Wo Vergänglichkeit auf die Ewigkeit trifft

Die Friedhofskapelle des Nordfriedhofes Minden

Zu Friedhöfen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis, das sich seit Jahrzehnten zwar immer etwas wandelt, aber der Zwiespalt an sich bleibt. Als Kind begleitete ich meine Mutter mindestens einmal im Monat zu den Friedhöfen, bei uns im Dorf, wo ihre Eltern begraben waren und nach Minden auf den Südfriedhof zu den Gräbern meiner Großeltern väterlicherseits. Ja, ich hatte nicht lange in meinem Leben Großeltern, da ich das spätgeborene Kind einer Mutter war, die selbst auch schon die Jüngste in ihrer Familie war.

Alte Familiengruft auf dem Nordfriedhof

Also wurden die Gräber gepflegt, es wurde gejätet, geschnitten, geharkt, gegossen, Mama hatte extra eine „kleine Friedhofsharke“ (die übrigens immer noch existiert), mit der am Ende die Furchen schön parallel in der dunklen Erde gezogen wurden. Wie auf allen anderen Gräbern in der Umgebung auch. Und zweimal im Jahr, vor Ostern und vor Totensonntag, gab es Großeinsätze. Dann wurden auch zu groß gewordene Koniferen ausgetauscht. Die Großen nahmen wir mit nach Hause und pflanzten sie im Garten ein, dafür wurden kleine Pflanzen nachgekauft, bei denen sich das Spiel nach ein paar Jahren wiederholte. Zu Ostern gab es außerdem zum Abschluss Tulpen, im November einen Kranz als Winterschmuck. Überflüssig zu erwähnen, dass gerade diese großen Aktionen für ein Kind schnell langweilig wurden.

Vor vier Wochen lief hier noch Wasser, gerade in diesem Jahr Inbegriff des Lebens

Schon damals, vor fast einem halben Jahrhundert, machte ich mich also auf den Weg, während meine Mutter an den Gräbern hingebungsvoll arbeitete, und erkundete den Friedhof. Bei uns im Dorf war das übersichtlich und recht schnell geschehen, ich balancierte auf Grabumrandungen (sorry, so mit ungefähr fünf Jahren macht man sich noch keine Gedanken, ob das „schicklich“ ist), bewunderte alte Familiengruften der Landwirtsfamilien, sammelte je nach Jahreszeit Blumen, Kiefernzapfen oder Kastanien und Eicheln. In Minden war der Friedhof ungleich viel größer, mit „uralten“ Bereichen, die total zugewachsen waren mit sehr großen Eiben, hohen und dicken Lebensbäumen, schiefen und verwitterten Sandsteingrabsteinen. Da konnte sich ein Dötz schon mal verlaufen.

Prächtige Gruft mit Sarkophag. Heute eher unüblich.

Warum ich das erzähle? Weil ich vermute, mein innerer Zwiespalt rührt aus dieser Zeit. Ich weiß um die Stärke und Wichtigkeit von Ritualen, sie können heilen helfen in Zeiten der Trauer. Ich habe auch früher immer gesagt, es ist gut, einen konkreten Ort zu haben, an dem man gedenken kann. Ein Teil von mir sieht das heute noch so. Ich möchte jedenfalls niemandem die rituelle Grabpflege madig machen, weil es oft ein tiefes Bedürfnis ist, aber ich musste leider auch häufig beobachten, dass sie nur aus dem Grund betrieben wurde, „die Leute“ könnten ein schlechtes Bild bekommen. Und diese Motivation fühlt sich für mich falsch an.
Inzwischen habe ich noch ein anderes Verständnis dazugewonnen: Das Gedenken findet bei mir persönlich eher in Alltagssituationen statt. Zum Beispiel hier auf dem Blog, wenn ich kleine Anekdoten aufschreibe. Oder bei der Gartenarbeit, wenn mir in den Sinn kommt, wie Mama mich als Kind angeleitet hat (und ich trotzdem sehr vieles heute anders mache😉, weil mir neben Traditionen auch neue Herangehensweisen wichtig sind). Wenn ich den Rotkohl grundsätzlich nach ihrem Rezept „frei Schnauze“ koche, aber ein paar Kleinigkeiten verändere, die es zu meinem ganz eigenen machen.

Friedhöfe liebe ich nach wie vor. Als Orte der Stille (auch, wenn ich heute früh leider in der Zeitung lesen musste, dass auf dem Nordfriedhof neuerdings eine Gruppe Leute säuft und randaliert, was ist mit manchen Menschen bloß los?), der Besinnung, der Erinnerung. Als ich gestern über den alten Teil des Friedhofes geschlendert bin, habe ich einige der alten Familiengruften fotografiert, weil sie Geschichten erzählen. Ganz bewusst habe ich alte Grabstellen ausgewählt, wo die letzte Bestattung schon lange zurückliegt und darauf geachtet, dass möglichst keine persönlichen Angaben lesbar sind. Die Geschichten, die hier erzählt werden, handeln von familiärer Identität über Generationen hinweg. Von Honoratioren der Stadtgeschichte, deren Wichtigkeit und Wert noch nach ihrem Tod in Stein gemeißelt wurde. Grabstätten mit Sandsteinbänken, eine sogar mit einem relativ modernen Gartenstuhl, die davon zeugen, dass Menschen die Nähe ihrer Vorfahren such(t)en, als Trost, als Bestätigung der Bindung oder als Ruhepunkt im unbeständigen Leben.
Andere Geschichten handeln von unerfüllten Hoffnungen, wie der Grabstein eines Fliegers aus dem ersten Weltkrieg. Die Eltern des jungen Mannes hatten sogar auf den Grabstein schreiben lassen, in welcher Berufsausbildung sich ihr Sohn befand, als er brutal aus dem Leben gerissen wurde.
Sehr berührend und wegen der Aktualität natürlich ohne Fotos ist das Sternenkindergrabfeld. Bunte Windspiele, Kuscheltiere, Laternchen, Spielzeugautos und viele kleine persönliche Statements zeigen anschaulich, dass die Trauer um ein Baby, das nicht leben konnte, nicht in einer bestimmten Zeit „abgearbeitet“ werden kann, wie es von der Gesellschaft mehr oder weniger unterschwellig aber oft erwartet wird. Werten will ich nichts davon.

Besonders empfinde ich auf Friedhöfen immer den Geruch, nach vielen Pflanzen, großen Bäumen und kleinen Stauden, im Herbst gern auch etwas modrig, nach Vergehen. Die Vögel singen zu fast jeder Jahreszeit, weil sich hier viele Nistplätze finden. Auf dem Nordfriedhof gibt es auch eine große Saatkrähenkolonie. Menschen werkeln an den Gräbern, erholen sich auf Sitzbänken am Wegesrand, führen ihren Hund spazieren oder schlendern einfach herum, so wie ich. Keine hundert Meter entfernt ist eine große Ausfallstraße mit viel Verkehr, auf der anderen Seite liegt die Weser und die Kanalschleusen, gegenüber der Weser beginnt das Industriegebiet. Aber hier ist von Alltag, Hektik und Lärm nichts spürbar. Ein bisschen wie ein Kokon, in dem die Zeit eine untergeordnete Rolle spielt.

Friedhöfe sind Orte der Trauer, keine Frage. Aber sie sind auch Orte der Besinnung, des Luftholens und der Hoffnung. Ob es nun die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist, die Gewissheit, dass Schmerzen und Leid ein Ende finden oder schlicht und einfach ein Ort, der ein innehalten in der Hektik ermöglicht. Sie können dadurch ebenso Kraftorte sein. Alles das hat seine Berechtigung.

Leer…

Ein Platz im Haus bleibt leer. Nach dem letzten Wochenende war es absehbar, und auch wenn es unfassbar wehtut, es war gut, dass die Entscheidung letztlich ziemlich schnell fiel.

Fast auf den Tag genau 14 Jahre lebte Lucy bei und mit uns. Am 5. April 2008 holten wir sie bei ihrem Züchter ab, am 4. April 2022 ging sie über die Regenbogenbrücke; sie durfte auf ihrem Kissen einschlafen, im Kreis der ganzen Familie, ihren Kopf auf meinen Oberschenkel gebettet.

An dieser Stelle einen herzlichen Dank an unsere Tierärztin, die ruhig und empathisch alles erklärt und uns damit sehr geholfen hat, diese ungewohnte Situation durchzustehen. Und mit der wir noch einige Anekdoten aus Lucys Leben ausgetauscht haben.

Was mich beeindruckt hat: Nachdem gestern Vormittag in der Tierarztpraxis keine große Untersuchung mehr stattfand, sondern Lucy einfach nur beobachtet wurde und wir dann gemeinsam die Entscheidung trafen, hatten wir nachmittags zuhause einen sehr entspannten Hund. Lucy hat ruhig wie lange nicht mehr geatmet, suchte abwechselnd Nähe und ungestörte Ruhe (als wolle sie nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen) und machte insgesamt einen sehr friedlichen Eindruck.

Kalle durfte sich auch noch von ihr verabschieden, nachdem sie eingeschlafen war und machte das ganz kurz und knapp. Heute ist er deutlich ruhiger als sonst, er stand ratlos vor dem leeren Hundebett und erst, als er das „OK“ bekommen hatte, dass er sich auch hinlegen dürfe, hat er sich dort für einige Zeit niedergelassen. Keinen einzigen Tag ohne Lucy hat er in unserer Familie erlebt, sie hat ihn erzogen, bemuttert, sich von ihm in der Dunkelheit beschützen lassen, er hat ihr Futter geklaut,  sie haben sich gezankt und er hat sich gutmütig von ihr in die Schranken weisen lassen, auch als ihm längst klar war, dass er stärker war als sie.

Lucy, mach’s gut und danke, dass du 14 Jahre Teil unseres Rudels warst.

P10 Themenwort W#09: Vergänglichkeit

Nachdem ich einmal ausgesetzt habe, weil mir in Woche 8 einfach mal nichts einfiel, bin ich heute ganz schnell fündig geworden und kann Wortmans Neugierde bezüglich unserer Ideen prompt befriedigen.

Sinnigerweise flogen mir die Motive nur so zu, bei meiner sonntäglichen Gartenbuddelei, und so kann ich nun in einem Abwasch kreativ sein und Pause machen. Praktisch.

Mein selbstgebauter Rosenbogen, sturmzerzaust und von den Resten der letztjährigen Brennnessel“plantage“ umwuchert…

Wenn du in meinem Blog etwas nach unten scrollst, siehst du an der rechten Seite ein Foto von vor einigen Jahren, als ich den Rosenbogen aufbaute. Die Rosen wuchsen erst ganz wunderbar und umrankten den Bogen malerisch, aber entweder waren die Trockensommer 2018 und 2019 nicht gut für sie oder wir hatten eine ganz besonders hungrige Wühlmausbande, die von unten alles abgeknabbert hat. Letztes Jahr waren sie einfach weg. Außerdem haben die beiden letzten Jahre, als ich aus gesundheitlichen Gründen das Grundstück sehr vernachlässigt habe, auch deutlich sichtbare Spuren hinterlassen… Mal sehen, ob ich den Bogen wieder in Schuss bekomme.

Die Schilfmatten müssen dieses Jahr auch ersetzt werden…

Kalle ist ein kleiner Houdini. Er entfesselt sich zwar nicht, aber sein Freiheitsdrang lässt ihn Maschendrahtzäune aufbördeln. Und dann entwischt er mir durch das beharrlich vergrößerte Loch und geht in der Nachbarschaft spazieren. Um das zu verhindern, habe ich vor einigen Jahren Weidenmatten vor dem Zaun befestigt. Aber der Zahn der Zeit nagt ganz kräftig und erinnert mich an die Vergänglichkeit dieses Materials. Dieses Jahr habe ich reichlich Schnittgut von jungen, wild wuchernden Ahörnern, daraus flechte ich jetzt peu à peu neue Zäune, die ich dann im Sommer mit Wicken beranken lassen will.

Vergehen heißt auch: da kommt Neues

Und zuletzt werde ich doch noch ein bisschen sentimental philosophisch. Seit meiner frühen Kindheit stand seitlich vom Haus eine kleine Fliederhecke, die alljährlich im Frühjahr herrlich lila blühte. Seit ungefähr 10 Jahren musste ich in jedem Jahr etwas von dieser Hecke ausbuddeln, weil der Flieder immer weiter kaputtging. Aber zumindest an einer Stelle trieben neue Stämmchen aus den alten Wurzeln, so dass ich mich in ein paar Wochen wenigstens ein kleines bisschen über den duftenden Flieder freuen kann. Die abgeschnittenen Stämme des alten Flieders hatte ich in längeren Stücken dekorativ zwischen die Stauden rundum gelegt, die sind inzwischen zu begehrten Lebensräume für Asseln und andere Krabbeltiere geworden.

So. Pause beendet, Herausforderung angenommen und beantwortet, jetzt geht es weiter. Von den Brennnessel- und Gierschwurzeln, die ich heute ausgrabe, könnte ich glatt heute Abend meine Familie durchfüttern…

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