Wir sind in der dritten Fastenwoche angekommen. Die ersten beiden habe ich hier einfach mal unterschlagen, da war zu viel anderes. Aber diese Woche steht unter dem Motto
„Mit denen da drüben“
Eingeführt wird es mit der Geschichte von Zachäus, die vermutlich viele von euch zumindest diffus kennen, auch weil sie eine der Kerngeschichten in fast jeder Kinderbibel ist.
Jesus zog mit seinen Jüngern durch Jericho. Dort lebte ein sehr reicher Mann namens Zachäus, der oberste Zolleinnehmer. Zachäus wollte Jesus unbedingt sehen; aber er war sehr klein, und die Menschenmenge machte ihm keinen Platz. Da rannte er ein Stück voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, der am Weg stand. Von hier aus hoffte er, einen Blick auf Jesus werfen zu können. Als Jesus dort vorbeikam, schaute er hinauf und rief: »Zachäus, komm schnell herunter! Ich soll heute dein Gast sein!« Eilig stieg Zachäus vom Baum herunter und nahm Jesus voller Freude mit in sein Haus. Als die Leute das sahen, empörten sie sich über Jesus: »Wie kann er das nur tun? Er lädt sich bei einem Gauner und Betrüger ein!«
Lukas 9, 1-8, Die Bibel (Hoffnung für Alle)
Zachäus ist Zöllner. Aufgabe der Zöllner war es, Brückengebühren und Gebühren für die Römerstraßen einzunehmen. Also eher Mautwächter aus heutiger Sicht. Es waren häufig einheimische Juden, die am Rande der Gesellschaft standen und deswegen froh sein konnten, überhaupt einen Job zu haben. Entsprechend „rächten“ sich viele von ihnen an der Mehrheitsgesellschaft, indem sie auf die offiziellen Gebühren, die an die römischen Besatzer abgegeben werden mussten, noch großzügige Aufschläge on Top setzten und mit diesem Schwarzgeld einen aufwändigen Lebenswandel finanzierten. Dementsprechend waren sie verachtet von allen Leuten.
Zachäus ist auch klein, er hat also kaum die Gelegenheit, seine Neugier auf diesen Rabbi Jesus zu stillen, weil ihn niemand in die vordere Reihe lassen will. In dem Baum wähnt er sich sicher, denn er möchte sehen, ohne gesehen zu werden. Vielleicht schämt er sich ja insgeheim schon jetzt für seinen Lebensstil.
Aber Jesus nimmt ihn wahr. Mehr noch: er lädt sich bei ihm ein.
Und die Leute, die überzeugt sind, gute und anständige Bürger zu sein, empören sich: Was kann denn das für ein Rabbi (Lehrer) sein, der nicht erkennt, wer die Honoratioren der Stadtgesellschaft sind? Der sich stattdessen bei so einem Halunken und Halsabschneider zum Essen niederlässt?
Aber, das erfahren wir nicht in diesem kurzen Abschnitt, sondern erst etwas später, die Begegnung sorgt bei Zachäus für einen Sinneswandel. Er ändert sein Leben, mehr noch, er zahlt zurück, was er den Menschen zu Unrecht abgenommen hat. Und er wird überzeugter Nachfolger Jesu.
Diese Geschichte ist so aktuell wie es nur geht. „Mit dem rede ich nicht!“ – „Die gehört nicht dazu!“ – „Spiel nicht mit denen, die sind…“
Ab wann verweigern wir eigentlich den Diskurs mit Leuten, die wir als „rechts“ ansehen? Reicht da schon, die Migration kritisch zu sehen oder geben wir erst bei denen mit gesichert stramm rechtsextremem Weltbild auf?
Was bringt Menschen dazu, die Grünen als Klassenfeind der Gesellschaft anzusehen, aber nicht diejenigen, die seit Jahren jeden Wandel verschleppen und damit verschärfen?
Welche Voraussetzungen müssen andere erfüllen, damit wir sie als zu einer Gruppe zugehörig empfinden?
Fragen über Fragen. Unbequeme Fragen mitunter.
Klar, wir haben vielleicht einmal zu häufig erlebt, dass ein gutmütiges Aufeinanderzugehen ausgenutzt wird. „Wandel durch Handel“ ist grandios gescheitert, während Autokraten sich über die dusseligen Westeuropäer lustig gemacht haben. Man ist auf der Hut.
Und trotzdem: immer noch gibt es genügend Situationen (nicht immer und überall), wo sich ein Nachfragen lohnt. „Wie kommst du zu der Einstellung?“ – „Warum lehnst du deinen syrischen Nachbarn ab?“ – „Was bringt dich so sehr gegen Nachhaltigkeit auf?“
Und manchmal geschieht es: Jemand besinnt sich, überdenkt seine Position, redet dann auch darüber. Gibt seine neuen Erkenntnisse weiter.
Bisweilen kommt uns das quälend langsam vor. Aber es ist besser als gar nichts. Oder? Und übrigens steht auch nirgendwo, dass es immer leicht fällt. Sowohl sich zu ändern als auch über seinen Schatten zu springen…
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Interessante Auseinandersetzung mit dem Thema, das offenbar zeitlos geblieben ist.
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Auf jeden Fall. Menschlich, halt.
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„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern…“ sang Degenhard damals. Unsicher tastend fragte ich mich was das für Kinder seien und ob ich schüchternes (und ergo braves) Bübchen nicht vielleicht doch dazu gehörte. Immerhin las ich etwas später neben Kerouac auch Bukowski und Burroughs. Die Gedanken sind frei und die Literatur auch.
Farbe bekennen musste ich als Lehrer, als späte meine Schüler mit der AFD sympathisierten. Ich hatte dann Kernaussagen der Parteien zu verschiedenen Themen ohne Namensnennung vorgestellt und darüber abstimmen lassen. Und siehe da, alle Ziele der AFD fielen durch, die Meinungen der Eltern wurden unreflektiert übernommen.
Spiel ruhig mit den Schmuddelkindern, dann lernt ihr beide was!
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