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EvH geht der Frage nach dem Wert eines Vogels ebenso nach wie der Überlegung, was wir denn überhaupt noch frühstücken könnten, wenn es keine Bienen (wilde und Honig-) mehr gäbe. Die Antwort ist verstörend, denn da bleibt kaum etwas außer Wasser übrig. Es ist also dringend geboten, sich außer mit Hitzewellen, Starkregenereignissen, brennenden Wäldern und Tornados über Ostfriesland auch mit dem Artensterben zu beschäftigen.
Aber auch mit dem Artensterben in unseren Körpern, wenn wir jede Erkältung mit Antibiotika behandeln. Und mit der Unsitte, ohne Not (aber leider auch ohne ausreichenden Platz im Stall oder Auslauf) vor allem Geflügel, aber auch andere Nutztiere, routinemäßig mit Reserve-Antibiotika zu füttern, die dann für den Menschen im Ernstfall nicht mehr als Reserve zur Verfügung stehen. Merken wir das eigentlich wirklich nicht, dass wir vor allem uns selbst schaden? Oder sind wir Lemminge, die unaufhaltsam dem Abgrund entgegentaumeln? (Wobei ich letztens gelesen habe, dass dieses Klischee auf die armen Tierchen eigentlich überhaupt nicht zutrifft.)
Als ob die Konsequenzen nicht schon heftig genug wären, geht es uns tierliebenden Deutschen an den Kragen. Unsere Art, mit unseren Haustieren (im Gegensatz zu den Nutztieren) umzugehen, ist schon ziemlich gewöhnungsbedürftig und nicht gerade ressourcenschonend. Ich will hier gar nicht so sehr ins Detail gehen, aber es ist tatsächlich ein bisschen abartig, wenn wir unsere Hunde und Katzen mit bestem Bio-Muskelfleisch vom Rind oder Truthahn füttern, obwohl bei diesen Rassen wildlebende Tiere alles fressen, was ihnen vor die Zähne kommt. Und zwar, wenn es vorher lebendig war, samt Innereien und Darminhalt (Kunststück, sie haben ja auch nicht die teuren Nahrungsergänzungen zur Verfügung, die wir für teures Geld dazukaufen, damit die lieben Fellnasen alle Mikronährstoffe bekommen). Und Rind, Känguruh oder Strauß dürfte bei verwilderten mitteleuropäischen Hunden sowieso eher nicht auf der Speisekarte stehen. Auch Thunfische liegen eher selten überfahren auf unseren Landstraßen.

Am Ende des Kapitels geht es um das Moor, Schauplatz vieler schaurig-schöner Geschichten quer durch die Weltliteratur. Doch nicht nur den Bücherwürmern wird zukünftig vieles fehlen, wenn die Moore nicht in großem Stil wiedervernässt werden. Mit Schaudern denke ich an die 70er Jahre zurück, als meine Mutter Torf in großen Säcken kaufte… Sie wusste zumindest so viel: Torf hält das Wasser sehr gut. Nur sollte er das im Moor tun und nicht in Gärten.
Weiter geht es, immer neue Aspekte geben mir zu denken. Zum Beispiel der Zusammenhang von intakter Natur und seelischer Gesundheit. Mir fällt ein, wie viele Menschen letztes Jahr während der Lockdowns den Waldspaziergang für sich entdeckt haben. Oder das Baum-Umarmen. Davon sang schon das ehemalige Ekel Kakmann im Bibi-und-Tina-Film. Auch Kinder- und Jugendfilme können für Umweltbildung sorgen. Ob die erholsame Wirkung aber noch so stark ist, wenn wir zwischen trockenen und öden Baumskeletten, abgebrannten Stümpfen und käferzerfressenen Fichtenleichen herumstapfen, wage ich zu bezweifeln.
Je weiter ich im Buch komme, desto mehr merke ich, dass bisher jeder angesprochene Aspekt auch mein Leben berührt. Manche mehr, manche weniger, aber auch beim Schreiben stelle ich fest, dass ich immer weniger über das Buch referiere als vielmehr eigene Erlebnisse reflektiere, die mir beim Lesen ins Gedächtnis kommen. Ich bin fasziniert von dem Ausdruck „Solastalgie“, der ein bestimmtes Gefühl wiedergibt: „Wie bei der Nostalgie kommt zum Unbehagen an der Gegenwart und der unbestimmten Sehnsucht nach einer vergangenen, heileren Welt noch etwas anderes: das Bewusstsein, dass es diese heile Welt in Zukunft nicht mehr geben wird, weder räumlich noch zeitlich. Unwiederbringlich dahin. Irreversibel.“ (S: 393) Man bedenke, dass dieses Buch vor der letzten Hochwasserkatastrophe geschrieben wurde. Ich schlucke, als ich überlege, wie die Menschen an der Ahr, der Erft und in den anderen Flutgebieten diese Sätze empfinden mögen. Oder diejenigen, die am Rande des Braunkohletagebaus stehen und die Heimat ihrer Kindheit nicht mehr wiedererkennen. Oder die Australier, Kalifornier und andere, die unter Rauch und Asche die Überreste ihrer Existenzen ansehen müssen.

Und all dieses, was die Betroffenen um Hab und Gut, um das Leben ihrer Angehörigen, um ihre persönliche Geschichte bringt, das zerstört nicht nur die Umwelt, sondern es macht auch krank. An Körper und Seele. Und alle von uns, die aus der relativen Sicherheit ihrer Wohnzimmer davon lesen, ohne selbst betroffen zu sein, können einfach nur sehr dankbar und sehr demütig sein.
Immer mehr stelle ich fest, dass ein „Weiter so“ in keinerlei Hinsicht eine Option ist. Und dass eine Hoffnung auf die Lösung unserer Probleme auf keinen Fall „Technologie und Wachstum“ heißt. Diese Hoffnung ist Augenwischerei und der größte Rebound-Effekt aller Zeiten. So ende ich also mit dem heutigen Beitrag mal wieder ein bisschen ratlos, aber hoffentlich nicht mutlos und verweise alle Neueinsteiger auf den Beginn des Lesetagebuches.
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