Infrastruktur im Eimer

Mal wieder eine kleine Presseschau

Dienstag, 25. Juni 2024. Die Gruppenphase der EM liegt in den letzten Zügen. Deutschland hat die negativen Vorab-Schlagzeilen in Großbritannien souverän abgeräumt, was die Fairness und Feierlaune der Fans unterschiedlicher Nationen angeht. Jedenfalls ist aus der Ecke nichts überragend Negatives zu hören.

Aber Deutschland wäre vermutlich nicht Deutschland, wenn es nicht ein anderes Thema gäbe, das uns in ganz Europa blamiert: Die Bahn und ihre Performance. Die liegt ebenfalls scheinbar in den letzten Zügen. Also können wir uns möglicherweise darauf einstellen, dass demnächst auch gefrustete Reporter aus Spanien, Fans aus Kroatien und Schlachtenbummler aus Österreich Bücher über das Erlebnis „Travelling with Deutsche Bahn“ schreiben und damit die Bestsellerlisten stürmen.
Denn nicht nur der Direktor der EM, Philipp Lahm, gehört zu den Verlierern unter den Bahnfahrenden, sondern auch Fans und Pressevertreter, die wegen Verspätungen und anderen Problemen wahlweise unpünktlich (oder überhaupt nicht) zu Spielen kommen oder ihr Nachtquartier nicht erreichen. Blamabel für alle, die von dieser EM im Vorfeld als nachhaltiges und ressourcenschonendes Event schwärmten, aber vor allem für den Staatskonzern selbst.

Bielefeld/Gütersloh/Herford. Zwei Eisenbahnbrücken aus Kaisers Zeiten sorgen dafür, dass der Bahnverkehr auf der am meisten benutzten Bahntrasse in Ostwestfalen-Lippe vom 16. August bis zum 6. September zwischen den Bahnhöfen Brackwede und Gütersloh zum Erliegen kommen wird. Denn die Bauwerke aus den Jahren 1913 und 1847 „ha­ben das Ende ih­rer tech­ni­schen Nut­zungs­dau­er er­reicht und wer­den da­her durch die DB er­neu­ert“, wie DB InfraGO AG zu den Bauprojekten schreibt.

Die Folgen sind gravierend. So gravierend, dass Rainer Engel, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn in Ostwestfalen-Lippe, im Gespräch mit dieser Zeitung sagt: „Bahnfahren ist für das gesamte restliche Jahr in OWL nicht mehr planbar.“ [ … ]

„Es ist im Grunde für Fahrgäste in jeder Hinsicht unzumutbar, wie die Bahn mit Fahrgästen umgeht“, schimpft Engel. Denn immerhin findet die Sanierung der beiden Brücken – betroffen sind die Brücken an der Ummelner und der Warendorfer Straße noch innerhalb der letzten Woche der Sommerferien statt. Urlaubsreisende, die etwa vom Airport Düsseldorf oder Köln/Bonn wieder von ihrer Reise zurückkehren wollen, müssen mit erheblichen Unannehmlichkeiten rechnen.

Quelle: https://www.mt.de/regionales/Bruecken-aus-Kaisers-Zeiten-werden-saniert-Zugverkehr-in-OWL-ausgebremst-23883706.html

Ich stimme Herrn Engel zu in seinem Statement, es verdeutlicht darüber hinaus eines der vielen Probleme: Werden die Arbeiten in den Ferien erledigt, geht es auf Kosten der Urlauber, wird es außerhalb der Ferien gemacht, sind Pendler, hier vor allem Berufsschüler und Studenten, die Leidtragenden.
Keine Frage, dass es notwendig ist, aber das aktuelle Ausmaß ist vor allem eine Folge jahrzehntelang verfehlter Verkehrspolitik und mangelhafter Aufsicht über die Bahninfrastruktur. Und da es bei den Autobahnbrücken nicht besser aussieht, sollte der Teil der Politik, der augenblicklich auf die Ampel schimpft, auch die eigenen Versäumnisse (oder Fehlinvestitionen) nicht vergessen.
Denn auch auf die Wirtschaft und Güterversorgung wird das Desaster Auswirkungen haben.
Und auf die Arbeitsmarktsituation: Wer möchte denn schon das öffentliche Gesicht (und die Zielscheibe des Unmuts der Kundschaft) eines Konzerns darstellen, der anscheinend nix auf die Reihe kriegt?

Jedenfalls, ein paar Seiten nach dem zitierten Bericht wecken zwei Kurzmeldungen untereinander mein Interesse. Die Schlagzeilen lauten:
Bahn enttäuscht EM-Besucher (ja, das hatte ich oben schon erläutert)
sowie
Flugverkehr erholt sich (was nicht wirklich verwundert, wenn man darauf angewisen ist, einigermaßen pünktlich an einem bestimmten Ort einzutreffen…)
Diese ganzen Infrastrukturprobleme kann man natürlich nicht alle dem Herrn Dr. Wissing und seinem Ministerium ankreiden, mag er einem persönlich noch so unsympathisch vorkommen. Denn diese ganzen maroden Brückenbauwerke (wobei die aus Kaisers Zeiten eindeutig länger halten als die aus der Wirtschaftswunderzeit), zerfahrenen Fahrbahnen, veralteten Weichen etc. ploppen ja nicht über Nacht auf wie Champignons.

Im Endeffekt müssen sich da nicht nur Generationen von Verkehrsministern an die Nase fassen, sondern auch wir alle, die Spezies „gemeiner Wähler“. Wobei gemein hier ja nicht einmal als fies, schändlich, eklig oder so eingesetzt ist, aber von Zeit zu Zeit im Hinterkopf leise mitgedacht werden darf😉.
Die Politiker werben mit ihren Programmen und Plänen für die nächste Wahlperiode, denn sie möchten gewählt werden. Darüber hinaus macht man lieber keine Zusagen, denn das könnte Wählerstimmen kosten.
Und was machen wir Wahlvolk? Wir machen mit! Wir lassen uns nur zu gern Honig ums Maul schmieren. Den süßen Honig der Nichtzumutung, des „Passt schon“, des „Das gucken wir uns später irgendwann mal an“.

Die wissen schon, was sie tun. So dachte ich auch lange. Aber sie wissen das nur, wenn sie von uns regelmäßig den richtigen Anschubs bekommen.
Und dann gibt es auch noch die Menschen, die aus dem Wissen um die Kurzfristigkeit der Wahlversprechen meinen, den Regierenden jetzt aber mal gehörig eins auswischen zu müssen. Indem sie Parteien wählen, die gegen das Establishment sind, die mit harter Hand durchregieren wollen, ohne viel nachzufragen. Es tut mir leid, aber diese Wähler gehen den übelsten Honigschmierern auf den Leim. (Ich bitte hier in aller Form bei sämtlichen Bienen und allen Imkern um Entschuldigung.)

Demokratisch handeln heißt nicht nur, in unregelmäßigen (unregelmäßig, weil Wahlperioden unterschiedlich lang sind und immer irgendwo irgendeine Wahl ansteht) Abständen auf einem langweiligen Zettel ein bis mehrere Kreuze zu machen. Demokratisch handeln heißt auch, seinen Bundes- oder Landtagsabgeordneten mit Mails oder (in der Sache festen, im Ton respektvollen) Kommentaren in deren Social Media Kanälen auf den Zahn fühlen. Zu den öffentlichen Teilen der Stadtratssitzungen gehen.
Den Wahlkampfständen auf dem Marktplatz nicht immer nur ausweichen, sondern mit den Parteileuten in die Diskussion treten.

Sonst ist demnächst nicht nur die Infrastruktur im Eimer.


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Autor: Annuschka

Ostwestfälisch beharrlich, meistens gut gelaunt, Buchhändlerin, Ehefrau, Mutter von drei tollen Töchtern, Hundemama, Jugendarbeiterin (in zeitlicher Reihenfolge des Auftretens). Mit vielen Interessen gesegnet oder geschlagen, je nach Sichtweise ;-)

15 Kommentare zu „Infrastruktur im Eimer“

  1. Das, was heute mit der Bahn passiert, wurde schon damals vorausgesagt, als die Bahn privatisiert wurde. Grob gesagt: Der finanzielle Rahm wird abgeschöpft, und wenn die großen Investitionen kommen, ist keiner mehr da – und die Bahnnutzer sind die Leidtragenden. Tja.
    Morgenkaffeegrüße ☀️🌳☕🧊🍪

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    1. Weitergedacht: Der Staat als „Heuschrecke“. Interessanter Gedankengang am Morgen😁.
      Da ich aufgrund der Hitze schon zum „Chateau eau du pompe“ übergegangen bin, proste ich damit zurück.

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  2. Ich stimme dir hinsichtlich des demokratischen Handelns vollumfänglich zu, weise aber darauf hin, dass ich die Inthronisierung diverser CSUler und/oder FDPler ins Amt des Verkehrsministers weder als meinem Verantwortungs- noch meinem Kompetenzbereich zugehörig empfinde. Wäre dem so, hätte ich es nämlich verhindert … 🙂

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    1. 😅! Also quasi mit Haftungsausschluss? Ok, darauf kann ich mich einlassen, mich hat auch niemand gefragt. Den Postengeschacher haben die potenziellen Regierungspartner schon selbst verzapft.
      (Es ist ja auch nicht unbedingt von Vorteil, wenn man einen Arzt zum Gesundheitsminister macht. Der ist unter Umständen nur anders als ein Bankkaufmann…)

      Gefällt 1 Person

    2. Gut gesagt! Und ratet, wer war in NRW Verkehrsminister vorm Kabinett Wüst? Der Herr Wüst himself. Hm….. Die Rahmedetalbrücke und diverse Schätzchen aus Kaisers Zeiten hat er nicht kaputt gemacht, aber er hätte durchaus früher was dran tun können.

      Gefällt 2 Personen

  3. Nanu… Heute ist zwar Donnerstag und nicht Mittwoch, wie ich heute morgen feststellen musste (Termin verpasst!🙄), aber motzi-montag doch auch nicht….oder?!

    Ganz davon abgesehen hast du natürlich recht in allen Teilen der Anklage.
    Auch wenn es den Politikern oft ein bisschen zu sehr a Popo vorbei geht, was sie versprechen und was davon einhalten können/wollen. Ich sach nur, wohin mit all den Ausländern? Wir bauen uns einen Drittstaat!
    Mannmannmann, wir zwei beide sollten mal was gemeinsam schreiben, egal ob Blog oder belle&trist, da käm was zusammen! 🤩🌷✨🐐

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    1. Geschrieben am Dienstag, damit ich noch Zeit im Abklingbecken verbringen konnte, falls der Brast sich verflüchtigt, musste der Frust einfach raus.
      Das mit dem Schreiben ist ja mal eine Überlegung wert. Ein Email-Essay-Roman😂

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    2. ich habe gerade meine Stichwörter kontrolliert, ob die vom SF angelegte Ordnung noch steht. Die eigene Schreiberei findest du jetzt unterm Stichwort „EigeneSchreiberei“ (ach nee?!).
      So ist die Ordnung das halbe Leben: nämlich die Hälfte, in der sich auch andere Leute außer mir rumtreiben.
      In meiner eigenen Hälfte kann ich ja tun, wonach mir ist.

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  4. Moin,

    und ich hab mich schon gewundert, warum die türkische Nationalelf mal eben in den Flieger steigt, um von Barsinghausen nach Hamburg zu kommen bzw. „unsere“ Jungs von Nürnberg nach Dortmund.

    Im letzten Jahr bin ich auch „auf den Zug gesprungen“ und hab mir das Deutschland-Ticket gekauft. Bin davon aber sehr schnell wieder abgekommen.

    Ansonsten bin ich voll und ganz Deiner Meinung. Man merkt ja auch bei uns (bezogen auf „vor der Haustür“), das nix mehr geht.

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    1. Ich habe als erstes, als ich den Artikel über die neuen Streckensperrungen in Richtung Rheinland las, meine Tochter gefragt, ob sie dieses Jahr noch einen Konzertbesuch in Köln plant. Antwort: Ja, im November.
      Na dann, viel Vergnügen.

      Gefällt 1 Person

    2. Sag das nicht zu laut, sonst jibbet demnächst statt Schienenersatzverkehr auf vier Rädern nur noch „Walking Bus“ als Alternative bei Streckensperrungen🤣

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