Den Winter über bin ich mit meinem D-Ticket Bus gefahren. Morgens um 9:30 Uhr saßen außer mir selten zwei bis drei Senioren, regelmäßig ein paar ukrainische Frauen und täglich etliche dem Aussehen nach aus dem nahen Osten stammende Männer und Frauen aller Altersklassen. Und sie taten im Bus nichts anderes als ich auch: Auf dem Handy irgendwas lesen, gelangweilt aus dem Fenster gucken, ein bisschen vor sich hin dösen…
Mittags waren es dann vor allem Schülerinnen und Schüler vom I-Dötz bis zur Abiturientin, die für volle Busse sorgten.
Wo würden wir diese Menschen, die in Deutschland noch nicht so sattelfest sind oder das erforderliche Alter erreicht haben, dass sie allein im Auto durch die Gegend fahren, sonst sehen und vielleicht sogar mit ihnen ins Gespräch kommen können? Auf den Plätzen der Städte und Dörfer (dummerweise zu häufig mit Autos vollgestellt), auf Spiel- oder Bolzplätzen (dort, wo es denn noch welche gibt), in Straßencafés („Außenraumnutzungsgebühr“ für Gastronomen) oder beim Boule auf dem entsprechenden Feld. Boule ist übrigens auch bei uns in den letzten Jahren populär geworden, aber im Gegensatz zu Frankreich sind bei uns die Plätze nicht in den Mittelpunkten der Ortschaften angelegt worden, sondern an die Ränder verlagert. Bei uns im Ort an der Gesamtschule, direkt neben dem DFB-Minifußballfeld und dem Sportplatz. In Minden an der Weserpromenade, wo auch ansonsten alle möglichen Sportarten angesiedelt sind. Beides nett gelegen und auch nachvollziehbar. Aber es stellt auch klar, dass bei uns Boule eher sportlich gesehen wird, in Frankreich dagegen als soziales Miteinander und Ort des Austausches.
Unser Fokus auf den Individualverkehr könnte auch einen Beitrag zu den allseits beklagten Spaltungstendenzen leisten. Denn wir begegnen uns nicht mehr zufällig beim Weg zum Bäcker oder beim Spaziergang, sondern in unseren jeweiligen Autos, heben noch schnell die Hand zum Gruß, wenn wir es schaffen. Wir stehen hintereinander an der roten Ampel, winken dem Hintermann im Rückspiegel zu, um uns dann wieder nach vorne zu konzentrieren. Nicht einmal für ein „Wie geht’s?“ ist hier Zeit und Gelegenheit. Geschweige denn für einen netten Austausch unterschiedlicher Meinungen.
Mit Menschen, die nicht unserem eigenen Milieu entstammen, wird es aus Mangel an Übung so ganz und gar unmöglich, auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Auch unsere Vereinzelung und Selbstzentrierung findet im Auto Vollendung: Allein die Anzahl der Menschen, die an der Ampel oder im Stau selbstvergessen in der Nase popeln (und das zutage geförderte Produkt mitunter dann hingebungsvoll wegmümmeln🤢), an den Nägeln kauen oder ihre Zigarettenkippen aus dem Fenster schnipsen, finde ich bemerkenswert.
Auch vor der Erfindung von Mobiltelefonen und Freisprechanlagen sah man Menschen im Auto die Lippen bewegen. Und ja, ich oute mich an dieser Stelle selbst als engagierte und lautstarke Sängerin, wenn ich allein im Auto sitze und die Fenster geschlossen sind😅. Ach ja, und erstaunlicherweise denken ziemlich viele Menschen, dass es nicht auffällt, wenn sie ihr Handy am Ohr haben statt die Freisprecheinrichtung zu nutzen.
Jedenfalls empfinde ich schon lange keine „Freude am Fahren“ mehr, wenn ich mal wieder im Stau auf der B482 stehe, weil die A2 nach einem LKW-Unfall gesperrt ist oder ich mich auf dem Weg zur Therapiesitzung der Tochter durch den Berufsverkehr quälen muss. Und das liegt nicht daran, dass ich das verkehrte Fabrikat fahre.
Die entspannteste Autofahrt der letzten Jahre hatte ich als Beifahrerin im Februar 2021, als mein Mann und ich mit einer Sondergenehmigung versehen (wir mussten mehrere Bundesländer durchqueren) mitten im Lockdown das erste Mal nach Heiligenhafen fuhren, um uns die Sterntaler anzusehen.
Leere Autobahnen , freie Raststätten und keine Idioten, die mit Lichthupe hinter uns klemmten, weil wir ihnen zu langsam überholten. Denn Überholen war schlichtweg nicht notwendig. Wen denn auch? Höchstens ab und zu einen Lebensmittel- oder Posttruck.