Heute war ich schon recht früh mit Kalle unterwegs, es gab einiges nachzudenken, da kam mir der herbstliche, etwas verhangene Sonnenaufgang ziemlich gelegen.

Es ist schon merkwürdig. Werden und vergehen, ein ewiger Kreislauf von Leben und Sterben, Altes geht und Neues kommt. In der Natur, die unsere Lebensgrundlage bildet (auch wenn wir uns das viel zu selten bewusst machen), aber auch in unseren menschlichen Gesellschaften. In unseren Ideen, wie wir Menschen gut zusammenleben können. Und weil es ein Kreislauf ist, ist es möglicherweise auch nicht ganz verwunderlich, warum auch alte, längst abgearbeitet geglaubte Visionen von Großreichen und Ideologien immer mal wieder aufkeimen.


Während ich also mit Kalle die Landschaft durchstreife, versuche ich zu verstehen, warum es immer wieder passiert, dass Menschen ihre Stimme denen geben, die rückwärts wollen. Selbst in einem Land wie unserem, das die letzten Jahre immer noch recht gut durch alle Krisen gekommen ist, zumindest im Vergleich mit anderen Ländern. Gerade am heutigen Feiertag macht mich das ratlos und betroffen. Natürlich ist mir bewusst, dass es auch bei uns Luft nach oben gibt, wo gibt es das nicht? Und auch, dass vor 32 Jahren nicht alles nur gut gelaufen ist, weil es „Investoren“ und andere zwielichtige Gestalten gab, die nur Reibach machen wollten, weil es Kungeleien gab, die nicht in Ordnung waren und weil viele dem Osten nur den Westen überstülpen wollten, statt einen Kultur- und Wissenstransfer in beide Richtungen ins Leben zu rufen. Ein Geben und Nehmen zu initiieren. Auch wir im Westen hätten viel mehr lernen können.
Kurz entschlossen nehmen wir die Route durch den Wald zurück in Richtung Dorf. Einer meiner bevorzugten „Spielplätze“, als ich so 10-12 Jahre alt war, mein Rückzugsort als Jugendliche, wenn ich mit der Welt und Mitmenschen haderte. Selbst der Bach sieht heute nicht mehr aus wie damals. Unsere Staudämme und auch die, die noch von der Generation Dorfkinder nach uns gebaut wurden, sind längst weg. Der Bach ist schmaler geworden, ein Rinnsal fast, kein Wunder nach diesem letzten Sommer. Landmarken, die mir vor 40 Jahren immer zuverlässig zeigten, wo ich mich befinde, sind überwuchert.
Überwuchert wie dieses hier:

Es ist kaum erkennbar und zu glauben, aber dieses sind die letzten Überreste einer großen Waage. Im Wald gab es einen Steinbruch. Als ich ganz klein war, habe ich noch ein paar letzte Transporte von Sandstein erlebt, die dort abgebaut, verladen und gewogen wurden. Als halbwüchsige Kinder fanden wir es lustig, mit mehreren auf dieser Anlage herumzuhüpfen, weil wir neugierig waren, ob wir die Waage zum Schwingen bringen. Seither wächst alles zu, das Wiegehaus ist schon lange komplett verschwunden. Und den Steinbruch, in dem wir als Heranwachsende herumgeklettert sind und taten, als seien wir berühmte Archäologen (und sogar den einen oder anderen Ammoniten fanden), erahnt man heute bestenfalls hinter dichten, wildwachsenden Bäumen, Brombeerhecken und Brennnesseln.
Den Weg nach Hause, den gibt es noch. Wenigstens etwas. Dem folgten wir, denn eine Lust auf Kaffee (nur bei mir) und Frühstück (bei uns beiden) kam auf.

Erntedankbrot, gebacken aus heimischem Getreide, gespendet vom Müller aus dem Nachbarort, gibt es jedes Jahr nach dem Erntedankgottesdienst für alle. Ich lasse es mir schmecken und denke an meinen Liebsten, der ab heute über den Kanal nach England segelt und wieder zurück. Ein kleines Abenteuer und ein lange gehegter Wunsch.
Während ich dieses schreibe, spielt unsere Tochter auf dem Klavier die Begleitstimme zu Nothing else matters, was ich als passend und wunderschön empfinde.
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