifizierte…)
Ich halte es für viel wichtiger, wenn wir uns bewusst sind, dass jeder einzelne der ungefähr 8 Milliarden Menschen dieser Erde in fast jedem Land der Welt „Fremder“ oder „Ausländer“ ist. Hier in Deutschland wollen nicht wenige, dass auf deutschen Schulhöfen beispielsweise ausschließlich deutsch gesprochen wird. Das wird, wenn ich es ein wenig gehässig überspitze, schon auf sächsischen oder schwäbischen Schulhöfen schwierig. Ganz im Ernst gibt es aber handfeste Gründe dagegen. Das kann zum Beispiel sein, dass es für Schülerinnen und Schüler zur Entspannung und Psychohygiene beitragen kann, sich in Lernpausen sprachlich einfach mal in ein gewohntes Muster fallenzulassen. Auch für Familien, die aus Krisengebieten in die Fremde geflohen sind, kann es wichtig sein, sich der eigenen Identität bewusst zu bleiben.
Natürlich sind Sprachkenntnisse der Umgebungssprache unverzichtbar. Für den täglichen Umgang mit Nachbarn, fürs Einkaufen, für Verwaltungsangelegenheiten, Arztbesuche… Aber solange (fast) jeder deutsche Tourist ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass in spanischen Hotels, auf niederländischen Campingplätzen oder amerikanischen Kreuzfahrtschiffen sowohl deutsche Sprachkenntnisse als auch deutsches Essen verfügbar sind, sollten wir den Ball vielleicht doch eher flach halten.
Ganz davon abgesehen, dass dort, wo Deutschstämmige in Communities leben, zum Beispiel im mittleren Westen der USA, in Japan, weltweit, auch nach über 100 Jahren noch viele Menschen im privaten Umfeld deutsche Dialekte sprechen, obwohl sie in gesellschaftlichem Kontext die Landessprache benutzen. Und das ist doch prima, oder?
Machen eigentlich nur wir Deutschen uns so viele, teils unnötige Gedanken darüber oder ist das international?
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