
bearbeitet von Annuschka
Montag Vormittag und die Woche nimmt kein Ende…
Solche Sprüche waren nie so meins, und eigentlich wünsche ich mir das auch nicht für die Zukunft. Andererseits, so eine kleine Motz-Runde am Montag könnte vielleicht den Rest der Woche frei von Mecker-Tendenzen halten?
In sehr vielen Bereichen haben wir anscheinend nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera, nicht zwischen Paradies und Hölle. Manches Mal habe ich das Gefühl, die Lücke zwischen den realen Gegebenheiten einerseits, dem Anspruchsdenken andererseits und dann noch den Sehnsüchten nach einer vermeintlich übersichtlichen Traum- und Wunschidylle klafft immer weiter auseinander. Obwohl es sehr wahrscheinlich niemals in der langen Menschheitsgeschichte anders war.
Es ist auf jeden Fall zurzeit mental sehr anstrengend, einigermaßen optimistisch durch das Leben zu marschieren. Heute früh hatte ich bereits bei der Zeitungslektüre den ersten akuten Anfall von schlechter Laune, als ich einen Leser-Kommentar las. Ein lokaler Fanboy des blaubraunes Sumpfes bezeichnete alle SPD-Wähler als „IQler unterhalb der Zimmertemperatur“, brüstete sich aber als „IQ 142. Amtlich bestätigt.“ Na Glückwunsch. Mein mir Angetrauter meinte dazu nur lakonisch: „Die Grenzen zwischen Genie und Wahnsinn sind halt fließend“ und ich feiere ihn dafür. Ganz davon abgesehen, dass dieser Typ trotz seines amtlich bestätigten (?) IQs anscheinend den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht kennt.
Vermutlich war es in unserer Welt noch nie gerecht, ausschließlich in Schwarz und Weiß zu malen, wo uns doch so unendlich viele Farben und Schattierungen zur Verfügung stehen. Aber in einer immer schneller und komplexer werdenden Realität sind die vermeintlichen Sicherheiten, mit denen manche Menschen so schlafwandlerisch sicher durchs Leben ziehen, einfach überhaupt nicht vertretbar. Und ich frage mich, warum es scheinbar immer mehr Leuten schwerfällt, zu gestehen: „Ich bin in der Sache xy einfach ratlos. Ich kann es mit meinen Kenntnissen nicht beurteilen, was besser ist.“ Und warum es im Gegenzug immer mehr Menschen zu geben scheint, die erstmal aus Prinzip dagegen sind. Welches Thema, ist vollkommen Banane, nach dem Motto: „Egal wofür, ich bin dagegen!“ Gefolgt von „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ Vielleicht ist es eine um sich greifende Hilflosigkeit, wenn man mit einem normal breit gefächerten Allgemeinwissen in immer mehr Bereichen erkennen muss: Ich habe hierzu zwar eine Meinung, aber keine Expertise. Und dann wird dieses Manko eben durch mehr und lautstark vertretene Meinung ersetzt.
Ich bin allerdings überzeugt davon, dass es mehr Mut und mehr Selbstreflexion erfordert, seine persönlichen Grenzen anzuerkennen, als auf etwas zu beharren, was sich als Irrweg herausstellen könnte.
Zum Beispiel, was aktuell das Thema Lützerath angeht. Meine Sympathien sind ziemlich eindeutig auf der Seite derer, die den Ort erhalten möchten. Da gibt es Menschen, die persönliche Risiken eingehen, die Gesundheitsgefahren, Jobverlust, Lücken im Lebenslauf, wirtschaftliche Nachteile und nicht zuletzt viel Komfortverlust in Kauf nehmen für den Erhalt von Natur und Kulturlandschaft. Die aber auch anerkennen, wenn sie am Ende ihres Protestes angekommen sind. Vor diesen habe ich Hochachtung. Es gibt auch andere, vor denen ich Hochachtung habe: Politiker und Polizeikräfte, die vom Bauchgefühl lieber an einer anderen Stelle ständen, als sie es nun mal wegen ihres Berufes tun. Und die mit persönlichem Unbehagen etwas vertreten (müssen), von dem sie in Abwägungsprozessen zu dem Schluss gekommen sind, die Gesellschaft als Ganzes sei mit dem eingeschlagenen Weg einigermaßen gut beraten.
Und es gibt die anderen, die Profikrawallisten und Hardliner auf allen beteiligten Seiten. Die gibt es, auch wenn sie zum Glück zahlenmäßig unterlegen sind.
In dieser Gemengelage muss ich gestehen: Ich für meinen Teil bin mir alles andere als sicher, welcher Weg der richtige ist. Natürlich möchte ich nicht, dass der Braunkohletagbau sich wie ein Krebsgeschwür noch weiter in die Landschaft frisst und Bausubstanz, fruchtbaren Ackerboden, Kulturgüter und Heimatgefilde zerstört. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, dass ohne den Kohlekompromiss noch weitere Orte gefährdet werden, Orte, die noch bewohnt sind. Und ich sehe leider auch, dass die Bereitschaft vieler Menschen unabhängig von Alter, Gesellschaftsschicht und Bildungsniveau, zugunsten der Natur und nachfolgender Generationen auf Teile ihres (zum Teil nicht mal selbst) erworbenen Wohlstandes zu verzichten, äußerst gering ist.
„Weil ich es kann“ oder „Aber nicht hier“ sind ebenso überstrapazierte wie gesellschaftsschädliche Floskeln.
Und: Es gibt immer noch zu viele – sorry – Männer (es sind meist Männer), die ihr Selbstwertgefühl und ihre Wichtigkeit aus Statussymbolen ziehen: Das beginnt in der Kreisklasse beim doppelten (oder sogar zwei doppelten😱) Auspuffrohr* und endet in der Champions League der toxischen Männlichkeit inzwischen nicht mehr bei der Superyacht inklusive Skipper und Crew, sondern bei der Weltraumrakete (ebenfalls samt Personal). Und auch zu viele Frauen (auch hier hat das Stereotyp eine gewisse Berechtigung), die dekorativ am Arm und Geldbeutel solcher Typen hängen und einen aufgespritzten Schmollflunsch ziehen. (Ich nehme gern Gegenbeispiele an, bei denen eine strotzende Selfmadefrau ein Luxusmänneken hinter sich herzieht, für die ausgleichende Gerechtigkeit. Mir fällt da kein konkretes Pärchen ein.)
Vielleicht wache ich auch gleich auf, schweißgebadet und verwirrt und stelle fest, dass dieser ganze blöde Montagvormittag glücklicherweise ganz anders abläuft und ich nur einen dystopischen und surrealen Alptraum hatte…
*früher gab es den „schönen“ Witz: Was ist ein Opel Manta mit einem Strohballen auf dem Dach? – Extended Memory.
(Der musste jetzt sein, für die kleine Katharsis am Ende des bedrückenden Beitrages.)
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